Ich hab mich oft gewundert, warum die linken Schriftsteller zum Aufhetzen nicht saftige Beschreibungen von den Genüssen angefertigt haben, die man hat, wenn man hat. Ich seh immer nur Handbücher, mit denen man sich über die Philosophie und die Moral informieren kann, die man in den besseren Kreisen hat, warum keine Handbücher übers Fressen und die anderen Annehmlichkeiten, die man unten nicht kennt, als ob man unten nur den Kant nicht kennte! Das ist ja traurig, daß mancher die Pyramiden nicht gesehen hat, aber ich finds beklemmender, daß er auch noch kein Filet in Champignonsauce gesehen hat. Eine einfache Beschreibung der Käsesorten, faßlich und anschaulich geschrieben oder ein künstlerisch empfundenes Bild von einem echten Omelette würd unbedingt bildend wirken. Eine gute Rindssuppe geht mit dem Humanismus ausgezeichnet zusammen. Wissen Sie, wie man in anständigen Schuhen geht? Ich mein in leichten, nach Maß, auf feinem Leder, wo Sie sich wie ein Tänzer fühlen, wer kennt das schon von euch? Das ist aber eine Unwissenheit, die sich rächt. Die Unwissenheit über Steaks, Schuhe und Hosen ist eine doppelte: Sie wissen nicht, wie das schmeckt, und Sie wissen nicht, wie Sie das bekommen können, aber die Unwissenheit ist eine dreifache, wenn Sie nicht einmal wissen, daß es das gibt. [Brecht, Flüchtlingsgespräche.]






Hat denn Brecht

diese Genüsse in seinem Werk beschrieben, um die Proletarier aufzuhetzen gegen die Herrschenden? Es ist etwas seltsam, sich über die anderen linken Schriftsteller zu mokieren , wenn man es selbst nicht besser macht. Ich muss allerdings zugeben, dass ich in seinem Werk nicht firm genug bin, um dies zu beantworten, aber so weit ich weiß, kannte er sich mit den angenehmen Seiten des Lebens recht gut aus. Man braucht nur an seine Zigarren zu denken, seine Frauengeschichten und dass er das Geld, das er hatte und das war nicht wenig, ziemlich gut verprasst hat. Savoir-vivre hatte er, das ist sicher.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, ich bin ein großer Fan von gewissen Teilen seines Werkes, insbesondere den frühen Sachen wie Baal, sowie dem guten Mensch von Sezuan, den Keunergeschichten und den Gedichten. Aber irgendwie kommt mir Brecht von seinen politischen Ansichten doch oft vor wie ein Salonsozialist. So richtig überzeugend ist sein Lebenswandel in Bezug auf sein politisches Bild nicht, finde ich.

Jetzt bin ich mal gespannt auf Deine Antwort, Peter, denn ich bin sicher Du hast da eine gute Riposte.


Mit guten Ripostes kann ich, was Brecht betrifft, nicht dienen: ich kenne seine Texte kaum, nicht gut genug, um mir Urteile über sein Werk erlauben zu dürfen. Mir ging das Lehr- und Parabelhafte meistens auf die Nerven, und das Programmpathos da und dort, aber, wie gesagt, ich habe nur eine oberflächliche Kenntnis. Die "Flüchtlingsgespräche" allerdings, die ich gerade gelesen habe, weil sie so vernachlässigt herumstanden im Bücherregal, haben mich ziemlich umgeworfen.

Die Frage, ob Brecht die Genüsse, deren Beschreibung eine seiner Figuren fordert, selbst auch beschrieben hat, kann ich also nicht beantworten. Ich weiß es nicht. Andererseits ist eine Theaterfigur eben nur eine Theaterfigur, und die Autoren-Programme, die so eine Theaterfigur sich ausdenkt, muss deren Autor ja nicht beherzigen. Ganz grundsätzlich eingewandt, und ich weiß schon selbst, dass grundsätzlich Eingewandtes immer dürr und abstrakt ist und nicht sticht, eine Retourkutsche, die nicht mitnimmt. Na ja, egal.

Dass aber jemand ein Salonsozialist gewesen ist, spricht weder gegen ihn noch gegen den Sozialismus. Das ist nur ein weitverbreiteter Irrtum. Der Sozialismus ist ein Programm zur Abschaffung der Klassen (auch der Arbeiterklasse), zur Abschaffung der Armut (auch jener, die sich selbst rein und unkompromittiert dünkt), zur Abschaffung der Arbeitsplackerei (auch jener, die Knochen und Geist für die Planerfüllung ruiniert). Der Sozialismus ist ein Programm zur Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums (zu dem eben auch Swimmingpools, Zigarren, Champagner und schöne Salons gehören), zur Vermischung der Leute, zur Vermehrung der Salons (und zur Verminderung der Fabrik), zur Ausdehnung der Zeit, die man für Frauen- und andere Liebesgeschichten zur Verfügung hat und zur Eindämmung jener Zeit, in der man sich mit Erwerb, Politik und ähnlichem herumschlagen muss. Deswegen ist gegen Salonsozialisten nichts einzuwenden; nicht für Sozialisten jedenfalls. Einzuwenden wäre höchstens etwas gegen allfällige Hochmut von Salonsozialisten, aber die kann man ja einem wie Brecht (oder sagen wir: Marx) nicht vorhalten. Und Menschen, die savoir vivre haben, werden vermutlich auch richtigere Gedanken denken als Menschen, denen man die Möglichkeit gar nicht erst gibt, savoir vivre zu entwickeln. Was nicht bedeutet, dass aus irgendeinem Lifestyle schon die richtigeren Gedanken folgen.


