georg diez (mitarbeit: mareen van marwyck, daniel boese) hat etwas entdeckt und in der frankfurter allgemeinen sonntagszeitung mitgeteilt: nicht nur die unterschicht, auch die mittelschicht lässt sich tätowieren! nicht nur die unterschicht, auch die mittelschicht geht ins sonnenstudio! ins sonnenstudio! nicht nur die unterschicht, auch die mittelschicht betreibt körperkult! an der tanke treffen sich menschen! es gibt shopping malls!

[meine lieblingspassage, über die ich lange nachgedacht habe: "sie verschwindet einfach, der stuhl steht da, als wäre sie nie hier gewesen. sie ist die unsichtbare frau, sie ist aus der unsichtbaren schicht, sie war unsichtbar, sogar als sie da war. sie ist die frau aus der unterschicht" ]





wenn die hamburger morgenpost über die sex-folter in guantanomo berichtet, über halb nackte frauen, die im verhör muslimische gefangene psychisch gequält haben sollen, dann darf zur illustration selbstverständlich nicht der jeans-minirock-weiße-fishnets-arsch-freisteller fehlen, samt der bildunterschrift: sexy gestyle frauen sollen häftlinge psychisch gefoltert haben. wahrscheinlich nennen sie es leserführung.





schokolade streichen, bonbons streichen, zigaretten streichen, geld vernichtende handys streichen, tätowierungen streichen, naschwerk streichen, müllabfuhr streichen, weitläufige rasenflächen streichen, rutschen und schaukeln streichen, satelliten streichen, gardinen streichen, sonnenstudios streichen, high heels streichen, beton abtragen, handtäschchen einsammeln, breite reifen zerstechen, bmws, audi tts, tiefergelegte golfs wegnehmen, hausmeister feuern, 1550 euro halbieren, 1840 euro viel zu viel, wohnungen verkleinern, einbauküche zerdeppern, mikrowelle, waschmaschine, spülmaschine, handy, mehrere fernseher, videorecorder konfiszieren, schlafanzug wegnehmen, zeichentrickfilme verbieten, nebenzimmer abschaffen, duplo weg, schüssel mit süßigkeiten weg, 1300 euro überprüfen, logik den boden unter den füßen wegziehen, alltagswissen ha!, marlboro weg, hund weg, tabletten weg, schwangerschaftstest weg, übergewicht weg, piercing weg, arbeitslosenhilfe weg, dvd-brenner weg leistungsfähigen computer einziehen, süßigkeiten weg, weingummis weg, alkohol weg, fastfood weg, exklusives fitness-studio statt rauchen, selbstgepresster obstsaft statt alkohol, presse kann er haben, beim demonstrativen konsum geht noch was, bei den angesagtesten klamotten geht noch was, beim neuesten handy geht noch was, beim auto mit dem fettesten auspuffrohr geht noch was, bei der unterhaltungselektronik geht noch was, bei den spielhöllen geht noch was, fernseher, dvd, video, pc, playstation, einfach alles, weg.

die armen haben immer noch zu viel.





im zwischen-den-jahren-spiegel die lange titelgeschichte über das massaker in beslan gelesen. gleich wieder unangenehm berührt gewesen von den manierismen der aust-ära: das chronikalische, ort-, stunden- und minutenangaben ("Schule Nummer eins, hinterer Schulhof, 13.03 Uhr"), so darf man sich jeden impressionismus gönnen; die cliffhanger-sucht; die atemlosigkeits-simulationen ("Drei Fenster. Sie sind vergittert. Kazanows kleiner Trupp geht in die Knie geduckt heran, Maschendrahtzaun reißt an ihren Hemden, sie hocken jetzt unter dem Fenster ganz rechts. Sie hantieren ...."). die empathie-prügel ("Wahllos feuern sie in die Halle, wahllos suchen sie Opfer zu produzieren, Opfer, Opfer" - "Die Leichen. Das Blut. Das Feuer. Die Schüsse."). die verwandlung eines unglücks in rhetorik; nicht, was einem selbst fremd wäre, aber.





