heute zum ersten male karin röggla gelesen. so twentieth century, und das meine ich durchaus nicht wohlwollend. dieses erhabene entdeckerinnen-gefuchtle, und wusch!, "bei mir geht ideologiekritik per sprachkritik", na bumsti! [wusste sie nicht, dass man das bei jedem kleinkünschtler nachgeschmissen bekommt?)





Salon (Day Pass required) > The Neil Stephenson interview: The author of "Cryptonomicon" and the "Baroque Cycle" talks about the brighter side of Puritanism, the feud between Newton and Leibniz, and the literary world's grudge against science fiction





Über Ostern Kunkels Endstufe gelesen - wie es sich schickt in der Zeit der Passionen.

Albern, wie Kunkel und auch der eine oder andere seiner Rezensenten nun tun, als wäre Endstufe nicht nur, aber eben auch dokumentarisch, durch jahrelange Recherche veredelt. Als wäre es für die Beurteilung eines Romans wichtig, dass es wirklich gegeben hat, was in der Kulisse herumsteht. Vermutlich nur eine Ausrede (mit der man sich obendrein selbst beleidigt): "Ich habe nur aufgeschrieben, was los war bei den Nazis, und ihr werft mir das nun vor; dabei habe ich das doch recherchiert bis nach Afrika hinunter und in ein Altenheim im Hamburger Umland hinein; ich bin nur der Bote, nicht die Botschaft, so war das eben im Dritten Reich, das kann ich doch wohl aufschreiben".

Die spiritistische Vorstellung des Autors als Medium für faktische Kerne. Der Kunkel-Kanal, durch den die Geschichte sich enthüllt.

Und wie armselig das ist, was Kunkel zu bieten hat: Na bumm, Nazis waren auch geil. Das hätte sich ohne Endstufe wahrscheinlich keiner denken können.

Vielleicht wird es irgendwann einmal auch einen Nazibäckerroman geben, weil der Nazi doch auch Brot gebacken hat. Oder einen Nazifriseurroman, einen Naziseitensprungroman, einen Nazifahrradschlauchflickerroman. Alles gut recherchiert. Richtig nachgeguckt im Altersheim, wie es bei den Nazis war, als die Ernten mieser wurden und der Nazibäcker sein Mehl strecken hat müssen, und nach dem Krieg haben auch die Alliierten das Mehl gestreckt, hallo mit o, haben wir da nicht eine hübsche kleine historische Kontinuität von Nazideutschland zur Nachnaziwelt aufgestöbert? Da schau her, Leser, das hast du dir nicht gedacht, aber ich hab dir jetzt den Nazibäckerroman geschrieben, und der siegreiche Amerikaner, der die Weltherrschaft übernommen hat mit seinem Mehlstreckerkapitalismus, der macht jetzt weiter mit dem, womit die Nazibäcker begonnen haben. Und jetzt kannst du nachdenken, Leser: Ist die Nachnaziwelt so schlimm wie Naziwelt, ohne dass wir es geblickt hätten? Oder ist die Naziwelt gar nicht so übel gewesen, weil wir das Mehl doch auch mit dem ganzen Gentechnikdreck da strecken (kleiner ungelenker Exkurs über Patente, Ernährung und Weltherrschaftspläne, Unterwerfung eroberter Landwirtschaften blablabla)?

Man kann ja alles überhöhen, das Mehl und die Fahrradschläuche. Kunkel überhöht eben den überraschenden Umstand, dass die Nazis mitten in ihrer Naziwelt ein paar Fickfilme gedreht haben, und ratzfatz hast du eine historische Kontinuität, die sich gewaschen hat.

