Saal II. - Es ist kälter geworden, die Leute haben immer noch tapfer T-Shirts an, Trotz gegen das Sommerende. Sonntagnachmittag, die Zeit, in der wir in Cafés sitzen und der Samstagnacht hinterherdenken, in Freundschaftspaaren, manchmal sind es vier, Pulks sind es an Sonntagnachmittagen nie. Ich sitze draußen auf der Straße, als einziger, mir ist danach. Autos fahren vorbei, Fußgänger vorbei, alles geht weiter. Es gibt ein Frühstück Olli, ein Frühstück Nik, ein Frühstück Schorsch, ein Frühstück Schorsch Käse. Vielleicht sind es Liebhaber gewesen, denke ich, die jetzt anderer Leute Liebhaber sind, aber immer noch in wohliger Erinnerung, ich möchte auch einmal ein Frühstück werden, ohne Käse. Bald kommt der Herbst, dann kommt der Winter, dann zieht es sich noch monatelang hin, bis die Sonne wieder stabil und massiv ist, drei vier fünf Tage lang. Ich müsste in Spanien leben, es entspräche meinem Biorhythmus so viel mehr als Deutschland. Erst abends essen, hinterher ausgehen, in die Nacht hinein. Mein Traum wäre es, jemand würde mich dafür bezahlen, dass ich mein Leben aufschreibe, Tag für Tag, Nacht um Nacht, manchmal würde ich mich aufregender geben als ich bin, manchmal etwas verschweigen. Und immer noch finde ich es so erstaunlich, dass ein Satz wie "ich sitze auf der Straße vor dem Saal II und trinke Kaffee" jahrhundertelang herumleben kann, hat man ihn erst einmal aufgeschrieben. Die Buchstaben, eine Antiverflüchtigungsmaschine, man denkt zu selten darüber nach. Heute morgens wusste ich nicht mehr, in welchem Jahr der 11. September stattgefunden hat, 2000 oder 2001 oder 2003, ich musste warten, bis M. vom Rudern zurückgekommen war. Ich hab mir beim Kaffeetrinken und Frösteln ein Liebespaar vorgestellt, heute nacht, sie liegen im Bett und er hat seine Hand auf ihrem Bauch und plötzlich fällt ihr ein, dass der elfte September ist und er, der in jener Zeit seine Hand auf ihren Bauch gelegt hat, nicht mehr zurückkommen wird, nie mehr, tut mir leid, sagt sie, und er, der seine Hand jetzt auf ihren Bauch legt, sagt irgendetwas Freundliches, dass es okay ist oder dass sie sich nicht entschuldigen muss oder so etwas in der Art, und vielleicht gehen sie noch einmal hinaus und trinken etwas. Dass alles immerzu verschwinden muss, der Sommer, die Menschen, ich jetzt auch, Buchstaben, ach was.






Bleib doch noch ein bisschen.


Sätze wie "ich sitze auf der Straße vor dem Saal II und trinke Kaffee" werden überleben, weil sie immer noch aufgeschrieben werden. Und weil die Zahl derer, die solche Sätze lesen wollen, vielleicht sogar lesen müssen immer ungefähr gleich bleiben wird. Umso wichtiger ist es, dass diese Sätze auch weiterhin geschrieben werden, nur dann bewahrt man sie vor dem Aussterben.


ihr müsst nicht so oft so viel für überdruss depression &sw. halten. ihr könnt, aber es ist nicht nötig, nicht von mir aus.


Nein, nein. Depression und Überdruss sehe ich gar nicht in Sätzen wie "ich möchte auch einmal ein Frühstück werden", eher wabi/sabi, das ästhetische Prinzip des Vergänglichen oder so ähnlich, und mono no aware, das Sichanrührenlassen von den Dingen. Ich meinte: bleib doch noch ein bisschen, es ist gerade so schön. Und überhaupt gar nicht traurig.


dannistjagut


schorsch und olli sind die ursprungsgründer, hatten früher mal den caspar´s ballroom in der talstraße und später heinz karmers tanzcafé in der budapester. schorsch hatte vor ein paar jahren keinen bock mehr und hat nach lissabon runtergemacht, betreibt da jetzt eine nette bar, die nachts so voll ist mit tollen leuten, dass man zum atmen vor die tür muss. er wohnt am anderen ufer des tejo, am frühen abend fährt er mit der fähre rüber (das ist der schönste arbeitsweg, den ich kenne, die scheiben sind milchig verschmiert von seesalz, es wackelt ordentlich, und mit welcher stillen hingabe die anderen passagiere, alles locals, hinausschauen!), frühmorgens dann zurück, noch nachtkühl draußen. damals, in den anfangstagen des saal, hat er vor begeistertem publikum manchmal die schönsten stellen aus seiner jura-examensarbeit vorgelesen. beim bolzen gibt er keinen ball verloren. übrigens habe ich den verdacht, dass er die ran-datenbank auswendig kann.


deeply.moved.but.you.already.know