Imboden hat das Verfahren entwickelt, mit dem Zeitungen die Lesequoten jeder Seite und jedes Artikels messen können. Reader Scan heißt die Methode. Im Mittelpunkt steht ein elektronischer Stift, der aussieht wie ein Textmarker und ähnlich zu handhaben ist. Die „Main Post“ war die erste deutsche Zeitung, die damit gearbeitet hat. 120 ausgewählte Leser erhielten den Stift. Ihre Aufgabe: Während der Lektüre sollten sie bei den Artikeln, die sie lesen, jene Zeile markieren, bei der sie ausgestiegen sind. Der Stift speichert diese Zeile. Nach der Lektüre muss der Leser den Stift wie beim drahtlosen Telefon in die Station zurückstellen. Der Reader Scan übermittelt die gespeicherten Zeilen an eine zentrale Datenbank, bei der zuvor die gesamte Zeitungsausgabe eingescannt worden ist und der die gesammelten Informationen auswertet. So erfährt die Redaktion bereits am Nachmittag des Erscheinungstages, wie welcher Artikel genutzt wurde. Für die Zeitungsbranche ist das eine Revolution.
tagesspiegel > Ulrike Simon > Lesen Sie diesen Artikel! Bitte!!!, via Jolog

[abschaffung des unerwarteten, kunde ist könig, statistisch ermittelter journalismus, "ich lese ja immer auf dem ergometer, deswegen hasse ich es, wenn artikel so lang sind, dass ich umblättern muss", aufziehende konflikte zwischen anzeigenabteilung und leserabteilung]





nach langer zeit wieder einmal die taz gelesen. gedacht: da hätte ich mir gleich irgendso ein ökumenisches dingsbumsblattl antun können. supertolles 3. jahrtausend: musst die ganze zeit vergleichende religionswissenschaften studieren.





[perma-smoking, impossibly elegant middle-aged European women, somewhere between Camille Paglia and Anne Bancroft in The Graduate]

Here, it is still socially acceptable to smoke cigars, and pretty much de rigueur to get ragingly drunk. Told that all this was a central part of the Frankfurt experience, I sheepishly give it a go: after six glasses of wine, I have half-convinced a French publisher that the time is right for a Gallic-flavoured biography of Pink Floyd, and managed to get myself pencilled in for dinner in London with PJ O'Rourke.
Guardian > John Harris: You read it here first, hübsche Geschichte, die Guardian-Lesern die Frankfurter Buchmesse zu erklären versucht.





