Da war er wieder, unerbeten und unerheblich und ganz sicher auch peinlich, ich weiss gar nicht warum, da war dieser Ekel wieder da. Ich habe bloß den Stern gelesen und danach Max, oder umgekehrt, so wie ich alles lese, ich muss ja, ich muss alles lesen, das ist mein Job, und ausserdem dürste ich danach, hassen zu können, Tag für Tag. Es geht nicht anders, es ist ja auch egal, so wie alles egal ist, man kann da gar nichts machen, ausser es sich einzugestehen, und ich weiß es ja auch schon längst, wie egal alles ist, also besteht kein Grund für Ekel, aber plötzlich war er wieder da, und das einzig Gute daran war, dass dieser Ekel mir wenigstens bewies, dass ich doch nicht nur eine Fleischmaschine bin, wie Viktor Tesla, Erfinder der Teslaturbine und der Fernbedienung, dessen wundersame Biographie ich gerade lese, wie Viktor Tesla also die Menschen nennt; als ich auf die Stelle stieß, musste ich noch lachen, so wie ich immer über gelungene Sarkasmen lachen muss, habituell sozusagen; jetzt nicht mehr: wann hätte man je gehört, dass eine Maschine, und sei sie auch aus Fleisch gemacht, des Ekels fähig wäre...

Erlöst uns das? Nein, es erlöst uns nicht. Man wäre lieber eine Fleischmaschine als diesen Ekel zu haben, den man nicht mehr los wird, manchmal zieht er sich zurück, man hielte es anders gar nicht aus, aber das sind nur Konzessionen, die er macht.

Der Ekel also. Diesmal meldete er sich wegen der 68er, des GirlCamps und weil das Rabattgesetz zu Ende geht. Im Stern, im Max: zwei 68er Geschichten, jede Menge Ratschläge, wie man den Scheiss, den man kaufen will, um ein paar Pfennige billiger bekommt, und während ich das las, lief GirlCamp - denn wenn ich mich quäle, dann richtig, ich weiss auch nicht, was das ist mit mir.

Und da waren sie alle, die großen Brüder und die großen Schwestern, wenn ich große Brüder und große Schwestern hätte, wären sie 68er gewesen, vom Alter her. Und nun erzählten sie, was sie damals gemacht hatten und was sie heute machen, und dass man damals eben so war und dass sie heute eben so sind, und dass sie nichts zu bereuen haben, und dass die Zeiten andere waren und heute tragen wir Pelz, heute ist das anders und, non, je ne regrette rien.

Man hört solche Geschichten in einem Leben hunderte Male, und hunderte Male denkt man sich nichts dabei, und man erzählt solche Geschichten ja unaufhörlich selbst, und was ist schon dabei? Aber diesmal konnte ich nicht drüber hinweg lesen und es gleich wieder vergessen, wie ich es sonst tue, meine Güte, irgendwie muss man ja eine Zeitschrift füllen, und es macht sich immer gut, wenn sich Leute erinnern und dann ist ja doch was aus ihnen geworden, immerhin haben sie Biographien, wenigstens ein wenig.

Diesmal gelang mir das nicht, und weil es mir nicht gelang, kam der Ekel, dieser dumme Ekel, den man lieber nicht hätte, no fun at all. Wieso Ekel? Ich weiss es, natürlich weiss ich es, aber es zu sagen, ist etwas anderes - sagen heisst argumentieren, der Ekel argumentiert aber nicht, er überschwemmt einen bloß.

