sind die quälenden Viertelstunden nach neun morgens. Wenn man sich gewöhnlich aufmacht in den Tag. Sonst wäre ich längst auf dem Rad und unterwegs in die Stadt, mein Rechnerlein in der Tasche, die Mütze in die Stirn gezogen, einem Arbeitstag entgegenstrampelnd. Aber da ist kein Arbeitstag, keine Arbeit und trotzdem ein Tag. Gegen elf hört das Gefühl wieder auf. Der Tag läuft und die Uhr tickt. Das Vakuum der Zwischenzeit nagt an der Substanz. Irgendwann wirst du schon wieder einen Job finden, sagt sie. Du bist gut und kannst so viel. Was du schon alles gemacht hast. Kann doch nicht sein, dass das niemand brauchen kann. Das ist nur eine Durststrecke und sie wird aufhören, wirst schon sehen. Du musst Vertrauen in die Zukunft haben, sagt sie. Wenn die Kleine den Morgenschlaf macht, beginnt meine Zukunft. Einloggen, Jobbörsen abklappern. Mit jedem Klick ein wenig mehr in sich zusammensacken. Den Tag rumbringen. Mit der leeren Tasche aufbrechen und keinen merken lassen, dass man nicht mehr gefragt ist da draussen. Die kleinen Gottesurteile suchen: wenn ich diese Ampel noch bei orange schaffe, dann wird alles wieder gut. Wenn ich durch die Tür bin, bevor sie zufällt, wird alles gut. Wenn ich auf den Aufzugsknopf drücke und der Aufzug schon da ist, wird alles gut. Wird alles gut. Wird alles gut.






.. und man schämt sich auch noch dafür, man sucht Schuld bei sich, nicht immer, nicht am Anfang, aber immer öfter. Fragt sich eines Tages, wozu man überhaupt noch "nützlich" ist. Verliert nach und nach die Lust an allem und auf alles. Hadert ab und zu mit dem Schicksal, leise oder laut, aber auch mit sich und anderen. Will nichts hören, keine guten Worte, kein "Kopf hoch", weil es wie Hohn klingt für jeden, der gerade mal den Kopf hängen lassen muß, der sich sein ganzes Leben lang bewiesen hat, daß er ein fähiger Mann ist und ein guter Mann ist, der aktiv Verantwortung übernommen hat, sich engagiert hat und das jetzt nicht mehr "darf". Man zieht sich zurück, man könnte im Grunde auch im Bett bleiben, man ängstigt sich, daß man denen zur Last fällt mit seinen Sorgen, die einem lieb und teuer sind und für die man gerne wieder der sein will, der man war. Der Gang zum Briefkasten oder Mülleimer wird eine tagesfüllende Anstrengung. Man möchte wieder eine Rolle spielen im eigenen Leben und im Leben der anderen. Ich hatte Glück in einer ähnlichen Situation, bin - nach längerer Zeit "ohne alles" - wieder auf die Beine gekommen (nicht ohne Fremdhilfe). Glück gehört dazu, weil man nicht alles allein in der Hand hat und nicht alles allein schaffen kann. Ich jedenfalls kann das nicht. Und das wünsche ich Ihnen auch sehr, Glück zu haben. Was ich Ihnen eigentlich nur sagen wollte: ES IST ALLES NOCH DA, was Sie können und was und wer Sie sind. Es ist innerhalb einer Woche alles wieder sichtbar und fühlbar für Sie und andere, unverloren, sobald sich das Blatt wendet, in Ihnen oder in Ihrer Situation. Sie gehen daraus vielleicht nicht nur nicht geschwächt hervor, sondern gestärkt, auf eine Weise. So habe ich es erlebt. Lassen Sie den Kopf ruhig mal hängen, können und wollen mal nicht mehr; es passiert nichts Schlimmes dabei. Weil Sie mehr sind, als eine Rolle, ein guter Arbeiter, ein guter Mann. Sie sind auch ein liebenswerter Mensch, ein guter Vater, ein geliebter Mann. Es gibt niemals für Sie einen Grund, dieses Bewußtsein sich nehmen zu lassen oder sich selbst zu nehmen. So beschissen diese Zeit auch ist, an der Sie völlig unschuldig sind. Ich habe keine Stelle für Sie; ich weiß nichts besser, als Sie, kann nichts besser als Sie, habe keine Patentlösung parat; ich schreibe das hier auf die Gefahr hin, daß Sie sich falsch verstanden fühlen, mit altklugem "Gerede" belästigt, unterschätzt, ihre Sätze übertrieben interpretiert finden usw. (was nicht meine Absicht ist, verzeihen Sie, wenn es so klingen sollte); ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie nicht allein sind, auch jetzt nicht, in dieser Situation ; ich lese, was Sie schreiben, ich denke darüber nach, wie ich mich fühlen würde in Ihrer Situation, denke einen Moment an Sie und Ihre Familie - und ich habe Respekt vor Ihnen und lerne von Ihnen.


Danke dafür, Doc.