über den einen nachdenken, der die sieben hingesetzt hat (oder hinsetzen hat lassen), auf diese bank, so auseinander drapiert, dass jeder von den sieben auf das bild gepasst hat, ihnen gesagt hat, dass sie stillsitzen müssten, nicht bewegen jetzt





ja, was denken sich denn all die photographen des grauens?


erholen sich selten.

dokumentation. anschauungsobjekt.


Es sind acht. Monströs. (Wie unangenehm, hier auch nur zu zählen)


das kind, das auf dem schoß der frau in der mitte der bank sitzt, hatte ich übersehen.


das bild samt ihrem kommentar lässt mir keine ruhe hr.praschl. sie machen sich gedanken über einen journalistenkollegen: ...welche gedanken er sich macht hinsichtlich der dokumentation dieser schon zum sterben verurteilten menschen. in ihrem kommentar schwingt ohne zweifel kritik über den umgang dieser menschen mit, jedoch kann ich nicht anders, als ihnen zu sagen, dass ich ihr eigenes schweigen, ihr "sich-raushalten" gegenüber dem schicksal dieser acht opfer einer hungersnot noch kälter und kritikwürdiger finde, als das des photographen.


und sie?

fahren sie jetzt da hin und füttern die? haben sie geld gesammelt oder sonstwas?

es ist legitim, sich über die entstehung eines solchen bildes gedanken zu machen. wenn die wirklich so "drapiert wurden", dann ist der knipser nicht ganz dicht für mich. (obwohl 1877 musste man halt aus technischen gründen stillsitzen). grade die not und armut und krieg und der ganze scheiss haben kein posing nötig. wie nachtwey beweist.


Jetzt war ich sehr einverstanden mit Ihnen. Und dann fällt ausgerechnet der Name Nachtwey. Dabei ist der ein übler Poser, in dem Film jedenfalls, in dem wirklich ziemlich ekelerregenden, der über ihn gemacht wurde. Es ist die Pose der Bescheidenheit, das gewiss, aber Pose nichtsdestotrotz.


So schlimm das auch aus heutiger Sicht ist, damals war es sozial erwünscht. Fremde Kulturen wurden sogar im Zoo präsentiert:

www.monde-diplomatique.de

Ich frage mich manchmal, ob die täglichen Berichte aus den Krisenregionen unserer Welt nicht genauso verachtenswert sind.


Och, den Nachtwey-Film finde ich überhaupt nicht ekelerregend. Eher doppelbödig wahr.


also ich steh auf nachtweys arbeit und ich steh dazu. im film fand ich ihn auch nicht so posend. eigentlich eher bescheiden,still und leise. egal auch, da ich sein bilder meinte, mit ohne pose. der film selbst vielleicht posend.


Man kann nicht nicht posen.


naja, dann kann man aber immer noch gut posen oder schlecht posen, bemerkbar posen, nervig posen, dezent posen, souverän posen, patzig posen, ekelerregend posen ... (vergleichbar dem unterschied zwischen franz ferdinand und den pixies, da hier jetzt etwas unpassend, aber Sie wissen, was ich meine).


als ich auf die seite komme, les ich noch kurz "willkommen bei "sofa (...), viel spaß!", und dann das, gleich als erstes.

gut getroffen, geht mir da durch den kopf, fast erheiternd, so makaber. die leichen einfach nur zu fotografieren ist standard, das erschüttert niemanden mehr. aber sie auf so zynische weise posieren zu lassen ist ärgster zynismus. dann den text lesen, - das foto stammt von einem missionar.


gruss an den knipser: steckt man unsere freunde in coole markenklamotten, könnte man der veranschaulichung des elends etwas den wind aus den segeln nehmen.


es könnte ja auch sein, dass der Missionar mit einer Hilfslieferung dahin kam und "diese erholen sich selten" bedeutet, dass die anderen von ihm zu essen bekamen und überlebten. Vielleicht hat er das Foto gemacht, um die Leute zu Hause aufzurütteln, damit sie mehr spenden, und vielleicht wollte er die Kolonialregierung auf ihre Verantwortung hinweisen.


frühe benetton-photographie

wär das dann


es würde mich noch interessieren, wie Sie da nachdenken, wohin Sie Ihr nachdenken führt. würde ich gerne lesen.

gibts auch noch koordinaten für das bild? (wo gemacht, wie publiziert, mit welcher veröffentlichungsabsicht.)


