Neulich waren M. und ich mit den Kindern im Kino, Ice Age. Kurz vor Beginn der Vorstellung musste Paul, gerade sieben geworden, M. noch dringend eine Geschichte erzählen, die ich hier hier nur aus zweiter Hand und mit dem Abstand von drei Wochen wiedergeben kann: Man hätte seine Schule umbenannt. Nun heiße sie nach einer ehemaligen Direktorin, die von bösen Männern entführt worden war. Eines Tages seien sie gekommen, in gelben Anzügen, und hätten sie abgeholt. In eine Ubahn gesteckt und abtransportiert. Und dann sei sie gestorben. Nach dieser Frau heiße nun seine Schule.

Soweit Pauls Geschichte. Völlig durchgeknallt, sagte M. damals nach der Kinovorstellung, stell dir vor, was er mir erzählt hat. Und ich musste lachen und sagte, wie so oft vorher, wenn ich Leuten erzähle, wie speziell Paul ist: Er denkt sich dauernd solche Geschichten aus. Keine Ahnung, wie er auf das alles kommt.

Heute nun hatte ich in Pauls Schule zu tun, Besprechung mit einer Lehrerin, und, ach ja, es ging unter anderem auch um die Geschichten, die Paul so erzählt.

Dann, beim Hinausgehen, fiel mir eine Gedenktafel gleich am Ausgang auf. Die Gedenktafel erinnerte an Marie Beschütz, eine Jüdin, bis 1934 Lehrerin an Pauls Schule, nach Riga deportiert.

Plötzlich war alles dort, wo es hingehörte. Die Männer verwandelten sich in Gestapolizisten, die Ubahn in einen Viehwaggon, und die gelben Anzüge, er wird sie verwechselt haben mit dem Stern, den sie tragen musste.

Was für ein Land, in dem man sich davor hüten muss, die Hirngespinste der Kinder für Hirngespinste zu halten statt für die Wirklichkeit. Was habe ich mich geschämt für mein "ach ja, Paul und seine Geschichten"-Lächeln.





Erst heute habe ich, ganz zufällig, gelesen, dass "1996 durch einen Aufschwung des Klassenkampfes in Deutschland gekennzeichnet" war.





Franz Krahberger über die Pürgger Weisswäscherei.





Auf Kakanien revisited, einer Website, die sich der Erforschung der Kulturen Mittel-Ost-Europas verschrieben hat, gibt es für Balkansehnsüchtige wie mich recht interessante Texte als pdf-Downloads. Über das geopolitische Konstrukt Mittel-Ost-Europa mit Ösistan in der Mitte, das da wohl dahintersteckt, muss man ja keine Worte verlieren, es ist halt ein weiterer Versuch der Identitätspolitik, und man bräuchte mal das Gegenteil davon und das Abwerfen der Identitäten und einen offensiv vermischten Neobalkan, aber über dem Unbehagen am Konzept muss man ja nicht die Güte der ein oder anderen Studie übersehen.





Masumi Hayashi, Professorin für Fotografie an der Cleveland State University. Hat viele Gefängnisse fotografiert. Ihre Website zeigt Arbeiten, die sich mit den Internierungslagern für Amerikaner japanischer Abstammung während des II. Weltkriegs beschäftigen. Sehr gespenstisch.





Manés Sperbers Romantrilogie Wie eine Träne im Ozean lesend - eine Lektüre, über die noch zu berichten sein wird - stoße ich immer wieder einmal auf den Ausdruck Konzlager für Nazi-Konzentrationslager. Eine Google-Anfrage mit diesem search term führt zu Websites, die mit Russland zu tun haben und in denen "Konzlager" sowohl für Nazi-Lager als auch für Orte des Gulags steht - darunter ein recht interessantes studentisches Projekt zum Lager Solovki (Forschungsberichte, Hausarbeiten, ein Reisetagebuch usw.). Und zum ersten Mal frage ich mich, woher eigentlich die Abkürzung KZ kommt, die Nazis kürzten die Lager ja offiziell noch mit KL ab, kurze Suchmaschinen-Konsultationen ergeben widersprüchliche Auskünfte: die Abkürzung KZ wäre auch schon im Dritten Reich gebräuchlich gewesen / erst nach dem Krieg entstanden. - Beim Suchen ist mir übrigens auch die vorzügliche, vom Institut für Strafrecht an der Universität Amsterdam betreute Website Justiz und NS-Verbrechen untergekommen, eine systematische Übersicht der von deutschen Gerichten wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen durchgeführten Strafverfahren.





adams

Richard Kobayashi, farmer with cabbages, Manzanar Relocation Center, California / photograph by Ansel Adams.

