Sonntag, 26. Mai 2002

Etwas beängstigend finde ich es schon, dass ich bei der Google-Suchanfrage Möllemann Friedmann auf Platz 3 lande (die ersten beiden gehören der FDP-Bundestagsfraktion).





Reitz: Die Streicher, die Cellisten, aber noch mehr die Geiger, bekommen arge Schwierigkeiten mit der Wirbelsäule, weil das asymmetrisch ist, eine ganz asymmetrische Haltung ist das. Die eine Hand ist immer hier auf dem Griff. Die haben viel mit Rückenschmerzen zu tun.

Alle Musiker haben irgendwelche Ticks. Man entkommt dem ja auch nicht. Für jedes Instrument gibt es einen eigenen Tick. Die Gitarristen mit ihren Fingernägeln, die eine Höllenangst haben, sich ihre Nägel abzubrechen. Die Flötisten, die immer ihre Lippen anfeuchten. Die Geiger mit ihren großen Exzemen am Hals, die Pianisten mit Furunkeln am Hintern. Jeder hat so etwas. Die Cellisten mit ihrer Hornhaut. Wie die sich ihre Hornhaut an der linken Hand pflegen müssen. Da gibt es bestimmte Hornhautstellen, wenn die ein bißchen Schaden nehmen, dann geht es nicht mehr. Musik funktioniert ja nur durch bestimmte körperliche Deformationen. Es gibt bestimmte Hornhautstellen, es kommt darauf an, wie lang die Fingernägel sind. Wenn man in der Badewanne war, und es löst sich die Hornhaut, eine Katastrophe. Das sind Sachen, die man als Nichtmusiker alle nicht weiß. Und diese Deformationen sind mühselig antrainiert.

Ich habe einen Freund, der ist Zahnarzt. Der hat sich darauf spezialisiert, Zahnprothesen für Trompeter zu machen. Die kommen ja auch irgendwann in das Alter. Der hat sich einen internationalen Ruf damit verschafft, daß er Zahnprothesen für Trompeter anfertigt. Was der mir erzählt über seine Kunden, was die für Probleme damit haben, das ist unglaublich. Ein Zahn, der ein bißchen anders geschliffen wird, und schon kommt der Ton nicht mehr, der reinste Wahnsinn. Der musste das ganz genau studieren: Wo der Ton entsteht zwischen Lippen und Zähnen, wie sich gewisse Hohlräume bilden u.s.w. Das wieder nachzubilden, damit das gleiche Volumen wieder entsteht, dergleiche Andruck, das schafft man kaum. Das sind ja winzigste Unterschiede. Mein Freund hat Experimente angestellt über die Empfindlichkeit des Gebisses. Was kann der Mensch noch zwischen den Zähnen empfinden? Wie dünn muss etwas sein, damit man es beim Biss nicht mehr bemerkt? Das ist bloß ein Hauch. Man empfindet Millimeter-Bruchteile. Man empfindet Größenunterschiede, die unter einem normalen Mikroskop kaum erkennbar seind. Man muss das in My messen.

Ich bewundere Musiker, weil sie in diesen My-Bereichen unglaubliche Sicherheit entwickeln. Ich höre ja bestimmte Dinge gar nicht, zum Beispiel in der Intonierung. Es kommt immer wieder vor, dass Salome sagt: "Ich kann das nicht aushalten, der spielt immer einer Viertelton zu hoch, und das reibt sich mit den anderen Instrumenten." Das ist eine Schulung des Gehörs, die man normalerweise nicht hat. Es ist wirklich fantastisch. Ich habe mich immer gefragt, wie kann man mit dem Finger da hingreifen, auf die Saite, und das ist um den Bruchteil eines Millimeters die richtige Stelle, und das in Läufen, in denen 30 Töne in einer Sekunde vorkommen, und alle stimmen? Woher weiß das die Hand, woher hat das Hirn diese Genauigkeit, wie kann die Muskulatur so genau sein, während ich manchmal Schwierigkeiten habe, beim Nachhausekommen mit dem Schlüssel das Schloss zu finden?

Praschl: Bei Sängern kommt ja noch dazu, dass sie sich selbst über die Knochenleitung hören, und dass, was sie singen, für sie selbst völlig anders klingt als für jeden anderen…

Reitz: Dazu habe ich etwas Interessantes gehört. Sehr viele Sänger erleben, dass sie schlagartig nicht mehr singen können. Jetzt ist man dahinter gekommen, was da passiert. Die bekommen einen Gehörschaden durch die Lautstärke ihrer eigenen Stimme. Beim Operngesang erreicht das im Ohr über 120 Dezibel. Das sind Lautstärken, die übersteigen einen Presslufthammer und ein Düsenflugzeug aus nächster Nähe. Das ist bei Fortissimo-Stellen im Operngesang mit der eigenen Stimme im Ohr der Fall. Das hat man deswegen so lange nicht verstanden, weil man nie über die Wahrnehmung nachdachte, die der Sänger von seiner eigenen Stimme hat. Darauf kommt man ja auch nicht so schnell: Dass Sänger durch ihren eigenen Gesang plötzlich einen Hörschaden bekommen, und dann können sie nicht mehr singen.