koordinaten:

mike davis, die geburt der dritten welt. hungerkatastrophen und massenvernichtung im imperialistischen zeitalter. assoziation a, berlin/hamburg/göttingen, 2004. (original: late victorian holocausts, el niño famines and the making of the third world, verso books, london/new york 2001).

die fotografie dort auf seite 67 mit der abgebildeten bildunterschrift, es gibt keine quellenangabe und keine nähere erläuterungen zum fotografen, besitzer, zu den umständen der aufnahme, etwaigen veröffentlichungen usw.

kontext der abbildung bei davis: die schilderung einer hungersnot in südindien 1877, verursacht durch das zusammenspiel einer vom el niño-phänomen hervorgerufenen schweren dürre und der strikt an das regelbuch des kapitalismus sich haltenden politik von mister lytton - keine unterstützungen für die hungerleider, keine linderung der not, da das die armen nur träge machen würde, man kennt das so gespenstisch ähnlich aus den reden der neoliberalen. davis' absicht ist es, eine "politische ökologie des hungers" zu schreiben, sprich die wechselbeziehungen zwischen klima (el niño-dürren), herausbildung eines weltmarkts, zerstörung regionaler ökonomien usw. nachzuerzählen und zu analysieren - an den beispielen indien, china, nordafrika, brasilien usw. (ich kann noch nicht allzuviel sagen, bin erst auf seite 68, ist bis dorthin ein grandioses buch, bei dessen lektüre man in einem fort verzweiflung, wut, scham empfindet, zusätzlich zur historischen aufklärung, die man erhält).

anmerkung davis' zu den abbildungen: "[...] sind die in dieses buch aufgenommenen zeitgenössischen fotos aus der damaligen zeit auch als anklage zu verstehen und weniger als illustration."

das nachdenken hat, womit auch sonst, viel mit empathie zu tun. man sieht dem foto, jedenfalls 2004, auf der stelle an, dass die darauf abgebildeten für die aufnahme erst arrangiert wurden. jemand - der fotograf, helfer - hat die abgebildeten auf dieser bank verteilt, zum zweck der aufnahme. man sieht denen an, dass sie sich kaum noch halten können, diese aufstütz- und festhaltkonstruktionen, die man auf dem bild sehen kann, damit die fotografierten wenigstens für die zeit der belichtung nicht umkippen. natürlich stellt man sich sofort die frage: wie ist es um eine empathie bestellt, die es zuwege bringt, leute ganz knapp vor dem tod noch irgendwelchen ästhetischen (das gruppenportrait) und technischen regeln (die belichtungszeit aussitzen) zu unterwerfen. anstatt ihnen, nun ja, endlich zu essen zu geben. man sieht, dass der fotograf, ehe er fotografiert, noch irgendeiner fotografen-regel folgt, anstatt "einfach zu fotografieren", wie er sich einbildet, die fast-schon-toten noch so fotografieren zu müssen, wie lebendige fotografiert werden.


Der "City of Quartz"-Mike Davis?


ja


@godany. ja, es ist legitim sich über die entstehungsgeschichte eines solchen photos gedanken zu machen. das habe ich auch getan und will nicht einfach davon ausgehen, dass der photograph diese menschen nur anschauungsmässig "drapiert". es ihm einfach so zu unterstellen ohne weiter informationen zu liefern und ohne nur ein wort über das schickal der 8 zu verlieren fand ich kritikwürdig. darüberhinaus finde ich sie in der rolle als praschl´s wadelbeisser recht amüsant!


das leiden anderer betrachten.


Ich versteh Sie nicht, sweetmaker,

was ist an dem Kommentar kalt? Indem ich die Unmenschlichkeit der Aufnahmesituation kennzeichne, kennzeichne ich die Unmenschlichkeit des Aufgenommenen doch auch? Muß ja nicht immer gleich von "Live Aid"-Musik untermalt werden, wäre doch viel verlogener.


nein sie verstehn mich wirklich nicht: ich hatte kritisiert, dass hr. praschl die aufnahmesituation sehr verknappt ohne hintergrundinfos dargestellt und als unmenschlich bezeichnet hat. das hat er jetzt nachgeholt (danke). von life-aid uä. war nie die rede.


wie die aufnahmesituation ist, kann man auch ohne hintergrundinformationen sehen.


