Weil man alte Jahre ordentlich bilanzieren soll, hier mein persönlicher unvollständiger Poll 2000:

Investitionsruine 2000: Vivi@n, die moderne Frauenzeitschrift aus dem Hause Burda. Pünktlich zum 30. Dezember 2000 eingestellt, nachdem auch die Abschaffung des @ im Titel nichts mehr gebracht hat. Das Sofa wusste es schon nach der premiere issue.

Website 2000: Die Euroranch. Jeden Tag eine gute Tat - ein guter Soundclip. Sehr oft: traurige Country-Musik. Runner-up: Langreiter.com. Auf keiner anderen Website steht so viel, das ich nicht verstehe, aber in mir so viel Sehnsucht erweckt, es zu verstehen.

Gesamtwerk 2000: Jenes von Heimito von Doderer. 39 Jahre lang nicht zur Kenntnis genommen, im vierzigsten ohne Vorwarnung angefallen worden. Anspieltip, wie es die PR-Idioten der Plattenfirmen formulieren: Die Wasserfälle von Slunj.

Nicht realisiertes Konzept 2000: Ein Filmclub auf der Reeperbahn. Es wäre so schön gewesen. Eines von den Wichspornokinos mieten, die kein Geschäft mehr machen, weil sich zu Hause vor dem Videorecorder viel gemütlicher masturbieren lässt. Einmal im Monat eine Sonntagsmatinée, wie damals im Wiener Stadtkino, sagen wir gegen 15 Uhr. Mit all den Filmen, die in Hamburg nicht gespielt werden: Eustache oder Melville oder meinethalben auch Hail! Hail! Rock'n'Roll. Und dazu das passende Catering. Wenn wir hundert eingeschriebene Mitglieder haben, die fuffzich Mark im Jahr bezahlen, müsste es zu schaffen sein. Wir haben gar nicht erst angefangen, das zu organisieren. Zu faul. 1999 waren wir zu faul für das "mobile Restaurant", 1998 für die "kollektive Bar" und das "Vorspeisenrestaurant nach dem Prinzip eines Running Sushi, aber mit Wiener Schnitzel und Kaiserschmarren". Mal sehen, welche Geschäftsidee 2001 nichts wird.

Ewige Wiederkehr des Gleichen 2000: Deutscher linker Antisemitismus. A.k.a. Antizionismus. Der durchschnittliche deutsche Linke hält Kinder, die mit Steinen nach Juden werfen, für Freiheitskämpfer. Reiht euch ein, Genossen, in die deutsche Leitkultur!

Zeitschrift 2000: Die Jungle World. Nie Fehler gemacht. Und den deutschen linken Antisemitismus beim Namen genannt.

Völlerei 2000: Sobanudeln. Sogar in klingonischen Rezepten.

Sich selbst erfüllende Prophezeiung 2000: Als beim 3Sat-Börsenspiel der schmierigste aller Neuer Markt Analysten (kann mir mal endlich jemand erklären, warum das nicht "Analytiker" heisst?) sagte: "Morphosys. Kursziel 1000". Als er es sagte, lag der Kurs bei 100 oder so. Danach nicht mehr. Wir hätten wirklich zu gerne gewusst, wieviele Morphosys-Aktien der gute Mann vor seinem Auftritt gekauft hat.

Trailer 2000: Dr. Thuneke, No-Nonsense-Internist, bei der Ultraschall-Untersuchung meiner Eingeweide: "Ach hier, da haben Sie einen Nierenstein. Damit Sie gleich sagen können, was es ist, wenn Sie vor Schmerzen schreien."

Geduld zahlt sich aus 2000: Die Balzac-Coffeeshops in Hamburg. 12 Jahre lang war hierorts Kaffee ein Synonym für dünne bittere Suppe. Jetzt nicht mehr. Grande latte to go. Und die Verkäuferinnen sehen alle verdammt gut aus.

Versäumnis 2000: Während ich in Thailand war, die Histoire(s) du Cinema von Jean-Luc Godard auf Arte. Kann mir jemand das Video kopieren? Zahle jeden Preis.

Selbstbewussteins-Booster 2000: Jeden Morgen auf dem Weg zum Büro an der Hamburger Scientology-Zentrale vorbeigehen. In den Schaufenstern dieses Vereins, der nichts zu verbergen hat, sitzen lauter Loser, die wirklich alle, jeder einzelne, wie Loser aussehen.

Natur 2000: Der Himmel über Bahrenfeld, von unserer Wohnung (5. Stock, 12 Meter Glasfront, 3 Meter hoch) aus beobachtet. Sieht aus wie von Turner gemalt. Nein, noch besser. Erhabenes galore!

Restaurant 2000: Ninja Crepes. Koh Samui, Thailand. Es schmeckt wie es heisst: instant paradise.

Bargain 2000: Progression Sessions Vol. 4 by LTJ Bukem Featuring MC Conrad (2 CDs) für VIER Mark im Zardoz auf der Ottenser Hauptstrasse.

Bewegung 2000: Weblogs, of course.

Kunstwerk 2000: Scanner bei sound a.k.a space in Hamburg. Eine Ausstellung von Sound-Installationen, musique ameublement, so etwas in der Art. Scanners Installation waren fünf (glaube ich) lange Regalbretter mit Tonbandcassetten, die die Leute vorbeigebracht hatten. Tapes also, wie es sie gegeben hat, ehe es mp3 gab. Tapes, auf denen man seine Lieblings-Headbanger-Mucke aufgenommen hatte oder die Stücke, mit denen man die neue Freundin flachlegen wollte. Ein stummes Archiv, das nur in der Imagination sang. Groß!

Unschuldslämmer 2000: Jetzt tun sie in Sebnitz alle, als gäbe es keine Rechten in der Kunstblumenstadt.

Ist zwar politisch nicht korrekt, es zuzugeben, aber trotzdem geilster Körperteil 2000: Der sensationelle Hintern von Cameron Diaz in Charlie's Angels. Harry sieht es genauso.

Unerfüllbare Sehnsucht 2000: Eine Rückenmassage von Lucy Liu. Um einer solchen Gnade teilhaftig zu werden, muss man sein wie Larry Ellison.

Vertragsklausel 2000: "Der Verlag verpflichtet sich, keine Rezensionsexemplare an die Wiener Tageszeitung "Die Presse" zu liefern, so lange diese Andreas Mölzer als Kolumnisten beschäftigt." Andreas Mölzer ist Kulturberater Jörg Haiders. Die Klausel steht im Vertrag, den Meike und ich mit Droemer-Knaur über das Buch "Doppelpack" (buy it!) abgeschlossen haben, dem die Bild-Zeitung attestiert, es sei "Ally McBeal für Fortgeschrittene". Wo sie recht haben, haben sie recht...

Gadget 2000: Das Palm V Snap-On-Modem, im Duty Free des Abu Dhabi Airport gekauft.

Gefühl 2000: Ratlosigkeit.