zugverspätung - zwangsaufenthalt auf dem schäbigen berliner ostbahnhof, epische übermüdung. mir, um mich wach zu halten, zunächst zehn minuten mantrahaft den ausdruck DENKSPORTAUFGABE wiederholt (file under: notwendig falsche sprache). aus langeweile anschließend zu einem der informationskästen gegangen und versucht, den wagenstandanzeiger für gleis 7 auswendig zu lernen. bei näherem hinsehen bemerkt, dass die bahn neben den streckenplan allen ernstes ein epigramm hat drucken lassen

sage nicht immer, was du weisst, aber wisse immer, was du sagst

also im prinzip genau der betuliche rotz, den man – wenn man nur könnte – hartmut mehdorn mit blut in sein poesiealbum schreiben würde. mit zwei jovialen transsexuellen ins gespräch gekommen, die ihrerseits versuchten, den wagenstandanzeiger für gleis 7 auswendig zu lernen. dabei irritiert zur kenntnis genommen, wie aus richtung des SONNENSTUDIO MASPALOMAS der geruch verbrannter haut vorbeiwehte. gegenüber einem gleisangestellten erwähnte dann einer der beiden transsexuellen die zugverspätung, der gleisangestellte darauf kryptisch: "na und? ein gutes deutsches pils dauert ja auch acht minuten." sofort vage verstanden: eins zu null für die DEUTSCHE BAHN AG! mich dabei plötzlich wieder daran erinnert, wie borges an einer stelle die möglichkeit erwähnt, die welt wäre längst vorbei, und alles, was wir jetzt sähen und erlebten: nur noch ein verlöschendes nachbild. überlegt, warum – wenn dem so wäre – dann nicht wenigstens die eurocities pünktlich abfahren könnten. abermals festgestellt: pire des mondes possibles, zumindest in puncto öffentlicher personentransport. schließlich doch unterwegs nach hamburg, draußen: strukturschwache gegenden, landschaft, die aussieht wie digital nachbearbeitete naturlyrik: überdeutliche wildentenketten, penetrantes multikolor, cremefarbene schlieren über baumkahlen hügeln usf., die märkische moränenmechanik. auf freiem feld eine werbetafel mit dem aufdruck: KÜCHE 3000: ERLEBNIS PUR. paar reihen weiter im großraumabteil hängend: ein magazin der DEUTSCHEN HANDELSKAMMER IN ÖSTERREICH, titelstory "der aufschwung kommt 2004". darunter, auf zwei sitzen ausgebreitet, ein etwa fünfzigjähriger, der seinen rausch ausschläft, reste von erbrochenem am revers. als er sich später körperlich weigert, das geld für eine fahrkarte zu entrichten, kommen drei schaffner und entfernen ihn in wittenberge aus dem zug. aber vielleicht war ja auch der gefühlte aufschwung gemeint.






... im letzten satz versehentlich gelesen "und entwerten ihn in wittenberge". was nun auch nicht so superscheißeschlecht passt.


eigentor : verzapft

pils höchstens 3 minuten zapfen.


zur digital nachbearbeiteten naturlyrik:

andere handlungsanweisungen, ein ortswechsel. diese landschaft ist so fremd wie ein operativ /

verändertes gesicht. ich erinnere, ich müsste dich kennen, du gehörst zum kreis der familie. /

ich erinnere eine vertrautheit, du bist eben unbekannt, aber vertraut. (eine diskontinuität, /

ein unglaublicher freispruch: reisen bildet.) hier war ich schon einmal, hier muss ich schon einmal /

gewesen sein. die linke hand fährt die landkarte ab und findet den weg, die rechte /

weiß nichts davon. (die anatomie ist wehrhaft.) ein kläglicher stierkampf in spanien. / <<

daniel falb, die räumung dieser parks

(langzeilen, eben partout langzeilen in 8 pt)


Bei "strukturschwach" muss ich immer an wabblige Bäuche, Schwangerschaftsstreifen und Dellen in den Oberschenkeln denken. Und bin mir sicher, dass es da sehr wohl Struktur hat, nur ist die halt nicht "marktkonform".