So ungefähr geht es wirklich zu bei Kunkel. Die Sachsenwald GmbH dreht ein paar Pornos, nach dem Krieg gibt es auch Pornos, nicht mehr als Beschäftigung einer klandestinen amoralischen* Clique, sondern immer öffentlicher, immer mächtiger, bis in unsere Gegenwart hinein. Da tragen die Mädels nämlich auf offener Straße Schlampenwäsche und zeigen ihre Bauchnabel her. Ergo hat der globale entfesselte Post-War-Kapitalismus der Nike-Nation die Herrschaft der Pornokratie vollendet, die sich ein paar Avantgarde-Nazis halluziniert haben.

Im Vorspann zu Endstufe träumt der Romanheld Fußmann einen Opiumtraum, der so geht:

Um ehrlich zu sein, hatte ich einen selbst für meine Verhältnisse beunruhigenden Traum: Ich sah mich über den Ku'damm spazieren, hier in Charlottenburg in der Nähe des Zeitungsviertels, nichts Besonderes auf den ersten Blick, aber die Stadt hatte sich merkwürdig verändert. Ich weiß nicht, was es war, die brausende Armut auf den Bürgersteigen, die synthetischen Pauken aus Blechkisten, darin feixende Visagen, junges aufgekratztes Mischlingspack. Ringsum ein einziger Basar. Von überall her flogen mir die Schleuderpreise ins Auge, als ob die Welt zu ihrer Verramschung aufrufen würde. In den Konfektionsgeschäften immer das gleiche traurige Bild - primitivste Leibchen, Trainingswesten, schlabberige Hosen ohne Schnitt und nirgends ein Parteiabzeichen. Stattdessen wimmelte es in den Etalagen von englischen Parolen: JUST DO IT. - Do what?, fragte ich einen Passanten, aber der Rüppel zeigte mir den Vogel. Es sollte noch schöner kommen. All die jungen Damen, die mir begegneten, trugen, wie soll ich sagen, Reizwäsche. Hier in diesem Berlin schien das normale Kleidung zu sein, passend zu Tätowierungen und Bauchnabeldekolletee. Auf das Schuhwerk dieser Damen will ich erst gar nicht zu sprechen kommen, nur so viel, dass auch daran niemand Anstoß nahm. Was meinen Sie, habe ich vielleicht die Zukunft gesehen?"
Schon klar. Von der Gegenwart aus gesehen kann man die Vergangenheit immer so sehen, als würde ihre Zukunft der Gegenwart gleichen.

Ach Kunkel, habe ich mir gleich gedacht, hätten wir dasselbe nicht auch mit der Venus von Willendorf hinbekommen? Hätten wir nicht den historischen Stafettenlauf von Pornofrühgeschichte zur Pornogegenwart, diesen ganzen Spiegelungskappes, nicht auch mit dem Steinzeittittenfetischismus beginnen und einen noch viel kühneren Bogen zur zeitgenössischen Silikontitte schlagen können (und, Alter, wir hätten dann noch ein paar superschlechte Kunkelkalauer mehr unterbringen können über Silicon Valley, Computer, alles Amerika, aber auch irgendwie nicht, Konrad Zuhse war ja ein Deutscher und Frau Handler, die Erfinderin der Barbie und später Brustprothesenfabrikantin, deutscher Immigranten Nachfahrin?) Und wenn du, Kunkel, wirklich recherchiert hättest, wär dir vielleicht auch aufgefallen, dass die Griechen (Abendland!) auch Fickbilder hatten und die Pompej-Fresken (Empire!) und die Trachten der französischen Revolution (topless! skandalöse Schuhe! Aufklärung!) und die Fickutopien der frühen russischen Revolution (Kollontai! Kommunismus!). Das hätte doch Wucht und Schwung gehabt! Das 20. Jahrhundert? Nur was für Verlierer; ich bastle euch aus dem ganzen Porno-Fick-Kram jederzeit eine anthropologische Konstante, falls ich wollte. Fast hätte ich anthropologische Konstanze hingeschrieben; so ungefähr, stelle ich mir vor, klänge das nämlich bei Kunkel, so Berti-Vogts-mäßig, ein wenig terrierhaft, ein wenig doof, aber immer sehr überzeugt und immer sehr tapfer, präventiv pampig. Na egal.