"In 1943, Ansel Adams (1902-1984), America's most well-known photographer, documented the Manzanar War Relocation Center in California and the Japanese-Americans interned there during World War II. For the first time, digital scans of both Adams's original negatives and his photographic prints appear side by side allowing viewers to see Adams's darkroom technique, in particular, how he cropped his prints."

Die Ausstellung: hier. Collection highlights: hier.





Noch was über Joscha Schmierer, Berater im Aussenamt. Aus den Memoiren eines Hanauer Grünen: "Robert Mugabe, dem auch ich im KBW-Haus damals die Hände schütteln durfte, als die FAZ und die FR noch Rhodesien zu Simbabwe sagten, Robert Mugabe hat Joscha Schmierer 1976 in leichter Verkennung der Lage schon mal als "großen kommunistischen Führer der deutschen Arbeiterklasse und des deutschen Volkes" begrüsst. Es stimmte zumindest nicht ganz."





Ach ja, die 70er. Brought to you by SpiegelSternDieWocheBettinaRöhltaz. Das Merkwürdigste daran ist, dass die Erinnerungs-Schlachten niemandem nützen. Die Konservativen haben doch schon gewonnen, und wie, wenn ehemalige Streetfighter NATO-Kriege führen und Altautorecycling-Verordnungen kippen, die der Nationalökonomie Unkosten bereiten.
Die Frage, die ich mir stelle, ist eine ganz andere und kommt im kurrenten Gefasel leider nicht vor: Haben sich die Joschkas und Jürgens wirklich verändert? Waren die nicht immer schon so, wie sie jetzt sind? Der einzige, von dem ich weiss, dass er darüber nachgedacht hat, ist der verehrte Klaus Theweleit, besonders in zwei Büchern: Das erste hieß "Ein Aspirin von der Größe der Sonne" (...der wunderschöne Titel stammte aus einem Gedicht, das "die Revolution ist ein Aspirin von der Größe der Sonne" hieß), ist leider vergriffen und beschäftigt sich unter anderem mit Herrn Schmierer, heute Berater im Aussenamt und schon damals Vordenker einer neuen Weltordnung; das zweite heißt "Ghosts" und ist beim Stroemfeld Verlag in einer preiswerten Sonderausgabe zum 30jährigen Verlagsjubiläum noch zu haben.





Wie Wirtschaft, old or new economy, immer schon funktioniert hat, erfährt man zum Beispiel in Raul Hilbergs "Vernichtung der europäischen Juden", einem Werk, das man wieder und wieder lesen muss, um alle Perfidien mitzubekommen (was zugegeben ein recht masochistisches Bedürfnis ist; aber ich kann mir dagegen nicht helfen, obwohl ich doch längst wissen sollte, wie lückenlos das Interesse, Profit aus der Welt zu schlagen, sich jene unterwirft). Das Zitat, auf das ich heute stieß, lautet:

"Obwohl die Juden in Güterwaggons transportiert wurden, buchte man sie bei der Reichsbahn als gewöhnliche Fahrgäste. Grundsätzlich beförderte man gegen Bezahlung jede Gruppe von Reisenden. Basistarif war der 3.-Klasse-Fahrpreis: vier Pfennig pro Streckenkilometer. Kinder unter zehn zahlten den halben Preis; Kleinkinder unter vier reisten umsonst. Gruppentarife (halber 3.-Klasse-Fahrpreis) wurden gewährt, wenn wenigstens 400 Personen zu befördern waren. Der entsprechende Fahrpreis wurde dem Antragsteller der Gruppenbeförderung in Rechnung gestellt. Im Falle der jüdischen Todeszüge war dies das RSHA. Für die Deportierten war der einfache Fahrpreis zu entrichten, für die mitreisende Bewachung musste eine Rückfahrkarte gelöst werden."