Der Ekel hat damit zu tun, dass das alles jetzt bloß eine Anekdote ist, eine Geschichte, eine nette kleine Trophäe in der Biographie, ein kleines Lächeln beim Erzählen, wie man sich an einen netten One-Night-Stand erinnert, schon toll, wie man mal gewesen ist, was man so alles erlebt hat. Es ist Verrat, könnte man also sagen, wenn man pathetisch wäre, und natürlich empfindet man den Ekel nur, wenn man zu Pathos neigt, wie ich, und ich weiss, dass ich es längst besser wissen müsste, und ich weiss es ja auch längst besser. Verrat also. Jetzt tun die großen Brüder und die großen Schwestern so, als hätten sie bloß ein paar Streiche begangen, und komm, wir haben doch längst gelernt draus, jeder macht so ein paar Streiche, was soll's, und irgendwann füllen wir die Zeitschriften, und zwar alle davon, und alle in derselben Woche, mit unseren lustigen Streichen aus unserer wilden Zeit, und schon wieder ist etwas verraten und verramscht und verkauft. Sehr naiv, das Verrat zu nennen, muss ich schon sagen. Ja, genau, naiv, richtig, gut erkannt. Und genau an dieser Stelle müsste ich alles bis zu dieser Stelle markieren und dann die Löschtaste drücken und schön wäre alles wieder weg und niemand würde wissen wie naiv und wie peinlich ich bin. Nein, es soll stehen bleiben.

1968, 1977, GirlsCamp, Rabattgesetz. Es ist alles nur ein und dasselbe: Zeug, das in Zeitungen steht, Fernsehsendungen, Spektakel, Gefasel, Geschwätz. Manchmal hält man das nicht mehr aus.

Als ob es wichtig wäre, dass man das aushält. Als ob es wichtig wäre, zu sagen, dass man das nicht aushält. Es ist eigentlich völlig egal, ob man es aushält oder nicht. Es ist überhaupt nicht wichtig, wichtig ist, dass es weitergeht, wie es immer weitergegangen ist, immer bloß weiter. Das ist der Grund für den Ekel, natürlich, dieses Immerwiederweitergehen, aber das ist natürlich so lächerlich, so hirnverbrannt, als ob man das nicht wüsste, und natürlich weiss man es auch. Es gibt kein Problem. Die Welt geht weiter. Daran ist nichts überraschend. Man muss sich nicht wundern, dass 20, 30, 40 Jahre danach alles nur Anekdote ist, Füllstoff, Erinnerungslächeln, wir waren ja alle jung, wir werden selbst so sein, also gib Ruhe mit deinem blöden dummen kindischen Ekel.

Was können die 68er und die 77er dafür, dass es das GirlsCamp gibt und dass die Leute sich den Kopf darüber zerbrechen sollen, wie sie ab Juli überall ein paar Kreuzer herausholen beim Kaufen. Nichts können sie dafür, nichts, gar nichts. Und wenn dich das nicht interessiert, dann guck doch nicht hin und lies halt ein gutes Buch und niemand zwingt dich dazu, dir das anzutun, schalt halt aus, geh schlafen, schlaf mit deiner Frau, es zwingt dich doch keiner dazu.

Stimmt alles. Nur dass der Ekel das nicht so sieht. Der Ekel sagt: im GirlCamp, das der SpringerVerlag eingerichtet hat, im GirlCamp also sitzen zehn Frauen, deren Job es ist, rumzusitzen und manchmal im Swimmingpool zu schwimmen und manchmal zu duschen, aber bitte so, dass man ihre Titten sieht, und natürlich sollen sie miteinander reden und sich dann nicht vertragen, und dann sollen sie sich streiten, und zwischendurch sollen sie Aerobic machen und einander Aerobic-Befehle erteilen, eins zwei drei, und wenn sie am Pool liegen, sollen sie Stringtangas tragen, damit sich jeder denkt, wie schön es doch wäre, wenn der Stringtanga nicht da wäre und man statt des Stringtangabändchens gleich die Möse sehen könnte, und vergesst ja nicht das Mikrophon, und einmal die Woche kommt ein Typ zu diesen Mädchen, und ihr habt ja alle beim Casting gesagt, dass wenn es der Richtige ist, ihr vielleicht auch mit dem ins Bett geht, und wer weiss.