Albern an Kunkel: Dieser mit dem pädagogischen Drang eines in die mittleren Jahre Gekommenen versetzte Kleiner-Junge-Glaube, dass das Ficken so wichtig wäre - für die Gesellschaft, die Politik, die Ökonomie. Bei Houellebecq, auf den sich Kunkel gelegentlich berufen hat, ist es ja auch so: Ficken, ficken, ficken. Und der als Heroismus inszenierte Kunstwille beider besteht in dieser billigen Tapferkeit, den Leuten um die Ohren zu hauen, dass es letztlich (eigentlich, im Grunde, doch immer nur, rhabarber rhabarber) ums Ficken geht: Regiert die Welt, kauft mehr als Kohle, überlebt Reiche, blubbert da rum in den Körpern, die sich einbilden, sie wären erhaben übers Gentauschen, Fortpflanzen, Somatische. Man muss dem Ficken ins Auge sehen, sagt Kunkel (nein, das müsst ihr nicht für einen verunglückten Satz halten, das ist absichtlich. Bei Kunkel ist das Ficken ein monstre, und es hat den Basiliskenblick, und Kunkel [dass der Typ auch noch Kunkel heissen muss!] ist der Drachentöter, der dem Bösen ins Auge schaut und ihm standhält und es beschreibt, er hat es geblickt, er ist der Superchecker, und wir hauen ihn jetzt, wähwäh, weil wir nicht blicken, dass er geblickt hat, was da eigentlich abgeht mit seiner Nazi-Nachnazi-Konstanze. Was ein Scheiss. So viel Angst möcht man nicht haben vor dem Fleischlichen, wie dieser Kunkel haben muss, wirklich nicht, das wünscht man keinem.)

Das muss man sich einmal vorstellen: Der Typ hat sich ausgedacht, dass die Nazipornofilmer ihre Nazipornofilme eintauschen bei den Arabern für Ölschürfrechte und bei so einem alten Schweden gegen irgendein Rohmaterial, das das Dritte Reich für seine Wunderwaffen braucht. So etwas denkt sich der tatsächlich aus, das schreibt der auch hin, das hält der für einen Einfall. Als ob so ein reicher Ölheini sich so einen Film nicht selber drehen könnte, wenn er einen haben will! Als ob so ein alter Schwede nicht selbst ein paar Fallensteller durch die schwedischen Wälder hüpfen lassen könnte! Als ob der Araber und der Schwede solche Deppen wären! Für wen, habe ich mich gefragt, für wen außer für einen vierzehnjährigen Playstationspieler mit einer Pickelfresse, den zu Recht noch nie eine von seinen Mitschülerinnen angesehen hat, ist denn ein Sexfilm so etwas unfassbar Wertvolles, dass er ein Erdölschürfrecht dafür hergibt oder ein Rohmaterial für eine Wunderwaffe? Bei Kunkel ist es so. Ich schwöre, das war keine Ironie oder sonst etwas von dem, was man hinterher, wenn es brenzlig wird, immer sagt.

Ach ja: Der Mann ist ein hundsmiserabler Schreiber. Wirklich, da stehen Witze drin wie "im Wald und auf der Heidi" und "Sieg Geil" und all so was. Das ist so mies, dass einen irgendwann nicht einmal mehr dieser alberne Rollen-Poser-Rassismus und -Sexismus stört; nur noch Mitleid, Peinlichkeit, Ersatzscham. Und retrospektiver Respekt für den Herrn Fest, der sich gewaltig verbogen haben muss bei seiner Absage, aus reiner altmodischer Höflichkeit.

