heute mit großer dankbarkeit festgestellt, dass ich von den schriftstellern, die ich irgendwann, manche von ihnen, wie handke oder bachmann oder mayröcker, schon mit 14, 15 aus irgendeinem, manchmal mir selbst nicht erklärbaren grund innig zu lieben begonnen habe, nie & niemals verraten worden bin. [vermutlich sagt das aber bloß, dass ich nur wenige deutsche schriftsteller geliebt habe.]





Tuesday, October 20, 2043





I. viscontis leopard wiedergesehen. oder zum allerersten mal, ohnehin nie verstanden, was man sich merkt, wenn man sich filme merkt. oder romane. man erkennt sie wieder, aber das, woran man sie wiedererkennt, ist nicht, woran man sich erinnert hat*. egal, viscontis leopard. das grandiose daran: diese impuls-ökonomie, die langen passagen, die dem fortgang der erzählung nicht wichtig werden, eine halbe minute schlacht, eine halbe minute tschilpender und fächernder mädchen im ballsaal hätten ja auch genügt. ihm nicht. es ist keine ausschweifung, kein schwelgen, es ist ein schauen, es geht auch nicht um die details, du hättest nichts verstanden, wenn die augen zu wandern begännen, bloß ein schauen, die zeit tut den rest, effekt durch dauer, etwas in dieser art [**]. vielleicht kann man irgendwann kinogeschichte schreiben als eine geschichte der rationalisierungen: irgendwann tauchen überall die mckinseys auf und die norm-anheber, stellen sich hinter den regisseuren auf und hetzen sie zur eile. [lola rennt: so etwas wie das industriellenvereinigungsprogramm auf den film angewandt, standortwettbewerb: geschichtsnebenkosten senken, dafür drei-statt-eins in derselben zeit.]

mein hang zu den untergangserzählern immer wieder, auch so late 19th century. beim leoparden jedenfalls gleich der gedanke: wenn diesmal die herrschende klasse untergeht (der einzelhandel-handelsspannen-kapitalismus, der klingelton-kapitalismus, der angestellten-schikanier-kapitalismus), dann wird es die erste herrschende klasse gewesen sein, der man kein mitgefühl hinterherempfinden wird können. (m. beim frühstück gleich wieder: "da wird aber nichts untergehen!" und ich: "aber wenn sie unterginge…". - "geht aber nicht!")

schön perfide am leoparden sind die besetzungs-skin wars: dass die verschmähte fürstentochter unansehnlich, die erkorene bürgermeistertochter eine strahlende claudia cardinale sein muss, shiny like a princess. die erste gestalt des schreckens ist immer die schönheit. oder so ähnlich. ah, neue welt! so viel aufwärts-mobilität!

[* vielleicht noch so ein verstocktes in mir: kunstwerke immer noch mit menschen verwechseln zu wollen, organizitätshuberei.]

[** vielleicht auch nur das ausnutzen einer neuen technologie: die 70mm-projektion, dazu ein publikum, das vermutlich zum größten teil noch nicht einmal fernsehen zu hause hatte, jedenfalls farbfernsehen. folglich wäre es bescheuert, nicht diese langen panoramatischen passagen in einem film zu haben. du kannst ja damit dein publikum überwältigen. mediengeschichte als körperüberwältigungsgeschichte. kenne ich ja selbst noch aus meiner zeit beim stern: institution der "großen farbe", 6 oder 8 doppelseiten mit randabfallende fotos, der konkurrenzvorteil. genau da setzt du die landschaftsbilder hin, die exotismen, die indischen fakire, die ballkleider, das große bunte bild, das schon wirkte, weil es ein großes buntes bild war, das gab es ja sonst nicht, noch nicht einmal wirklich im fernsehen. als wochenillustrierte dann plötzlich durchgängig auf 4c gedruckt wurden, als jeder 20 fernsehkanäle empfing, hatte sich das erledigt. [manche ressortleiter brauchten länger, um das zu verstehen, titelten immer noch zeilen wie "die neue bademode: bunt und sexy", als ob bunt immer noch gezogen hätte. anyway: wie technologische konkurrenzvorteile bestimmte ästhetiken hervorbringen, die oft noch funktionieren, lange, nachdem sich der stand der produktion geändert hat und die konkurrenzvorteile schon längst wieder verschwunden sind. interessant bei langen passagen in filmen, in denen "nichts passiert": es stellt sich immer die empfindung der melancholie ein. als dürfte man etwas noch einmal schauen, ehe es verschwindet. ist auch bei james bening so. oder heaven's gate. und den wahrhol filmen. und und und. könnte sein, dass dem bewusstsein bei langeweile melancholisch zumute wird? ]

II. motherless brooklyn von jonathan lethem gelesen. seltsamer roman: immer dann grandios, wenn er kindheits-, waisenhaus-, jugend-, freundschafts-, stadtarchäologie-, liebes-, tourette-geschichte ist (der held ist ein im waisenhaus aufgewachsener junge/mann mit tourette-syndrom, der von einem mafioso der unteren ränge gerettet/erzogen/respektiert wird [respekt: subjektivitätsformationskategorie, sometimes important, especially when having a tic…]). und immer dann schlecht, wenn er zum kriminalroman wird. das wer-wars völlig unwichtig, der fall keine wucht, who the fuck cares who did the crime? man ahnt so sehr den inneren literaturagenten, ah, das braucht ne form, das muss ware werden!
andererseits: wenn das kein krimi wäre, hättest du sofort das problem, wie du den helden von einer welt in die andere kriegst. kriminalromane sind ja oft so etwas wie journalismus: ein vorwand, neugierig zu sein, menschen (oder dich selbst) herumzuschicken, nicht nur von a nach b, sondern auch nach x, y und z zu bekommen. reiseromane auf stadt-terrrain. vielleicht vertragen manche romanfiguren das reisen nicht.

festung der einsamkeit dagegen bis jetzt (150 seiten von 600) sagenhaft gut.

