Aus der Endlos-Serie "Was floppt". Diesmal: Das Talking.net. Die Geschäftsidee: Wer zu blöd ist, im Netz was zu finden, ruft eine Telefonnummer an, beauftragt einen "echten" Webguide (Erfurt, 8 Wochen Schulung) mit einem Rechercheauftrag, wird dann zurückgerufen oder zurückgemailt: Der Zug von Hamburg nach München geht dann und dann und kostet soundsoviel. Net Business, wo ich über diese famose Geschäftsidee gelesen habe (im Netz allerdings finde ich die Geschichte nicht, zu viel left-right-up-down-navigation...), schreibt, dass die TalkingNetAG bis jetzt 25 Mio in das Projekt gesteckt hat und 2001 noch mal 75 Mio investieren will. 500 Webguides sollen es insgesamt werden. Und sogar Parallel-Surfen soll angeboten werden: Wenn der überforderte User nicht weiterkommt beim Dildo-Bestellen im Online-Dildo-Shop, soll er anrufen, der freundliche Webguide sagt ihm dann per Telefon, auf welchen button dann man jetzt drücken muss und wo die Kreditkartennummer hingehört. Kostet 2,20 die Minute.
Wer hat eigentlich wann eingeführt, den User da draussen per default für einen Volldeppen zu halten? Ich glaube, dass es mit "Focus"-Geschichten, also im Print, begonnen hat, und dann mit "Mens´ Health" weitergegangen ist (wie bügelt man ein weißes Hemd fürs Meeting?). Irgendwann werden sie uns online das Zumpferl halten, wenn wir aufs Klo müssen. Oder so.
Heute zum 54.Mal in den letzten 2 Wochen einen Artikel lang Flash-Dissing gelesen. Und zum 32. Mal, nun ja, fast verächtliche, Bemerkungen über die Dominanz von "left side navigation". Kann es sein, dass die Muffigkeit der vom "more of the same" müde Gewordenen die wahre Triebkraft des Neuen ist? Die Kids wissen ja jetzt, dass man keine Flash-Sites mehr bauen darf und die Navigation nicht links hinmachen soll, bei Strafe der Uncoolness. Also was anderes machen.
Schön ist natürlich auch, dass es bald eine neue Muffigkeit geben wird: angesichts der nicht-mehr-links-stehenden-Navigationen, die wir im nächsten Quartal bedienen müssen. Dann wird man muffig wieder "standards" einklagen.
Könnte ein psychologisches Gesetz sein: Born to be cool = born to be muffig.
Habe gerade meinen Schreibtisch aufgeräumt. Post weggemacht. Dabei ungefähr acht dot.companies (deutsch), die mir ihre Avatare, 3D-Assistenten, Virtual Friends herzlichst empfehlen (Beispiel: virtual friends. Meine erste Reaktion, wie immer häufiger: Wann wird das endlich aufhören? Meine zweite Reaktion sind Fragen: Was bedeutet das? Sagt mir das, dass das Internet noch immer nicht "angekommen" ist - ansonsten würde man es nicht immer noch in die Metaphern der Vor-Internet-Welt (Figuren, die dich an die Hand nehmen, dir alles zeigen, dir die Schwellenangst nehmen etc) übersetzen? Oder sagt es mir: Dass das Netz jetzt endgültig "da" ist - weil es so funktioniert wie die Vor-Netz-Welt - als "lass mal, wir drücken dir schon rein, was du wissen willst, wir zeigen dir alles, du musst selbst gar nichts machen, du brauchst nicht zu suchen, wir sagen dir nämlich, was du finden sollst"-Welt? Ist eine Technologie DA, wenn sie herunterreduziert ist? Oder ist eine Technologie da, wenn genügend Leute gelernt haben, was sie an Neuem ermöglicht? Am tragikomischsten finde ich ja die Versuche mancher Internet-Magazine, das Netz als eine Art Fernsehen vorzuführen und deswegen auf das Konzept der Internet-Programmzeitschrift zu setzen ("die nächsten 14 Tage Internet"). Aber vielleicht haben die ja sogar recht. Oder sind das nur die Versuche der Grossen, zu retten, was zu retten ist? Indem man den Menschen einredet, das Neue wäre nur more of the same old shit? Weiß auch nicht. Kann darüber mal jemand nachdenken? Vielleicht besteht Avantgarde ja heutzutage genau darin, das Neue kleinzukriegen aufs Alte?
Ich will hier nicht ins Prinzipielle und Sinnhubernde gehen, aber doch die Feststellung riskieren, dass Medien tendenziell immer weniger mit der Realität (jenseits der Medien) zu tun haben, sondern immer selbst-referentieller werden. Selbst-referentiell meint: dass der Journalismus sich immer mehr auf Journalismus (andere Artikel, journalistische Quellen usw,) bezieht und seine Funde nicht mehr jenseits des Journalismus überprüft.