Aus einem in der Abschrift 82 Seiten langen Interview, das ich vor Jahren mit Edgar Reitz geführt habe.





Meine Frau hatte sich von mir getrennt, aus purem Überdruss, aber in meinen Träumen liefen wir immer noch durch Straßen und brüllten uns an. Am erträglichsten waren die Montage, wenn ich wieder im Büro saß und mit jemand anderem reden konnte als mit den Wänden und den Möbeln. Da hörten sich die Wörter gleich wieder an, als wären sie zu etwas nütze. Abends ging ich mein Adressbuch durch und fand darin niemanden, den ich treffen wollte. Manchmal las ich in den Zeitungen die Kontaktanzeigen und nahm mir vor, selbst eine aufzugeben. Aber ich scheiterte an meiner Selbstbeschreibung.

Im Sommer fuhren wir immer an die Ostsee. Alle liefen nackt herum. Ich wollte nicht nackt sein. Ich hatte da unten Haare bekommen und wollte nicht, dass einer das sah. Ich wollte es ja nicht einmal selbst sehen. Aber es half nichts, die Hosen mussten runter. Stell dich nicht so an, sagte mein Vater, schaut dir doch keiner was ab. Es ist die vollendete sozialistische Demokratie, sagte mein Vater, alle sind wir gleich. Warum waren die einen dann schön und die anderen häßlich? Ich war häßlich. Meine Haut war so weiß. Ich hatte rote Haare. Ich hatte Sommersprossen. Und in der Sonne lief ich rot an. Ein in der Wolle gefärbter Roter, sagte mein Vater. Tante Veronika sagte: Egon, dein Sohn ist bald ein richtiger Mann. Tante Veronika war immer dabei im Sommer, ihr Mann war gestorben. Baggerunfall, hieß es, ich kann mich nicht erinnern, ihn je gesehen zu haben. Jetzt bin ich so lange alleine, sagte Tante Veronika oft , jetzt will ich mich nicht mehr gewöhnen an das Joch der Ehe. Wenn jemand gekommen wäre und mich gebeten hätte, meine Eltern auszuspionieren, ich hätte sofort unterschrieben. Ich hätte ihnen alles erzählt. Es kam aber niemand.
Manchmal habe ich Träume, das glaubt mir keiner.

Ich weiß auch nicht, wieso ihr immer denkt, daß man über sechzig keinen Hunger mehr hat. Ihr glaubt, die Gier hört auf, sobald man Falten bekommt, das verläuft sich schon irgendwo. Es hört aber nicht auf, es wird nur noch schlimmer. Man weiß nämlich, wie sehr einer sich überwinden müsste, einen anzufassen, also besteht man darauf, dass man angefasst wird, alles andere wäre eine Beleidigung. Und deswegen hast du dir einen Liebhaber zugelegt? Ich will ihn doch nur benützen, lieben tue ich deinen Vater doch schon. Warum erzählst du mir das alles? Ich möchte dir imponieren. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie armselig man sich fühlt, wenn man für keinen mehr eine Überraschung ist. Ach Mama. Dabei ist er nicht einmal gut.





ABIGAIL SLOPER

MRS Abigail Sloper geboren zu Broad Chalke, unweit Salisbury, A.D. 1648. Hochmut; Lüsternheit; undankbar ihrem Vater; verheiratet; wurde irrsinnig; kam wieder zu Sinnen.

RICHARD STOKES

RICHARD STOKES, M.D.; sein Vater war Fellow am Eaton College. Er ward dort & am King´s College aufgezogen. Mr W. Oughtred unterrichtete ihn in Mathematiques (Alegbra). Damit machte er sich wahnsinnig, wurde aber wieder vernünftig - doch wie ein Glas, das einen Sprung hat, fürcht´ ich. Wurde ein Römisch-Catholischer; verheiratete sich unglücklich zu Liege; Hund & Katze etc. Wurde Trinker. Starb in Newgate, April 1681, in Schuld-Haft.

ANDREW YARRINGTON

HAUPTM. Yarrington starb ca. März letzten Jahres zu London. Die Ursache seines Todes war: er wurde zusammengeschlagen und in eine Wasser-Bütte geworfen.

John Aubrey, Brief Lives, 1669 ff.