III. pattern recognition von william gibson angefangen und nach 100 seiten wieder weggelegt. komm ich nicht rein, geht nicht. mag die figur (wie sie "ist"), aber alles, was sie tut, redet, erlebt: ödnis, manische ödnis.

IV. die sonne scheint uns von georg klein gelesen. hui, ist das ein kunstwille! parabelrhabarber, ich glaub, in 30 jahren werden sie das lesen müssen in den gymnasialen oberstufen und dann deutungsaufsätze drüber schreiben, und wenn so ein wisecrack, der auf die studienstiftung des deutschen volkes hinlebt, zehn- oder zwölfmal die engführungen mit dem projektorientierten geschichtsunterricht hinschreibt, hat er eine eins mehr für den abischnitt. und ich persönlich, ich glaub, einmal möcht ich dabei sein, wenn so ein parabulöser zeitgenössischer deutscher autor bei seiner goethe-instituts-tournee in seoul oder new delhi auftritt und aus seinem werk vorträgt und hintennach die diskussionen über die traditionen der phantastik in der deutschen literatur, das müsst man sich wirklich einmal anschauen.

V. bangkok 8 von john burdett ist ein toller kriminalroman. pageturner, erfährst beim lesen viel über thailand, westerners in thailand, das jade-business, das schwarzbrenner-business (alkohol, nicht cds), das drogen-business, das sex-business, bist gleich verliebt in den helden, einen aus schuld und sühne in die polizei verschlagenen mordkommissar, der das verbrechen, das er aufklären soll, eh nur aufklären will, weil dabei nicht nur das mordopfer, das ihm eigentlich wurscht ist, ums leben gekommen ist, sondern auch sein soul brother, den er nun rächen will, was dann aber doch nicht passiert, und der beim verbrechenaufklären recht häufig meditiert, über reinkarnation nachdenkt, parfums erkennt, garderoben aufzählt (kindheitssache bei ihm...) und viele schöne gedanken denkt. ach egal, sagen wir: sehr handlungsstark, sehr viele menschen, von denen Sie es nicht bereuen würden, Sie kennengelernt zu haben.

VI. mir reichen manchmal schon die kommentare im eigenen weblog (der katholisch-erkenner zum beispiel: ui, hat eine gebetsstelle identifiziert, wart, kriegst gleich ein zuckerl…), aber wenn du jetzt statt des eigenen den noch größeren irrsinn begangen hättest, ein sexweblog anzufangen wie belledejour und dann würdst diese zausel-appläuse und diese frauenseelengesundheitsbescheidwisserinnen-schimpfe kriegen, du würdst doch nie wieder sex oder sonst einen rausch haben wollen, musst dir nur einmal vorstellen, dass dir so eine kommentarstimme hinüberrutscht dabei.

VII. hinter montana ortiz, zur linken hand drei berge, öffnet sich rechts ein schwarzes lavafeld, den feuerbergen zu. manchmal überholt dich ein auto, der fahrer hupt kurz vorher, um dich zu warnen, aber meistens bist du alleine, das rad surrt dahin, die steigung ist sachter geworden, so dass du dich schon ein wenig ausruhen kannst, du weisst, du hast jetzt nur noch 50 kilometer vor dir, zwei für deine kettenraucher-lunge fiese berge drin, aber du wirst sie schaffen, sieht ja keiner, wenn du auf halber höhe kurz anhältst, doch jetzt, zur rechten das lavafeld den feuerbergen zu, jetzt schaust du bloß, übers geröll, zu den feuerbergen hin. zwei nächte und eine lepoarden-dvd später wirst du davon träumen, von einer claudia cardinale, die in einem rollstuhl in einem schwarzen lavafeld sitzt, wie eine prinzessin scheint, während du auf deinem fahrrad an ihr vorübersurrst. und wirst nie erfahren, wie lange sie dir nachgesehen hat.

VIII. morgen el golfo. mancha blancha, die feuerberge, ans meer, yaiza, wieder zurück. zwei noch fiesere berge drin.









And yes it's come to this, it's come to this, and wasn't it a long way down, wasn't it a strange way down?





Descendants of Adam in Genesis (diagram)





heute ist es mir dann doch noch aufgefallen: ich (ich!) bin der typ geworden, der die treppen nimmt statt des aufzugs, aus schierer ungeduld. unsympathisch, denkt man und hat so ein arschlöchernes grinsen dabei, ein strunzenes.





am wochenende erschrocken darauf gekommen, dass ich alte augen habe. ah, digitale fotografie!





sämtliche erinnerungen an meine ex-freundin





dreimal im jahr, hat er gesagt, als ich ihm mein verwundetes rad brachte, dreimal im jahr sieht er so was, den lenker abgeschraubt und das schaltwerk ausgebaut. aber die laufräder, die ich im laden sähe, und zeigte dabei auf zwei reihen, die quer über die decke hingen, die würde er locker zehnmal verkaufen. ich hatte folterfantasien, sagte ich. kann ich verstehen, sagte er, heute abend kannst du's wieder haben.