Das ungefähr ist die Vorstellung, die der SpringerVerlag 2001 von Frauen hat, und wahrscheinlich hat er sogar recht damit, denn es gibt natürlich hunderte und aberhunderte Frauen, die sich für diesen Job beworben haben, denn was kann ein Mädchen heutzutage anderes tun, als genau das. Und meine Güte, vielleicht komme ich groß raus und dann bin ich Popstar oder wenigstens in den Charts, und vielleicht reicht es ja, dass ich einen besseren Job bekomme als den Scheissjob, den ich jetzt habe, und falls nicht, dann habe ich wenigstens eine Erfahrung, und ehrlich gesagt, man kann ja keine Erfahrungen mehr machen. Das sagen sie natürlich nicht, weil sie zu blöde sind, um so etwas zu erkennen, aber wenn sie nicht so blöde wären, wüssten sie: dass das GirlsCamp von all den Erfahrungen, die man als Frau 2001 machen kann, vermutlich sogar noch eine der spannenderen ist. So ungefähr.

Man sieht das alles und man müsste es gar nicht sehen, man könnte es auch lassen, aber gestern konnte ich es nicht, gestern sah ich hin und ließ mich vom Ekel überfluten. Und all den Ekelfragen: Was das kostet. Wer sich das ausgedacht hat. Wieviele daran arbeiten. Wie sie das jetzt zu retten versuchen, weil es doch nicht so geil ist, wie man das den Menschen versprochen hat. Wie alle darüber schreiben, die einen so, die anderen so. Und ich natürlich auch, weiss ich ja.

Und schon wieder haben wir eine Sekunde, Minute, Stunde weniger, in der wir auf die Idee kommen könnten, dass die Welt nicht so sein müsste. Und immer wird es so weitergehen. Und sie werden Popstars werden oder nicht, sie werden nackt duschen oder nicht, sie werden irgendwann mit einem von den Typen, die da reinkommen ficken oder nicht, sie werden in die Talkshow kommen oder nicht, der Spiegel wird es verurteilen, Reinhard Mohr wird darüber schreiben, der Stern wird eine Titelgeschichte bringen, und auf Max Online stehen die schärfsten Fotos von den Girls, und ich werde mich ekeln und morgen wieder nicht mehr.

Genau so wird es sein oder nicht, und es wird egal sein, es wird alles wie immer egal sein, und das ist das einzig Entscheidende daran.

Die Erde wird nicht erzittern, niemand wird Angst haben müssen, nichts wird sich verändern, alles wird immer so sein, wie es immer schon war.

Und wenn es jetzt Leute gäbe, die auf die bescheuerte Idee kämen, man, die Welt, das Leben müssten sich nicht mit Girlscamps und Rabatten begnügen, und wenn diese Leute sich nicht nur mit dieser Idee begnügten, sondern auch dafür kämpften und Krieg führten - denn es steht fest, dass man das alles nur mit einem anständigen Krieg wegbekäme, nur mit einem Aufstand, und keinesfalls mit Umkehr, Neuem Denken und all dem Scheiss, den man den Machtlosen verschreibt, damit sie an der Macht zwar verzweifeln, sie aber nicht abschaffen -, wenn es diese Leute also gäbe, (und ich wünschte, es gäbe sie, denn wenn es sie gäbe, würde ich wissen, was ich tun könnte anstatt pathetisch und naiv und lächerlich zu sein), wenn es diese Leute also gäbe: würden sie doch nur verlieren. Und sie wären auch bloß nur Nachrichtenmaterial und Titelgeschichtenstoff und Talkshowgäste, und in 20 Jahren würden sie erzählen, wie sie 2001 auf die Idee kamen, die Erde zum Zittern zu bringen, und man müsste das aus der damaligen Zeit verstehen, aber dann hätten sie doch eingesehen, dass der Aufstand die falsche Strategie wäre.

Und alles wäre wie immer dasselbe. Das habe ich gestern begriffen. Man könnte auch sagen: Diese Welt ist es nicht wert, Revolutionär zu sein. Deswegen habe ich mich geekelt. Nicht zuletzt auch vor mir.