Der Dorfplatz: ein niedergetrampeltes Areal vor der Angelina Jolie-Grundschule. Ein paar Bäume, im Schatten ein langer Tisch mit zwei Bänken, ein wenig wie in einem Biergarten. Und drei Hängematten für das Dösen in der Mittagsonne, wenn nichts mehr geht, 41 Grad, 42 Grad, im Verlauf des Aprils wird es noch heißer werden.

Etwas abseits sitzen auf Campingstühlen drei Uniformierte. Der eine ist der reguläre Dorfpolizist, die beiden anderen sind aushilfsweise da, von irgendjemandem zu unserem Schutz abkommandiert.

Es gibt, das ist mir schon auf dem Flughafen aufgefallen, viele Sicherheitsleute in Kambodscha. Vor den Mopedtaxifahrern paradierte ein Zwanzigjähriger mit Schlagstock und gut sichtbaren Handschellen auf und ab, er sah aus, als hätte er keine Probleme damit, den Schlagstock zum Einsatz zu bringen. Die Armee, wird Leak irgendwann in diesen Tagen erzählen, hat eine Stärke von etwa 150.000 Mann, lauter Freiwillige, Soldaten haben immerhin zu essen und eine Unterkunft in der Kaserne, alles Infanterie, die Marine besteht aus ein paar Küstenbewachungsbooten, die gelegentlich einen vietnamesischen Fischkutter aufbringen, die Luftwaffe, alte Migs und ein paar Helikopter, ist schon seit Jahren nicht mehr in der Luft gewesen, es fehlt an Geld, den Krempel zu überholen. Ansonsten: die üblichen Drittweltbewaffnung, chinesische Nachbauten russischer MGs und ähnliches. Unter der Herrschaft von Pol Pot, hat man gelesen, sind die Leute mit Spitzhacken und Hämmern erschlagen worden, weil sich die Khmer Rouge ihre Munition für die Vietnamesen aufsparen wollten; soviel zu den Vorzügen einer nicht hochgerüsteten Nation.

Die Dorfkinder sind zur Begrüßung angetreten. Wir sind ein wenig verlegen, sie sehr schüchtern, sie wissen nicht, was das alles soll, ich habe keine Ahnung, was ihnen erzählt worden ist. Wir bekommen Blumen überreicht. Wir versuchen, der Situation das Offizielle zu nehmen, machen Scherze, wahrscheinlich ist das immer so, wenn reiche Menschen plötzlich in ein armes Dorf einfallen. Ich kann mir gut vorstellen, wie unheimlich das alles für sie ist. Es ist ja auch für mich unheimlich. Man steigt in Hamburg in ein Flugzeug, hat sich auf dem Terminal noch die Che Guevara-Nummer von Stern Biografie gekauft, man hat während des Flugs noch ein wenig über Pol Pot und die Khmer Rouge nachgelesen, und einen Tag später steht man in einem armseligen Kaff und starrt armselige Kinder an, die einen anstarren. Wahrscheinlich könnte jeder Flugkilometer Dutzende kambodschanische Dörfer ein ganzes Jahr lang ernähren. Man weiß seit langem, dass man in einer Welt lebt, in der man ununterbrochen solche Rechnungen aufmachen könnte, aber man kann es immer noch nicht lassen, über solche Rechnungen zu staunen. All die Vermittlungen, all die Kurzschlüsse des Kapitalismus, sehr unheimlich, immer noch.

Was eigentlich soll man mit Blumen anfangen, die einem auf dem Dorfplatz eines kambodschanischen Kaffs übergeben werden?






"Angelina-Jolie-Grundschule" hört sich eher an wie eine Location aus einem 80er-Jahre-John-Carpenter-Dystopiafilm. Aber die Dystopien, die wir entwerfen, gelten ja immer nur für unsere eigenen Gesellschaften. Und sind alldem ringsrum nachgebildet.