Wohnungsbesichtigung 9.15 Uhr/23.06.88
  1. Brief mit Trauerrand, mit Maschine geschrieben: "Um Deine Worte zu zitieren / Du brauchst mir nicht mehr in den Arsch kriechen!"

(Paßbild der Frau draufgepinnt)

Brief ist an einem Nagel, der an der Wand gegenüber der Eingangstür eingeschlagen ist, befestigt

  1. Flachstrecke im Flur: kariertes A4-Blatt: "Diese Zeilen an das Gericht...", daneben Sonnenbrille.

Spiegel (mit brauner Alkydharzfarbe) "Wie hübsch Du warst"

Schlafzimmer:

Ehebett an Fensterwand linke Wand: 5türiger Schlafzimmerschrank mit brauner Alkydharzfarbe über alle Türen: "Alles GUTE"

Wand gegenüber Fußlade Ehebett: Poster mit Alpenlandschaft darauf mit brauner A.-Farbe: "Dies war auch einmal für die Harmonie gedacht! Leider!"

  • rechts daneben Spiegelkonsole > Spiegel zerschlagen

  • Türen der Konsole zerbrochen

  • Konsole über Ehebett mit ölartiger flüssiger Substanz beschmiert

  • Federbetten zerschnitten, Bettfütterung (Feder) herausgequollen

  • auf Konsole mit Spiegel leere Literflasche mit Aufschrift > Graphitöl

Bad:

in der Wanne technische Geräte (voller Wasser)

  • Staubsauger
  • Stereoanlage …
  • Partygrill
  • Tonbandgerät B-100
  • Mixgerät
  • Kaffeemaschine
  • Toaster
  • Handbohrmaschine (HB 180)

Konsole über Waschmaschine (Türen herausgerissen)

[hier folgt eine Auflistung von Medikamenten; U.G.]

Wand über Wanne: "Fühle Dich wohl" Wand an Tür: "Tut mir nicht leid"

Küche:

linkes Spülbecken Rest einer blauen Karteikarte verbrannt / 1 Streichholz

Tiefkühlschrank: Fleisch/Obst/Gemüse

  • steht offen, Strom aus Steckdose
  • Außen: braunes Herz rangeschmiert

Wohnzimmer:

  • Farbfernseher zerstört (Röhre)
  • Schwankwand > Türen herausgerissen, mit Beil o.ä. zerschlagen
  • Farbschmierereien an Schrankwand
  • Blumentöpfe / Geschirr zerschlagen
  • Sitzgarnitur zerstochen / mit Farbe verschmutzt
  • farbähnliche Substanzen auf der Auslegeware und dem Teppich
  • Fragmente von Kristallkaraffe und Kristallgläsern

Kinderzimmer:

  • keine Verwüstungen
  • Doppelstockbett mit am oberen Leiterrand befestigten Zettel (kariert A4)
  • Wir wünschen uns ein gemeinsames Grab

Balkon:

links und rechts an Stange mit Ringen befestigte Store die im unteren Bereich zertrennt sind;

Blumenkästen an Balkonbrüstung > Blumen größtenteils abgeschnitten bzw. herausgerissen


Am Mittag des 22. Juni hatte Robert S., 32 Jahre alt, seine Frau auf ihrer Arbeitsstelle angerufen und sich von ihr "für immer" verabschiedet. Die beiden waren am Tag zuvor geschieden worden. Das Sorgerecht für die beiden Kinder, sieben bzw. zehn Jahre alt, bekam die Frau. S. hatte die Scheidung, wie er selbst bekundete, schon seit Jahren angestrebt. Auf einem Tonband, das er kurz vor seinem Tod besprach, begründete er das damit, dass er seine Frau für unfähig hielt, die Kinder ordentlich zu erziehen. Er hatte seiner Frau gedroht, dass er sich etwas einfallen lassen würde, wenn ihr nach der Scheidung die Kinder zugesprochen würden. Dieser Fall war nun eingetreten, Bei der protokollierten Besichtigung der verwüsteten Wohnung, die am folgenden Vormittag stattfand, waren die drei Leichen schon abtransportiert: Robert S. sowie seine beiden Kinder.

aus udo grashoff: "ich möchte jetzt schließen", briefe vor dem freitod, einer ganz unglaublichen sammlung mit letzten botschaften von selbstmördern, bei reclam leipzig erschienen.






Das erinnert mich an einen Spielfilm (aus Österreich) über den Selbstmord einer Familie. Erst wurde der sehr bürgerliche Alltag der Familie beschrieben (Vater-Mutter-Tochter), dann schlich sich unausgesprochen der Selbstmord ein: Hab und Gut wurden verkauft, der Erlös wurde bar an der Bank abgehoben, Schein für Schein zerrissen und in die Klospülung geworfen (als dürfte nichts von dieser Familie je wieder in irgendeinen Kreislauf gelangen). Zum Schluß wurde gewissenhaft die Einrichtung des Hauses mit Axt, Säge und Hammer zerstört, die Eltern gaben sich und ihrem Kind die tödlichen Tabletten und entschliefen.

Ich habe mich immer gefragt, von wem und von wann der Film war (gegen Ende 80er?)


Haneke.


Ach, wunderbar, danke (war "Der 7. Kontinent").


ja, sorry, war etwas in eile gestern. das eigentlich verstörende an dem film ist ja die völlige abwesenheit von verzweiflung und grund, freitod aus überzeugung ohne das beschwören eines besseren jenseits.


vgl. dazu auch: thomas raab - verhalten (tropen)