Ha Jin, Im Teich, dtv 2001 (im Original: 1998)

Nach Verrückt enttäuschend. Der Arbeiter und Freizeit-Kalligraph Shao Bin wird bei einer Wohnungszuteilungsrunde übergangen. Von da an führt er einen nervend rechthaberischen Kleinkrieg gegen die korrupten, intriganten und sowieso doofen Fabriksleiter und Orts- und Provinzparteiführer. Er schreibt Leserbriefe und Eingaben, beschwert sich bei den Chefs der Chefs, lässt nicht nach. Am Ende bekommt er, was er will, und einen neuen Job noch dazu, muss nicht mehr in der Fabrik stehen, sondern darf für die Propgandaabteilung pinseln. Na toll. Will man einen Roman lesen, in dem ein Unterhansel sich beim Oberhansel über die Mittelhansel echauffiert, bis er selbst zum Mittelhansel wird? Ich nicht. Ja gewiss, wahrscheinlich erfährt man darin, wie es im kontemporären China zugeht; aber das hatte man sich schon selbst gedacht, dass es auch dort zäh und kleinlich ist.

Peter Rühmkorf, Tabu II, Tagebücher 1971-1972, Rowohlt 2004

Rühmkorf hat eine Schreibkrise und schreibt darüber. Rühmkorf hat ein mickriges kleines Verhältnis mit einer Gymnasiastin, die sich gemeiner- und unverständlicherweise in ihn verliebt und deswegen rumzickt. Rühmkorf findet Ulrike Meinhof doof und schreibt darüber. Rühmkorf hat mit seinen Theaterstücken keinen Erfolg und schreibt darüber. Rühmkorf findet, seine Konkurrenten auf dem literarischen Markt sind überschätzt, und schreibt darüber. Unangenehmes Buch. Sehr unangenehmes Buch. Es fühlt sich so an wie sich früher die Tage angefühlt haben, an denen ich in Eppendorf einkaufen gehen musste, an den Strickpullovern aus den 70ern vorbei. Immer, wenn man instinktiv dachte, dass Eppendorf und die Strickpullover die besten Tage hinter sich hätten, fragte die Vernunft nach: ob sie denn je beste Tage gehabt hätten, und dann fiel einem immer nur ein Nein ein. Ohnehin ist nichts so sirupekelig wie Dichterselbstliebetagebücher.

Karl-Heinz Ott, Endlich Stille, Hoffmann und Campe 2005

Schöner Roman. Ein Spinoza-Spezialist steigt in Straßburg aus dem Zug, noch im Bahnhof wird er von einem ihm völlig Unbekannten angequatscht und danach bis zum Ende des Romans behelligt. Der Verfolger nistet sich bei ihm in Basel in der Wohnung ein, geht mit ihm jeden Abend bis zum Vollrausch trinken, macht das ohnehin mickrige Sozialleben noch kaputter. Eine Zudringlichkeits-, Belästigungs- und Grausamkeitsmaschine, von gut austarierten Perioden in Gang gehalten, beim Lesen fühlt man sich sehr, sehr hilflos.

Alina Reyes, Die siebte Nacht. Bloomsbury 2005.

Schmales Buch, ein literarischer Porno. Eine Frau (die Ich-Erzählerin) und ein Mann treffen einander sieben Nächte lang in einem Hotel. Es gelten strikte Regeln: in der ersten Nacht darf man einander nur sehen und zeigen, aber nicht berühren, in der zweiten die Spatzis nicht antatschen, in der dritten nur so und so weit gehen, usw. usf., in der siebten Nacht endlich Geschlechtsverkehr - eine andere Sorte Steigerung kann man sich in solchen Erzeugnissen schwer vorstellen. Das hätte ein schönes Buch werden können, wenn es nicht ein literarischer Porno geblieben wäre. Der literarische Porno zeichnet sich ja dadurch aus, dass er für das Anatomische immer die erhabenere Vokabel wählt ("Scham", "Geschlecht" undsoweiter), und der Porno zeichnet sich dadurch aus, dass ihm das Ficken für etwas so Tolles gilt, dass ihm davon das Hören, Sehen und Sprechen vergeht. Ich weiß auch nicht, warum pornografische Literatur es so selten hinbekommt, zu beschreiben, zu erzählen, zu schildern, die Einzelheit zu sehen; da fickt man unaufhörlich miteinander, aber am Ende weiß man nicht einmal, wie groß, wangenknochig, hüftknochig, muttermalig, blass, gesprenkelt, drahthaarig, fettlappig etc. pp. die Körper gewesen sind. Als wären die Wahrnehmungsapparate betäubt gewesen. Seltsam. Man sollte es glatt einmal selbst versuchen, am besten mit hässlichen, uninteressanten Menschen. Woran sollte literarische Pornographie sich besser erproben können, als uninteressante Menschen so fein gegeneinander zu justieren, dass dem Lesenden seine Wahrnehmungsapparate verglühen?






