Manés Sperbers Romantrilogie Wie eine Träne im Ozean lesend - eine Lektüre, über die noch zu berichten sein wird - stoße ich immer wieder einmal auf den Ausdruck Konzlager für Nazi-Konzentrationslager. Eine Google-Anfrage mit diesem search term führt zu Websites, die mit Russland zu tun haben und in denen "Konzlager" sowohl für Nazi-Lager als auch für Orte des Gulags steht - darunter ein recht interessantes studentisches Projekt zum Lager Solovki (Forschungsberichte, Hausarbeiten, ein Reisetagebuch usw.). Und zum ersten Mal frage ich mich, woher eigentlich die Abkürzung KZ kommt, die Nazis kürzten die Lager ja offiziell noch mit KL ab, kurze Suchmaschinen-Konsultationen ergeben widersprüchliche Auskünfte: die Abkürzung KZ wäre auch schon im Dritten Reich gebräuchlich gewesen / erst nach dem Krieg entstanden. - Beim Suchen ist mir übrigens auch die vorzügliche, vom Institut für Strafrecht an der Universität Amsterdam betreute Website Justiz und NS-Verbrechen untergekommen, eine systematische Übersicht der von deutschen Gerichten wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen durchgeführten Strafverfahren.
So'n mist
jetzt bin ich mitten im posting wieder ausgeloggt worden und alles ist verschwunden. Also ich hatte hier den brief eines psychiaters dr. med. Friedrich Mennecke (NSDAP, SS, anstaltsleiter im Rheingau) zitiert, der ("Liebes Muttilein!" usw.) auf "Selektionsreise" aus Oranienburg an seine frau schreibt und in einem brief vom 7. April 1941 die abkürzung K-Z (mit bindestrich) verwendet. Bei Kogons "SS-Staat" (Dez. '45) steht nur "KL"; bei Klemperers "LTI" fast zur selben zeit häufig "KZ". Deshalb meine vermutung, dass das zackigere "Ka-zett" über alltagssprache, witze und halboffiziellen blockwartsjargon sich schon ziemlich am anfang durchgesetzt hat und "KL" nur noch auf dem papier vorkam. Bis die deutschsprachigen historiker ende der 50er anfingen, sich damit zu beschäftigen, wurde auch nur noch "KZ" geschrieben. Frei (Der Führerstaat, 1987), bei dem der Menneckebrief zitiert wird, schreibt dann allerdings wieder "KL"; vermutlich ein gewisser revisionsdrang oder einfach das aufbegehren gegen die älteren in der schrumpfform akribischer quellentreue. Ach, und in der "Enzyklopädie des Nationalsozialismus" (Benz u.a. 1999, Digitale ausgabe) findet sich nichts zur etymologie. Wenn ich noch was finde, kommt's hierher.
Rheingau,
wie mir gerade auffällt, sieht in diesem zusammenhang erst so richtig scheisse aus. Die angabe steht so in dem dtv-büchlein von Frei und bezeichnet m.w. irgendsoeine diffuse region in der nähe von Wiesbaden, nicht aber einen nazi-verwaltungsbezirk (siehe hier). Wollte ich nur für die jüngeren und flüchtigeren unter deinen leserinnen noch eingeschärft haben. Sieht scheisse aus!
Vielen Dank
für die prompte und interessante Auskunft. Was mich beschäftigte, als sich mir die Frage stellte, war genau das "Zackige" , von dem du sprichst. KaZett hört sich einfach viel bedrohlicher an als KaEll, und die Vermutung liegt nahe, dass es einen Zeitpunkt gegeben haben muss, zu dem sich das Bedürfnis nach "Emotionalisierung" gegen die "korrekte" Abkürzung durchgesetzt hat, als Abkürzung kann man nach den üblichen Regeln des Abkürzens ja nicht auf KZ kommen.
Genau das richtige morgens um vier.
