Joanna Briscoe, Schlaf mit mir, Bloomsbury 2005

Lelia, eine College-Dozentin für Französisch und Deutsch, und Richard, ein Feuilleton-Redakteur, noch nicht lange verheiratet und in Erwartung ihres ersten Kindes, beide in den Dreißigern und auf der schmerzhaften Schwelle zum Solide-Werden, das sie manchmal als Langweilig-Werden fürchten, geraten bei einer Party eines befreundeten Paares an eine Frau, die ihnen an jenem Abend nur aus den Augenwinkeln auffällt und keinen besonderen Eindruck macht. Sie ist eben auch da, wird vorgestellt, Sylvie, eine aparte Person von diskretem Geist und diskreter Schönheit; damit so eine bestürzend werden kann, muss man ihr erst eine Echokammer öffnen. Dafür wird gesorgt. Am Tag nach der Party beginnt Sylvie sich in das Leben der beiden zu weben, jeder bekommt seine eigene, berechnend abgezirkelte Mimikry: der Ehemann eine Literaturkennerin, die brillante Rezensionen schreibt, Gedichte zitiert, kokette Konversationen, den Wechsel zwischen Herausforderung und jähem Rückzug, irgendwann fällt sie über ihn her, immer ein wenig von oben herab, seine Ehemannskrupel geschickt verachtend, strategische Hinweise auf das, was er haben könnte, wäre er nicht so verzagt festgefahren in seinem Leben; seiner Frau dagegen gibt Sylvie eine andere Sorte Verführerin: die Warme, Schwere, wortloses Verständnis, Sorge, das Dabeisein, wenn die Schwangerschaftsübelkeiten einsetzen und die Geburtsängste wabern, kreatürliche Nähe, die sich leicht zu etwas Sprituellem hochjazzen lässt, Nur-Frauen-verstehen-was-Frauen-empfinden-Mystizismus. Sie braucht nicht lange, um beide rumzukriegen, er bekommt Blowjobs, sie weiche sanfte Haut, zartere Küsse, Aneinander-Liegen, beiden kommt es wie etwas Unentrinnbares vor. Und selbstverständlich weiß die Ehefrau nicht, dass auch der Ehemann mit Sylvie schläft, und umgekehrt. Am Ende stellt sich heraus: Sylvie wollte nicht beide, nicht ihn, nur sie; sie hatten schon als Mädchen etwas miteinander, sie ist Lelias nebelhafte Erinnerung an einen Frankreichaufenthalt, die immer wieder noch in ihren erwachsenen Träumen spukt. Sylvie hat sie ganz planmäßig gesucht und verführt, um sie wieder zu holen, aus ihrem verräterischen Leben, zu sich, der Frau, die sie immer geliebt hat, sie entführt sie, will, dass sie das Kind gemeinsam bekommen, kein Mann mehr. Aber dann kommt Richard, die Wehen haben schon eingesetzt, glücklicherweise noch rechtzeitig dahinter, die verrückte Nebenbuhlerin wird in die Flucht geschlagen, das Kind geboren, kann weitergehen, die Eheleute haben was gelernt. Die Synopsis sagt es schon: Das ist höherer Trash mit einem recht kläglichen Ende, aufs Verfilmtwerden hingeschrieben. Der Möglichkeitssinn sagt allerdings, dass man aus dem Plot viel hätte machen können; die dämlichen Lesben-Empfindsamkeits-Lügen raus, die abgeschmackten Kindheitsbegründungen weg, die notdürftig angepappte Entführungsgeschichte streichen, die Ehe draufgehen lassen: das wäre eine schöne Grausamkeitserzählung geworden, über das Perfide von Mimikry. Ist aber wahrscheinlich sehr albern, schon während des Lesens innerlich umzuschreiben.

Virginia Doyle, Der gestreifte Affe. Ein historischer Kriminalroman, Heyne 2005

Hamburg 1922, auf Sankt Pauli geht ein Serienmörder um, die Spuren führen zu Schiebern, ins organisierte Verbrechen, zu Auseinandersetzungen rivalisierender Zuhälter-/Nachtclub-/Drogen-Kartelle, zwischendrin wird ein Spartakistenaufstand niedergekämpft, am Ende wird der Mörder gefasst. Könnte - abgesehen vom Spartakistenaufstand - auch jetzt spielen, man würde dann halt emailen statt telegraphieren. Wahrscheinlich das Problem der meisten historischen Kriminalromane: Das Geschichtliche ist bloß draufgepappt. Man liest das so, wie man Fernsehfilme anschaut, die in der eigenen Stadt gedreht wurde, um des Lokalkolorits und der Wiederkennungsmomente willen. Aber, so fucking what, es sind eben doch nur billige Kulissen. Entbehrlich.