um ihre zeit für lesekonsum beneide ich sie gerade sehr.


das empfinden und sagen mir erstaunlich viele menschen. was mich immer ein wenig irritiert, da es mir so selbstverständlich erscheint wie essen, reden, schlafen, trinken. ich bin der klassische bücherverschlinger, immer schon gewesen. ich habe mit fünf meine mutter dazu fast gezwungen, mir das lesen beizubringen, völlig untauglich (woher sollte sie es auch wissen?) auf selbstgemalten kärtchen, auf denen in versalien VOGEL stand oder HAUS oder FRAU, substantive eben. ich bin so alt, dass mein erster fernseher erst mit sieben oder acht in mein leben kam, schwarzweiß, das fernsehprogramm begann erst am frühen abend, kinderprogramm nur ein- oder zweimal in der woche. ich hatte als kind, von sechs an, nach einem umzug ins grünere, einen entsetzlichen heuschnupfen, der mich im frühling und frühsommer sehr oft innen hielt. ich habe als kind manisch abenteuerbücher gelesen, die schatzinsel, robinson crusoe, geschichten über u-boote, expeditionsberichte. meine eltern hatten unfassbar viele von diesen damals neuen taschenbüchern, die rororos alle, die goldmann-kriminalromane, die in der wohnung herumstanden, alltagsgegenstände, keine einschüchterungsbücher, viele amerikaner, faulkner, hemingway, updike, all so was. und kunstbände. ich konnte mir alles, was ich wollte, aus den regalen ziehen und mich irgendwohin fläzen, versinken, ich bin immer noch dankbar dafür. und es ist dann immer so geblieben. nachts, wenn die frau schon schläft, noch lesen, jede nacht, bis eins oder zwei, solange der körper eben nicht einschläft, es ginge nicht ohne das, es hat eine bestimmte notwendigkeit, die mir selbst manchmal unheimlich ist. und ich lese, verständlich mit so einer vorgeschichte, ziemlich schnell, ohne dass ich mich darum je bemüht hätte, es hat sich einfach so ergeben.


War bei mir früher auch so, aber da haben Familie und Internet eine Schneise reingeschlagen, das kann ich nicht leugnen. Es sind jetzt eher kurze Abschnitte immer, auf Reisen gehen längere Zusammenhänge in einem Rutsch.


war auch ein früh- und vielleser. einiges hab ich noch immer. für frau kind jetzt dann, vielleicht. die hoffentlich auch mein bücherregal benutzen wird. hab derzeit halt so gar keine luft dafür. schaff grad die zeitung. und beim stillen nebenher internetz. oder ein paar seiten buch. deshalb neidloses beneiden. aber schön, dass man mitlesen darf, sozusagen.


bei mir war das fast schon immer so: 3 monate fast gar nichts, 3 monate wie verrückt gelesen. leseausweis auch gleich mit 6, von der mutter mitgegeben, die schon jahrzehntelang ihre 10 bis 15 krimis pro monat liest.

äußere umstände haben auf die leselust oder das konkrete lesen keinen einfluss, eher inneres. grad wieder in so einer lesehausse, aber davor eine sehr lange durststrecke, 6 bis 8 monate oder so, wo ich wirklich sehr wenig gelesen buchgelesen habe.

ich merke nur, was sich verändert, ist, dass mit der zeit mein mitteilungsdrang über gelesene literatur stark nachlässt. das ist jetzt eher mein neid. ich mag es ja, über gelesenes zu lesen, wenn derjenige das mir spannend und kurzaufsfokussierteste darreichen kann.


ja,

internet stiehlt lesezeit, kann man so schlecht gleichzeitig machen, fernsehn und lesen geht ja ganz gut. die zeit wieder reinholen da, wo kein internetz ist, oder albern waere, zb auf dem weg zur strassenbahn, in der selbigen, im laden usw. peinlich: im sommer lieber mit bus und bahn fahren, weil buch spannend und auf dem rad kann man nicht lesen.


Je mehr ich schreibe, desto weniger lese ich und umgekehrt. Allerdings soll man das nicht unterschätzen was man am Tag so wegliest, obwohl man gar nicht liest. Das fängt bei mit der SZ an, die seit Monaten abbestellen will, weil sie mich nur noch nervt, dann die ganzen Geschichten im Blog, dann die Sachen die man sowieso arbeitsmäßig liest. Ich fange im Schnitt trotzdem ein Buch die Woche an, lese 50 Seiten, dann hat es mich, oder eben auch nicht. Gerade neben dem Bett: die Autobiographie von Dieter "Das aktuelle Sportstudio" Kürten mit einem Vorwort von Franz Beckenbauer. Ist mir ja auch ein wenig peinlich, aber ich hab ja einen Sinn fürs niedere und außerdem interessiert mich wirklich, wie der Kürten, dieser Urgroßvater von Kerner, die Welt sieht.


die ernuechternd ehrliche rezension, ein wenig wie ein schienenbeintritt. sehr schoen.