Heute morgen habe ich Kunkel gesehen im Kulturzeit-Interview. Da hat mich das Heidi-Elend gleich wieder angesprungen. Diese un-peu-osé-Frisur, diese beiden Bisley-Schränke im Hintergrund, dieses Fahrrad, das in der Wohnung stand.

Ein Typ, der sein Fahrrad in die Wohnung hochschleppt, damit keiner es klaut, und uns dann etwas vom Pferd erzählt über das Bio-Geschehen quer über die Fölker, Tseiten und Äpochen.

Funny, in a way....

[* In den Interviews mit, in den Artikeln zu Kunkel ist ja häufiger die Rede gewesen von der Un- und Amoral inmitten des Dritten Reichs, und mit derselbigen sind lustigerweise ausgerechnet die Pornofilmer gemeint gewesen. Vielleicht bin ich ja pingelig, aber wenn ich nach Beispielen für Un- und Amoral bei den Nazis suchen müsste, fielen mir nach ungefähr einer Sekunde eine ganze Menge ein, irgendwo im Koordinatensystem zwischen Führerhauptquartier und den Neubesitzern arisierter Läden...]





Kunkel ist so ein entsetzlicher Poser.





Guardian: Porn und Drang
The latest novel of Germany's hot young writer Thor Kunkel exposes the Nazis' previously unknown trade in pornographic films. Sounds like a guaranteed bestseller. So why has the book's publisher cancelled it and kicked up a literary storm? Luke Harding investigates





New Yorker > A guide to Derek Walcott online





White Noise on White Noise is a collection of 36 randomly selected fragments of text from Don DeLillo's novel White Noise. The identifying details of each fragment - the page number it appears on, the line number to begin quoting from and the number of lines to quote - were selected using a random number generator. The fragments appear in page number order, to provide an experience akin to quickly browsing through the novel in a bookstore.





So, are you congratulating yourself on having read everything on our list or screwing the newspaper up into a ball and aiming it at the nearest bin? Are you wondering what happened to all those American writers from Bret Easton Ellis to Jeffrey Eugenides, from Jonathan Franzen to Cormac McCarthy? Have women been short-changed? Should we have included Pat Barker, Elizabeth Bowen, A.S. Byatt, Penelope Fitzgerald, Doris Lessing and Iris Murdoch?

The Observer: The 100 greatest novels of all time





Die britische Schriftstellerin A.L. Kennedy hat in einem Guardian-Artikel namens "Mr. Blair's Blood Count" (dessen Übersetzung heute in der FAZ steht) herumgerechnet, wie viel Blut durch Tony Blair im Irak vergossen wurde und kommt nach ein wenig Addieren und Subtrahieren auf eine "Gesamtmenge von mindestens 47 940 Litern Menschenblut, die an Blairs Händen kleben, den Händen des Mannes, der nach wie vor unser Land regiert (...)" Die Kursivierung stammt von mir, im Original lautet die Stelle: "Excluding Dr Kelly's contribution, this brings us to a minimum Total Blood Spilled of 92,811 pints - or a touch over 11,600 gallons of human blood on Blair's hands, the hands of the man who still runs our country". Kein Übersetzungsfehler also. Bin schon gespannt, ob ich im nächsten Urlaub beim Schwimmen denken werde, dass das Meer an meinen Händen klebt.

Dass das mit den Metaphern nicht so ganz einfach ist, ist übrigens auch Frau Kennedy aufgefallen: "Obviously, we shouldn't take the phrase "blood on his hands" terribly literally, because that wouldn't be fair - Blair's only our prime minister, sitting at the centre of a complex and sophisticated network of advisers and in possession of global influence and serious investment capital". Sie kann es also wirklich nicht. Irgendwann wird mal einer, ich vermute in der "taz" sagen, dass Hitler 20 Millionen Leichen im Keller hat.





(...) skizziert die luft- gravur Caprichos, getränkt in aquatinta die augen herbsten unter- schlupf/

josé f.a. oliver via lyrik der region alb - neckar - schwarzwald