[koalitionäre der vernunft:] nach der lektüre der "bild am sonntag" (nun wieder in klassischer rechtschreibung), die über eine hartz IV – unterstützungsanzeige in der "süddeutschen zeitung" (noch immer mit ss statt ß) berichtete, habe ich mir lange vorzustellen versucht, wie jim rakete oder günter grass oder dr. thomas middelhoff oder michael jürgs oder manfred bissinger oder marius müller-westernhagen oder eberhard reuther oder prof. albert speer oder dieter hundt oder markus lüpertz oder irgendein beliebiger anderer aus diesem ad-hoc-61 männer- 1 frau - unterschriftenkartell in den letzten monaten und wochen und tagen immer häufiger und dabei immer erbitterter in den nachrichtensendungen sehen musste, dass das arbeitslosen-, das sozialhilfeempfänger-, das arbeitslosenangst-, das sozialhilfeangst-, das gewerkschafts-, das bremser-, das nur-meckern-können-gesocks immer häufiger und dabei immer erbitterter gegen die harten, aber notwendigen und längst überfälligen reformen protestierte, die ihm doch nun schon lange genug erklärt, begründet und vermittelt [und peinlicherweise noch viel länger erspart] worden waren, dass dieses gesocks zusehends populistischen hetzern und billigen polemikern in die hände fiel und schließlich sogar jeden montag abend unter der losung wir sind das volk auf die straße ging. einem in harvestehude, in eppendorf, in blankenese, in charlottenburg, in grünewald oder an einem anderen sozialen brennpunkt muss der white collar geplatzt sein [vielleicht ja auch nur deswegen, weil man als nicht-mehr-chefredakteur, der es aber verdient hätte, chefredakteur von sowieso allem zu sein, oder weil man als nicht-mehr-global-player, der jetzt aber endlich die globalen standards am standort einführen muss (wir tun das doch auch nicht gern, muss aber sein) viel zeit hat, den ganzen tag vor der plasma-glotze zu sitzen], und er wird tagelang [diese ungenutzten tage…] schon beim frühstück seine frau, seine kinder und sein dienstpersonal damit beredet haben, dass ja wohl auch er und vor allem er [60 stunden, wenigstens früher, was heißt 60? 80, manchmal 100 stunden, das dankt einem ja auch keiner] das volk sei und dass, falls es ein recht zu jammern gäbe, wohl doch er es hätte [lohnnebenkosten krankenstand mutterschutzgesetze arbeitgeberbeitrag hängematte wo gibt’s denn sowas] statt des gesocks, das doch nur die billigen latrinenparolen des saarbrückener weinkellerbesitzers nachbete, bis es nach zwei oder drei oder sechs wochen der frühstücke voller unbehagen der frau oder den kindern endlich zu viel wurde und eine der frauen oder ein gerade noch unmündiges, aber schon so erwachsenes und viel freude machendes kind endlich sagte: "dann tu doch was, dad", und dann dachte pa noch einmal zwei, drei tage nach, ein wenig schmunzelnd über den mutterwitz seines gut gelungenen kindes [denn wo sie recht haben, haben sie recht, kann man nicht anders sagen], und dann griff er in eppendorf oder blankenese oder charlottenburg oder grünewald zum telefon [fabelhaft! diese kurzwahltasten!] rief im schneeballsystem die anderen an und ließ sich gleich durchstellen und überzeugte sie davon, dass man jetzt endlich dagegen halten müsse, bevor das land wirklich vor die hunde ginge, und husch! surrten die emails [eiderdautz! famos!, diese neue technik!, hat irgendwann während der wir-einigen-uns-auf-einen-aufruftext-mit-dem-wir-uns-alle-identifizieren-können-phase einer ausgerufen, als ihm wieder einmal sekretärin einen outlook-ausdruck in die mappe gelegt hatte], und nach einigen tagen hatten sie es tatsächlich geschafft, einen text abzustimmen, mit dem sie alle einverstanden waren, so dass sie samstag morgens beim frühstück auftrumpfen konnten, hier guckt mal, ganze seite in der süddeutschen, auch wir sind das volk, und die kinder, die noch ein wenig geld brauchten für den samstagabend, lächelten sie an und sagten toll dad, hast du gut gemacht, war auch höchste zeit, denen endlich einmal hineinzusagen, dass du das jammern über deutschland satt hast. "siehst du, sagte er, so geht leadership", und für sich dachte er: "gut gelungen, das kind, da muss mir gar nicht bange werden".





seit fünfzehn jahren frage ich mich, was es wohl ist, das hippe deutsche zeitschriften dazu peitscht, innerhalb ihres ersten jahres immer ein schwerpunktheft zum thema deutschland nicht nur zu beschließen, sondern dann auch zu machen, inklusive einer fahnengeschichte. und ich weiß es immer noch nicht.