Es gab dazu an der Salzburger Uni ein spannendes Projekt:
"Es wird im Forschungsprojekt zu überprüfen sein, ob die folgenden vermuteten Trends eher für eine Autopoiesis (Selbsterhaltung) oder aber für eine Auflösung des Journalismus stehen: 1. Die zunehmende Virtualisierung der journalistischen Quellen (Stichworte: Online-Journalismus, WWW, APA-Online, Teletext etc.) 2. Die zunehmende Autologisierung der journalistischen Recherche: Journalistische Recherche erfolgt zunehmend über die Rezeption anderer journalistischer Produkte 3. Die steigende Kybernetisierung der journalistischen Organisation: Journalistische Arbeitsroutinen sind zunehmend auf Arbeitsroutinen anderer journalistischer Akteure hin orientiert 4. Die wachsende Selbstreferenz der Inhalte: Journalistische Inhalte verwenden zunehmend andere journalistische Inhalte und Aussagen als Referenzen 5. Die Metamedialisierung der journalistischen Medien: Journalistische Medien berichten zunehmend über andere journalistische Medien Diese fünf mutmaßlichen Trends können zusammenfassend als "Autopoietisierung", also als steigende "Selbst-Reproduktivität" und Selbsterhaltung des Journalismus bezeichnet werden. Ihr stehen Versuche der Fremdsteuerung des Journalismus (durch Wirtschaft, Politik, Recht und auch Wissenschaft) gegenüber."Auf der erwähnten Web-Page findet man auch Links zu einer Diskussions-Mailing-Liste und den Ergebnissen der Studie. Hochinteressant und milde verstörend, weil sich schnell der Alptraum eines geschlossenen journalistischen Systems einstellt, das seine urpsürnglichen Zwecke (nämlich über die "Wirklichkeit" zu berichten) ad acta gelegt hat und stattdessen andere Zwecke erfindet: die Produktion von Hypes und Thrills, guten "Stories".
Genau das passiert natürlich, und schon sind wir wieder bei der Börse, bei den inflationär gegründeten Old & New Economy-Blättern. Mit wenigen Ausnahmen handelt es sich dabei um nicht gerade an kühler Rationalität und profunder Sachkenntnis leidenden Magazinen, die gar nicht erst den Versuch unternehmen, ihren Lesern Wirtschaft zu "erklären". Stattdessen wird sie in "Chancen" umgedeutet: "Wie Sie jetzt doch noch Geld machen", "wie Sie den Crash überleben", "warum man jetzt einsteigen sollte" etc. Und die Quellen, auf die sie sich dabei beziehen, sind zweifelhafte ad hoc-Meldungen, PR-Meldungen, andere Magazine, die ihrerseits andere Magazine zitieren, ad infinitum.
So entstehen Hypes. Hypes vergehen auch wieder, das weiß man ja, insofern kann man es auch bleiben lassen, darüber nachzudenken. Mir allerdings stellen sich folgende Fragen:
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Wer gibt uns die Sicherheit, dass sich à la longue doch immer die (langweiligere) Mittelweg-Rationalität durchsetzt? (Mir fällt dazu nichts ein: statistische Fortschreibungen sind nicht wirklich rational).
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Ist eine Ökonomie denkbar, die nur aus Hypes besteht? (Think about it!)
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Stimmt die Vermutung: Je mehr Leute privat spekulieren, daytraden, auf ihren Reisen von Internet-Cafés aus ihre Depots umschichten, mit kürzeren buy-and-sell-Zyklen Gewinne "mitnehmen", desto wahrscheinlicher wird es, dass sie die Börse (also die National- und Global-Ökonomien) bestimmen - statt der rationaleren, in längeren Zyklen kalkulierenden, konservativeren, risikominimierenden klassischen Anleger?
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Wenn es immer mehr Leute gibt, die a. von Kapitaleinkünften leben (Erben, dot.com-Exiters usw.), b. viel Zeit haben, c. die Börse mit einer Party verwechseln, d. Thrills brauchen, e. kurze attention spans haben und f. gierig sind: Wie verändert das die Ökonomie, die Börse, die Party?
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Ist die Börse ein "beliebig skalierbares" Geschäftsmodell?
Schönes Zitat aus der neuen de:bug, auf die ich ja gelegentlich schon hingewiesen habe:
"Heutzutage ist es fast schon anstrengend, immer das neueste hippe Zeug zu erzählen, weil es im gleichen Sammelsurium auch in den Yahoo News oder in der Tomorrow steht, obwohl man es aus der Wired, Artbyte oder dem Mit-Magazin hat. Jeder schreibt halt von jedem ab. Wohin führt das nur? Wozu arbeiten, wenn meine Firma in der Börse abrutscht, weil mein Chef mal wieder bei den Real Time Criticism Portalen wie dotcomfailures oder fuckedCompanies.com verrissen wurde? Deshalb gehen die Firmen schon gar nicht mehr richtig Konkurs, sondern splitten sich in Cluster. Evite.com ist dann nicht mehr Ev, aber noch Ite.com. Kein Spaß, sondern schon so ähnlich bei ubo.net passiert. Ist die vielbeschworene economy crisis gar doch die Vorstufe für einen PostNetSozialismus?"Der Artikel, in dem das steht - leider nicht im Netz, sondern nur am Kiosk oder per Kopie von mir -, beschäftigt sich mit dem, was kommt, 2001. Alles hochinteressant. Roter Faden: die voranschreitende Multiplikation der eigenen Persönlichkeit durch das Netz und die digitale Welt. Zwischendrin jede Menge Hinweise auf Software-Pipelines. Und natürlich die Prognose: dass P2P immens wachsen wird. Und ein kleiner Abschnitt über eBooks, an die ja die wenigsten glauben. Ich schon.