Bei der Nachricht vom Ende Modern Talkings hat mich sofort wieder die Erinnerung an einen der existentialistischesten Abende meines Lebens überfallen: Nach einem Tag mit Interviews im Konzentrationslager Auschwitz saß ich in einem Wirtshaus in Oswiecim und wollte eigentlich nur in Ruhe mein Hacksteak mit Kartoffelpürree und Krautsalat essen, als plötzlich die Dorfjugend in gestärkten weißen Blusen zum Tanzabend einfiel und sich, es war das teuerste und kostbarste Getränk, Aldi-Orangensaft in Tetrapacks auf Silberimitat-Tabletten servieren ließ. Das Stück, bei dem der Dancefloor am heftigsten kochte, war Cherry Cherry Lady. Seitdem beginnen jedes Mal, wenn die Rede von Auschwitz ist, irgendwo ganz hinten in meinem Bewusstseinsraum zwei Fistelstimmen zu fisteln, mit einer Unerbittlichkeit und Hartnäckigkeit, die Camus gut gefallen haben müsste.





nun schon länger nicht mehr gehört: kulturkritik, die beschleunigung, schnelligkeit und dergleichen beklagt oder mit entwürfen der verlangsamung kontert. ebenso wie: informationsüberflutung. dagegen die beschwörungen des zähen, stockenden samt den dazugehörigen vitalistischen aktionismen. sind es die überforderungempfindungen, die aus der mode gekommen sind, oder lässt der filter immer nur eine metaphorik durch?





seit tagen ein unerklärliches hingezogensein zum englischen verb shine, irgendwelche freigelockerten tiefenerinnerungen wie shine on me oder be a princess, shine!





Beats per minute counter, und man könnte jetzt gut einen Essay-Wettbewerb ausschreiben über einerseits die Nützlichkeit dieses Werkzeugs zur Herstellung des vollkommenen Flusses, also des Glücks und andererseits die Verzweiflung, pathetisch ausgedrückt, eines Lebens, in dem man vor einem Monitor sitzt, rhythmisch Maustasten bedient und sich sagt: ja blöd, das, Beschäftigungstherapie das, Leben, das sich verkrochen hat, das, aber dient der Herstellung vollkommener Flüsse. Und so weiter.





the dandy warhols





Dass ich nichts tauge, merke ich immer, wenn ich bei der Lektüre von in Cafés ausgelegten Frauenzeitschriften auf bereits ausgefüllte Psycho-Tests stoße, in denen Sätze à la "Ich würde ihn eiskalt abservieren" oder "Ich rede nicht lange um den heißen Brei, sondern sage ihm direkt ins Gesicht, dass ich heißen Sex mit ihm haben will" angekreuzt sind. "Yeah right," denke ich dann immer vollautomatisch, "you wish".





Es ist idiotisch, aber wahr: Ich bin jemand, der sich darüber freut, dass er beim Standradfahren in einem Gym seine eigene Bestmarke unterbietet. Vielleicht gehen die anderen ja auch ins Gym, weil sie sich Brownie Points organisieren müssen.





Gerade frage ich mich, ob an der Wendung vom "knackigen Po" das "knackig" oder das "Po" das strafverschärfende Tatmerkmal ist, für das ich Sprechverbot, Diätjoghurtentzug, schlechtes Chi, Handykonfiskation, ein vergurktes Tatoo, ein mieses Sternzeichen, Slipeinlagenzwang, Umkleide-Neonlicht und eine Runde brazilian waxing verhängen würde.





Jedesmal, wenn ich jemanden sagen höre, dass es das Wichtigste sei, sich zu schützen, erfasst mich abgrundtiefes Mitleid für die Menschheit.





KassettenGeschichten - Von Menschen und ihren Mixtapes, via Erratika