[und warum da eine zuhältergeschichte drin ist. statt einer elektroingenieurgeschichte, wasserwerksangestelltengeschichte, praktikantengeschichte. warum da eher (ist es aber hier nicht) eine hundegeschichte als eine katzen- oder hamstergeschichte drin wäre. warum aber immer eine einbürgerungsgeschichte und eine geschichte, in der so benettonmäßig fotos und testimonials von immigranten zu sehen sind, die irgendeine mode tragen. diesmal kopftücher. warum immer eine, zwei, drei listen mit deutsch-aufzählungen. typisch deutsch. auch typisch deutsch, aber originell typisch deutsch. irgendwelche fotos von: waschbetonfußgängerzonen, tischaufbauten, zäunen, humor der kleinen leute, schrankwandinterieurs. erste erwähnung eines kz immer vor seite 25. irgendwo im heft eine geschichte über stolz (muss aber nicht unbedingt nationalstolz sein, auf irgendwas stolz, ist wichtig, dass in einem deutschlandschwerpunktheft irgendeiner auf irgendwas stolz ist). irgendwo eine geschichte, in der erwähnt wird, wie irgendeine konkurrenz aus osten/beitrittsländern/süden/beweglicherem kapitalismus jetzt das wasser abgräbt, an die wand drängt, härter ist als die deutsche idylle. irgendwo was über neue ideen. irgendwo ein essay, ein denkstück, vgt, wie wir beim "stern" immer sagten ("vorgetäuschter tiefsinn") könnte sofort chefredakteur aller deutschlandschwerpunkthefte werden, die jemals gemacht werden. wüsste genau, wie das geht. die essentials.]





dass das protestwähler gewesen sind, nicht wirkliche nazis, nicht wirkliche rassisten, nicht wirkliche rechtsradikale. dass leute, die dvunpd wählen, mit ihrer wahl etwas prinzipiell anderes ausdrücken als ihre eigenen positionen, eine empfindung zum beispiel, ein unbehagen, einen groll, jedenfalls irgendetwas, über das sie nicht wirklich nachgedacht haben, im unterschied zu einem cdu-wähler, der sich seine entscheidung nicht leicht gemacht, wochenlang die programme der volksparteien studiert und sine ira et studio erwogen hat, was für das gemeinwohl am besten wäre und wie man die probleme des landes beheben könnte. dass analyse-champs, ob sie nun in den old media sitzen oder ein weblog machen, sich für andere leute jederzeit alle möglichen beweggründe vorstellen können, nur den einen nicht, dass man npddvu wählt, weil man ihre positionen teilt. dass man es sich zu einfach macht oder gar böswillig ist, wenn man leuten zutraut, dass sie sich erstaunlicherweise unter den zur abstimmung gestellten positionen exakt für jene entscheiden, die ihnen am nächsten ist. dass einer, der die spd wählt, den analyse-champs zufolge vernünftige gründe hat, einer, der die npd wählt, dagegen irgendeinem dunklen psychischen impuls folgt, über den er sich selbst nicht aufgeklärt hat und über den die politiker der volksparteien sich endlich aufklären mussten, um das nächste mal wieder die stimmen zu bekommen, die vernünftigerweise an sie gehen sollten statt an jene, die rattenfängerisch dunkle impulse ausbeuten. dass die ersetzung einer spd-regierung durch eine cdu-regierung zwar auch das ergebnis einer protestwahl wäre, aber eben nicht nur, sondern eben auch vernünftig, im unterschied zu jener unvernunft, die bei npddvu landet. dass spdcdufpdgrüne lösungen zu offerieren haben, während pdsdvunpd nur populistisch stänkern, was eigentlich verboten gehört, und nie lösen, was man von einer partei verlangen können muss. dass naziwählerinnen nicht aussehen wie nazibräute, dass naziwähler schnitzel essen, dass naziwähler keine radikalen sachen machen, dass naziwähler keinen hass, aber leichte vorbehalte haben. dass die volksparteien die notwendigkeit der reformen nicht ausreichend vermittelt haben. dass die volksparteien es verabsäumt haben, dem volk zu erklären, warum jetzt ein ende sein muss mit den wohltaten. dass die einsicht in die notwendigkeit von hartz iv so etwas wie eine antifaschistische, wenn wir die pds dazu rechnen, antitotalitäre einsicht ist. dass die volksparteien noch viel zu tun haben werden. aber jetzt wissen sie das, in der stunde der bitteren wahrheiten.