Wenn das so ist,

dann sind wir den Zielen dieses Programms ja schon recht nahe gekommen. Zumindest die Abschaffung der Arbeitsplackerei ist, falls sich die Arbeitslosigkeitsraten so weiter entwickeln in Deutschland ja nicht mehr so fern. ;-)

Ein anderes Programm zur Vermehrung des Reichtums ist der Kapitalismus, der mal wieder in der Krise steckt, aus der er stehaufmännchenmäßig unter Zuhilfenahme aller Selbstreinigungskräfte jedoch wahrscheinlich wieder herauskommen wird. Aber bei Sozialismus denke ich zumindest in der praktischen Umsetzung doch eher an Umverteilung des Reichtums als an Vermehrung desselben. Bei allen Praxistests hat sich glaube ich erwiesen, dass der Kapitalismus bei der Reichtumsvermehrung ganz klar die Nase vorne hatte. Oder denke ich da zu materialistisch?

Wenn es so ist, dass die Umverteilung die Hauptdifferenz zwischen Kapitalismus und Sozialismus ist, dann könnte ich mir denken, dass die Salonsozialisten, die eigentlich immer in einem kapitalistischen Staat leben, hierbei nur verlieren können. Ist ein sozialistischer Staat wirklich im Interesse der Salonsozialisten? Aber vielleicht sind die Salonsozialisten, die glaube ich eine aussterbende Spezies sind, Zyniker und innerlich davon überzeugt, dass das mit dem Sozialismus sowieso nie was wird. Vielleicht ist Salonsozialismus nur eine Methode sein schlechtes Gewissen ein bisschen zu beruhigen.

In einem Satz: Ich fand die Antwort auf meine zweite Frage zwar hochinteressant, aber so richtig abkaufen kann ich Dir das nicht, wie Du elegant den Widerspruch zwischen der Made im kapitalistischen Speck (dem Salonsozialisten) und dem hehren Programm des Sozialismus in einer Schlaraffenlandideologie aufgehoben hast.

Jetzt muss ich aber wirklich aufhören und ganz unsozialistisch ein bisschen arbeiten, es ist zwar keine richtige Plackerei, aber richtig Spaß macht es auch nicht, den überbordenden Schreibtisch aufzuräumen und die Steuererklärung vorzubereiten. Zur Vermehrung meines persönlichen Reichtums und zur Verminderung des Reichtums des Staates.


watt is mit wiglaf

droste, immerhin gibt der ein essfanzine mit heraus. motto: ab jetzt wird der gürtel weiter geschnallt


Re: Back to basics.

hm, mir klingt das ein bisserl zu sehr nach eliza doolittle. ansonsten hoffe ich, der urlaub war fein, und bin froh, dass du wieder online bist.


doo, little.

eliza: weiß nicht, ist ja, glaube ich, nicht als anpassungspädagogik gemeint, sondern zur aufhetze. meine frage wäre eher: ob so was funktionieren könnte. die beschreibungen über die filets in champignonsauce, die diese brecht-figur fordert, gibt es mittlerweile zuhauf an jedem bahnhofskiosk. andererseits: er hat schon recht damit, wenn er diese bescheidungsideologie verhöhnt. die vorstellung, sozialismus wäre so was wie einander-ganz-doll-liebhaben und am lagerfeuer sitzen und lieder singen, hat schon was ödes.

urlaub: ja, sehr fein.

und die holthusenbaderzählungen gerne gelesen. als ich noch da in der nähe gewohnt habe, war ich ein dreivierteljahr lang jeden abend da, in der kelle, wie die locals sagen. am schönsten war es, im winter draußen zu schwimmen, der dampf, der vom pool aufstieg. empfehlenswert, falls sie das noch haben, sind die langen saunanächte einmal im monat. mozart, kerzenbeleuchtung, und im thermenwasser treiben glückliche dicke frauen in den armen ihrer ehemänner und glucksen selig, weil alles so leicht ist. und weil sie viel sekt getrunken haben. ganz unhamburgisch.


doo, wap, doo, wap.

ja, die saunanächte hab ich schon in erwägung gezogen. obwohl, noch bin ich ja mit der abtastung des hamburgischen beschäftigt, sodass mir das unhamburgische wohl eher alles durcheinander bringen würde. mal sehen. eliza: ich hatte das mit dem "aufhetzen" nicht ganz kapiert, weil mir nicht klar wurde, ob das genußreiche champignonschnitzeldasein nun als anzustrebendes ziel oder als empörendes schreckbild gemeint war (von wegen: und für solche luxuskinkerlitzchen beuten die uns aus, doo). "aufhetzen" klingt ja nach letzterem, die beschreibung klang nach ersterem. hm. ich denke noch ein bisserl an luxus/genuß, sozialistischen zielsetzungen und der eigendynamik herum, die luxus und genuß so entwickeln. mir scheint ja fast, das mit dem luxus und der wertigkeit des je höchsten genusses entwickelt immer die eigendynamik der sich selber höher hängenden karotte, sodass die aufhetze immer so eine bleiben muß. was dann den mit genußzielen motivierenden salonsozialisten von den mit ebendiesen antreibenden kapitalisten unterscheidet, weiß ich jetzt grad nicht. oder ging's ohnehin nur um aufhetze als auftrieb, unabhängig von realisierbarkeiten und tatsächlichen zielen?


Re: Back to basics.

Brecht hat Recht. Ich gelobe Besserung.