Auch wieder interessant war mir die feststellung, dass bis weit in die 80er hinein der ganze komplex antisemitismus-diskriminierung-verfolgung-verschleppung-zwangs- und sklavenarbeit-ermordung - also ganze gesetzeswerke, verwaltungsvorschriften, dienstwege und ein riesenapparat mit zeitweise mehreren tausend lagern und neben- und aussenlagern, der ja hinter dem wort "holocaust" schon weniger gross aussieht, als er war, in den sogenannten standardwerken und handbüchern oft in einem kapitel abgehandelt wurde, das so durchschnittlich 2-3% der gesamten textmenge umfasst. Ein weiteres indiz für eine ziemlich frühe durchsetzung der verbalen drohgebärde Ka-zett ist der hier und da auftauchende hinweis, dass ein terrorregime nur funktioniert, wenn allgemein wenigstens ungefähr bekannt ist, worin die drohung besteht. Vor allem am Anfang, als es noch nicht in jeder kleinstadt sichtbar zwangsarbeit gab, der terror aber relativ ungeregelt (horribile dictu) ausfiel, dürfte sich "KZ" als mittel angeboten haben, gleichsam onomatopoetisch auf die vielen temporären folterkeller zu referieren und dabei noch den "Schutzhaft"-euphemismus abzuwehren. Euphemismen mögen die leute ja fast genauso wenig wie kommunisten. Zu dumm, dass wir alle so blutjung sind, sonst könnten wir einfach die eltern fragen, die sich vielleicht noch erinnern wollen können müssten.
Eltern nicht...
... aber Grosseltern. Der Münchner Spruch war: "Der kummt nach Dachau." KaaZETT klingt nicht Bayrisch.
Onomatopoetisch
Meine Großeltern kann ich dazu leider nicht mehr einvernehmen, sie sind alle schon tot. Ich kann mich aber erinnern, dass bei jenen mütterlicherseits immer von KZ die Rede war. Sie meinten damit das von Mauthausen, in ungefähr 30 Kilometern Entfernung von ihrem Hof gelegen, und sie hatten aus zweierlei Gründen eine besondere Beziehung dazu: Zum einen hatte man recht bald nach der Okkupation Österreichs den Pfarrer aus dem kleinen Kaff, in dem sie lebten, und der wohl aus frommen Gründen Anti-Nazi-Predigten gehalten hatte, verhaftet und ins KZ verschleppt (ich weiß nicht in welches, und damals handelte es sich auch noch nicht um Vernichtungslager; ich nehme an, es wird Dachau gewesen sein, wo ja zunächst viele österreichische Nazi-Gegner weggesperrt wurden...). Zum anderen gab es - zu Ende des Kriegs - die berüchtigte "Mühlviertler Hasenjagd", bei der eine Gruppe sowjetischer Gefangener, denen die Flucht aus Mauthausen gelungen war, unter tätiger Mithilfe der Bevölkerung von der SS ein paar Tage lang zu Tode gehetzt wurde; einer von den wenigen, die damals entkommen sind, hat überlebt, weil ihn die Leute aus dem Dorf meiner Großeltern, darunter so etwas wie ein Großonkel von mir, in einer Scheune versteckt und bis zur Befreiung durchgefüttert haben. Wann immer sie darüber erzählten - nicht oft, nicht viel, es handelte sich nicht um eloquente Leute, sondern um Kleinstbauern, die kein Aufheben um sich machten - war immer die Rede vom KZ und, wenn sie über "den Russen" sprachen, vom "KZler".
- Deine Ausführungen über das Bekanntmachen des Terrors durch die Nazis stimmen natürlich alle. Meine Mutter zum Beispiel, 1936 geboren, wusste als Kind ganz genau, dass "geistig behinderte" und sonstwie aussortierte Kinder in Hartheim weggesperrt und gespritzt (i.e.: zu Tode) wurden, das muss also damals in der Gegend um Linz als allgemeine Drohung bestens bekannt gewesen sein (und für die Bauern, wo es ja relativ viele solcher Fälle gab, auch ein beständiger Schrecken...).
Für die Erfindung des Drohlauts KZ schon im Hitlerreich spricht natürlich auch, dass die Nazis beim corporate design ihres Terrors ohnehin nicht unbegabt waren. SS hört sich ja auch von vornherein wie eine Todesdrohung an, und selbst der Laut KdF verlangt, dass der Hörer die Hacken zusammenschlägt.
(Da fällt mir noch ein: Adorno hat, ehe er ins Exil ging, in Deutschland noch ein paar Texte unter dem eigenartigen Pseudonym Hektor Rottweiler veröffentlicht, er hatte für solche Dinge ja immer ein feines mimetisches Sensorium.)