gerade erst entdeckt - alexander kluges rede zur verleihung des büchner-preises 2003:

Es gibt keine pure Innerlichkeit und es gibt keine pure Äußerlichkeit. Die Texte aber, welche die Verknüpfung herstellen, bilden einen Erzählraum und die Poeten sind dazu da, diese "Wohnungen unserer Erfahrung" zu bauen, auszubauen, zu verändern, einzureißen, neu einzurichten, d.h. bewohnbar zu halten. "Dichterisch wohnet der Mensch" heißt es bei Hölderlin, d.h. alle Menschen sind in dieser Hinsicht Poeten und die professionellen Autoren sind nur besondere Vertrauensleute dieser Netzwerke, die umso nötiger sind, wenn es Menschen schlecht geht.






nachtragende liebe

Ein Büchner mit sieben Siegeln, aber - wie sein respektvoller Nachfahre schreibt - "unverändert modern". Zumindest ist Kluges Mut zu bewundern, Büchner mit den Worten "unverändert modern" zu loben, ähnlich originell als würde man in einem Bericht über Netzer die Tiefe des Raumes erwähnen. Oder ist dies subtile Rache an der Hermeneutik? Wer dachte, hier wären die klugen Gemeinplätze schon erschöpft, darf sich kurz darauf an Besserem ergötzen.

"Bücher, das ist für mich nicht das bedrucktes (sic!) Papier. Sie (sick!!) sind Landkarten menschlicher Erfahrung."

Hier tritt dann endlich einmal der ansonsten tief verborgene kluge Humor zutage. "Bücher, das ist für mich..." könnte ja ein neues Format für kluges Fernsehen werden. Andererseits erinnert es ja auch an die "Liebe ist..." Feuerzeug- Verzierungen mit dem niedlichen, nackten Liebespaar.

Und dabei dachte ich, der Tiefpunkt bei der Verleihung des Büchnerpreises sei schon damals mit Wolf Biermann erreicht worden. Büchner zu solchen Befunden, unverändert modern: "Ich mag nicht weiter."

Kann man das so sagen?


@ben-dur

kann man leider nicht.

Die Einmaligkeit eines Spielzugs, das Erscheinen einer bis dahin unbekannten Form ruft die Freude der Zuschauer hervor.

ob fussball oder literatur, kein unterschied. dabei ist alexander kluge viel eher zinedine zidane als günter netzer. mit dessen bräsiger behäbigkeit hat kluge aber auch gar nichts zu tun. es wird Sie übrigens freuen, dass rowohlt im juni die netzer-biographie ausliefern wird. titel, you bet: "aus der tiefe des raumes"!

die originalität von kluges arbeitsformen, sein eigentümlicher stil, das fast magische gespür für geschichten, details, nuancen etc., dazu seine schiere vielseitigkeit; selbstverliebt ist er, klar, aber so what?, immerhin ist das in seinem fall eine ungemein produktive kategorie. und sein ehrlich fassungsloses erstaunen darüber, dass irgendein fachfremder interviewpartner menanders mittlere komödien nicht kennt ("nicht gelesen? das haben sie NICHT gelesen!!?") – das ist ein schöner old school-zug an ihm. wie an anderer stelle bereits erwähnt worden ist: eine atmosphäre wie im mündlichen abi. aber kurzweilig ist es in jedem fall. zeihen Sie mich also getrost einer altmodischen haltung, aber ich bin nicht der meinung, dass ein orthografischer fehler auf der website sein lebenswerk diskreditiert. wobei ich Ihren neuen titelvorschlag für die sendung ausdrücklich gutheisse (alternativvorschlag: bücher, dem ist so wie wenn). und was kluge zu büchner zu sagen hat, ist ja vielleicht auch egal. allen voran, hatte ich den eindruck, kluge selbst.

und die fleisch gewordene rache an der hermeneutik ist im übrigen wolf "crazy lover" biermann. denn der meinte ja neulich ernsthaft mal, man müsste beim übersetzen eines gedichtes dessen originalsprache gar nicht verstehen, es ginge auch einfach so, einfühlung, genialische divinatorik, fuck schleiermacher, yeah.


