über den menschen nachdenken, der für eine neuübersetzung von rouge et noir dieses covermotiv ausgesucht hat
Der Lektor: Stendhals Roman als Spiegel der Gegenwart. Sieht seine mit Webmaterial gefüllte Bilder-Galerie durch und wählt das mit der Halbnackten aus. So was in der Art machen wir. Hat mit Stendhal nichts zu tun? Egal, sieht gut aus.
der körper, die pose, der hüftknochen, der hautton, die wäsche: das alles ist so unendlich weit von dem entfernt, wie meine visualisierungen von rouge et noir aussähen, dass mich das bild nachhaltig irritiert (was nur selten vorkommt), so sehr, dass ich mich frage, ob darin nicht irgendeine stendhal-lektüre steht, die mich interessieren könnte. was mich wiederum irritiert. dass ich mich so etwas fragen kann. und warum ich das zum beispiel für ein gutes scott f. fitzgerald-cover hielte, oder für ein passables baudelaire-cover. andererseits: rouge et noir will ich ohnehin seit langem wiederlesen. gestern erst habe ich darüber nachgedacht, warum in meinem liebeskoordinatensystem stendhal, die education sentimentale flauberts, der große gatsby, le grand meaulnes, der kinogeher und die linkshändige frau ganz nahe beieinander stehen
Zuerst habe ich nur schnödes Marketing dahinter vermutet, dann überlegt, dass jemand Stendhals Spiegel-Metapher »Roman vs. Wirklichkeit« assoziiert haben könnte, um es auf so etwas wie Gegenwart (Bilderflut, Sexualisierung) zu übertragen. Das dann wieder fallen gelassen, weil es falsch, zu konstruiert und zu platt wäre. Am Ende sieht man doch nur diese Halbnackte und ahnt den entsprechenden PR-Claim: »Hier kaufen, hier sexy« – so daneben wie möglich. Ich lese gerade Stendhals – laut Waschzettel – heiterstes Buch, Die Kartause von Parma. Auch darauf würde es sich nicht besonders gut machen. Mir würde keine Alternative einfallen. Vielleicht die Großaufnahme eines Auges? Nein, auch keine gute Idee.