die schilderung einer hungersnot in südindien 1877, verursacht durch das zusammenspiel einer vom el niño-phänomen hervorgerufenen schweren dürre und der strikt an das regelbuch des kapitalismus sich haltenden politik von mister lytton - keine unterstützungen für die hungerleider, keine linderung der not, da das die armen nur träge machen würde... das kann man nicht sehen, sorry


klar (kann man die situation auch ohne hintergrundinfo sehen), aber zur ergänzung hier doch noch was, was ich gefunden habe (firefox ate my homework, daher jetzt kurzfassung davon): das foto ist von colonel willoughby wallace hooper (1837-1912), wurde 1876-1878 aufgenommen, heisst offiziell "hungersnot in madras" und befindet sich in der sammlung des fotomuseums im stadtmuseum münchen.

hooper war in der armee, und eifriger amateurfotograf. 1861-1862 war er freigestellt, um ethnografische fotos für das monumentalwerk "the people of india" zu machen. in den 1880ern begleitete er einen britischen feldzug nach burma, auch fotos gemacht, auch veröffentlicht. wurde offiziell gemassregelt, weil er in mandalay eine militärexekution fotografieren wollte. missionar war er übrigens nicht. woher der kommentar in der bildunterschrift kommt, konnte ich nicht herausfinden.

ich frage mich, ob bei den konventionen und technischen voraussetzungen der porträtfotografie jener zeit (statische inszenierung, haltung annehmen, arrangieren bis zum dorthinaus, stillsitzen) überhaupt bilder entstehen konnten, denen man empathie ansah, denen man heute empathie ansehen würde. die fotografien toter kinder fallen mir ein, arrangiert wie todesfotos schlafender engel, aber sonst eigentlich nichts.


wow. danke.

zur überlegung: ja klar, habe ich mich auch gefragt. man ahnt ja, dass das eine bilder-konvention gewesen sein muss; bei davis gibt es vor diesem bild ganz ähnliche, nur nicht als fotografie, sondern als grafik, kupferstich, alles durchkomponiert.


Selbst wenn man die konkrete Situation im Einzelnen nicht sieht (d'accord), sieht man folgendes: der Widerspruch zwischen dem Dokumentationsbedürfnis (das vielleicht redlich gemeint war) und der Aufnahmesituation als solcher, in der der Fotograf sich des Elends der Abgebildeten letztendlich bedient. Im 19.Jhdt ist man noch nicht sehr reflektiert an das Thema herangegangen.

Mir fällt gerade ein: als Rossellini sein "Germania Anno Zero" drehte (1946), wurde ein Teil der Szenen in Rom gedreht, ein Teil in Berlin. Die Berliner Familie, die im Mittelpunkt stand, reiste also nach Rom. Es heisst (weiß leider nicht mehr, wo), die völlig ausgehungerten Darsteller seien nach allen Regeln der Kunst wieder hochgepeppelt worden, sodaß sie für die entsprechenden Szenen zu dick wurden. Angeblich seien sie dann wieder auf Diät gesetzt worden. Diese Anekdote kann natürlich falsch sein, aber sie illustriert das Thema.


hooper.


so eine art bilder-konvention gibt es wohl heute auch noch. anderer stil eben. wer weiss, wie in 100 jahren ein nachtwey oder sonstige zerrissen werden. und der photograph bedient sich auch im digitalen zeitalter in irgendeiner form des elends der abgebildeten. muss gar nicht absichtlich sein. geht gar nicht anders fürchte ich. at sweetmaker: ich bin wenn, dann mein eigener wadlbeisser. das war übrigens eine schöne demonstration, dass in weblogs eben nicht alles in fertigen leicht konsumierbaren happen da sein muss, sondern dass man einen brocken hingeworfen bekommt über den man nachdenkt, nachforscht, nachergänzt etc. wenn man will.


im band "zeitalter des imperialismus" der reihe "spektrum der weltgeschichte" von "time-life"

is das gleiche bild drin. auf seite 25. dadrüber steht denn wie die briten durch den bau von kanalsystemen und hilfezentren den hunger bekämpften und daß das bild zu spendenzwecken gemacht wurde. in dem kontext wirkt es dann eher wie so ein "brot-für-die-welt"-fotto, nur daß man die dürren kids heute nich mehr drapiert sondern in ihrer natürlichen lebenswelt, gern auf so rotbraunem boden hockend, knipst.