  1. Das Weltgehäuse. Das 'Wohnen'

Der Aufenthalt 'in der Welt' ist ein 'Wohnen' - womit außer dem Umzirkten auch das Vertauschbare bezeichnet ist - , die Welt selber 'Wohnung' oder 'Haus', und zwar im Gegensatz zu den lichten Wohnungen die 'niedere Wohnung', 'die finstere Wohnung', 'das hinfällige Haus'. Im Wohnen liegt die doppelte Beziehung: das nur Zeitweilige, nur Anfälligsein, aus Wahl oder Schicksal (auch Vorgeschichte) zustandegekommen und grundsätzlich wieder lösbar - eine Wohnung kann man aufgeben, verlassen, gegen eine andere vertauschen, ja, man kann sie hinter sich zugrundegehen lassen - , und zugleich das Konstitutive, das der Ort des Daseins für dasselbe hat, sein Angewiesensein auf ihn: das Leben muss w o h n e n und ist seinem Wo zugehörig; die Hingehörigkeit ist ihm wesentlich, es wird von seinem Wo bestimmt - d. h. es selber ist ein ursprünglich raumhaftes Phänomen und lebt aus seinem Raume her. Daher kann es nur Wohnung mit Wohnung vertauschen und auch das außerweltliche Dasein ist Wohnen - in den Wohnsitzen des Lichtes und des Lebens, die eine Unermeßlichkeit von umzirkten Örtern jenseits der Welt sind. Siedelt das 'Leben' aber in der Welt, so kann die nun gestiftete Hingehörigkeit dazu führen, daß es 'ein Sohn des (irdischen) Hauses' wird - die Gefahr des Wohnens. <<

Hans Jonas: Gnosis und spätantiker Geist. Erster Teil: Die mythologische Gnosis.

als gnostiker kann man das so sagen - aber wo sagt Roland Barthes, dass der eigentlichste sinn von struktur vielleicht // ich weiß nicht, sagt er 'vielleicht' (?) // ist, dass sie bewohnbar sei?

trifft die eigenschaft des wohnens auf erfahrung zu?

"delogieren" schreibt oswald egger irgendwo (in der 'herde der rede?') .. wohl wider die gefahren des wohnens..


den meisten menschen wäre eine "dichterische wohnung" wohl zu zugig. aber schön, wie der geehrte redner sich nahbar macht. ulkig im zusammenhang mit weblogs.


autisten in der zirkuskuppel

@ the frank Wenig ist sicher in dieser Welt, you don´t need a wheatherman, allerdings würde ich eine größere Summe darauf verwenden, daß zu meiner großen Befriedigung Folgendes nie über Alexander Kluge gesagt wird: "Il est un magicien, capable de décocher une volée foudroyante en pleine lucarne pour offrir un titre à son équipe."

In der weltweiten Wirkung, aber glücklicherweise auch im Jahresverdienst, vor allem aber in der Dominanz innerhalb ihres Wirkungsfeldes unterscheiden sich Kluge und der Künstler, mit dem Sie ihn vergleichen (dessen Namen ich in diesem, für eben jenen Künstler zweifellos demütigenden, da durch den Vergleich ihn herabwürdigenden Kontext nicht erwähnen möchte) doch wohltuend deutlich.

Mein zugegebenermaßen kleinmütiger Hinweis galt nur der Tatsache, daß der verehrte, durch manisches Originalitätsdrängen und neologistische Beharrlichkeit auffallende, unverändert moderne "Multi" Kluge in einer doch der "Öffentlichkeit" zugänglich gemachten Rede derartige Belanglosigkeiten und poesiealbenhafte Nichtigkeiten von sich gibt, ohne daß es überhaupt auffällt.

Vielleicht ist das ja auch seine besondere Leistung, immerhin "hält er seinen Kasten sauber" und erweist sich somit doch einmal mehr als, sagen wir, der Sepp Meier der deutschen Literatur.

Ihre Haltung würde ich niemals altmodisch nennen, allerdings kann ich auch unter den neueren Moden keine feststellen, derzufolge ein orthographischer Fehler ein Lebenswerk diskreditiert. Amüsant wäre eine solche Mode aber doch, oder?


noch nicht gelesen, dass zidane in der kommenden saison ablösefrei zu suhrkamp wissenschaft wechseln wird?


literatur das ist für mich "doing things with style"

meine information war, daß er angebote von gallimard und seuil abgelehnt hat und nach der wm06 den vollkommenen rückzug plant, keine kommentare etc., das haus dafür hat er sich ausgesucht, es ist recht klein und steht in der nähe von montpellier. die einzige geistesgröße hingegen (wenn kluge maßstab ist), die einen wechsel zum sport plante, ist meines wissens walter "parteibuch" jens, der meinte, wenn er alle klassiker vergessen habe, könne er noch immer den sturm vom FC altona 93 aufsagen. aber mit vergessen und aufsagen ist das ja bei ihm so eine sache.


Stadion (Kapazität): August-Jäger-Kampfbahn (6 000)

(edit: wollte fast noch über platon, politeia 497 d, 9 witzeln, was natürlich ganz degoutant und unangemessen wäre. erwähne es aber trotzdem, weil ich gerade erst, staunend, herausgefunden habe, dass die n*pd im titel einer ihrer jubiläumsschriften einmal heideggers rektoratsrede zitiert hat.)