Wenn ich damals schon ein Weblog gehabt hätte wie der Herr Hack sein metadiss, dann hätte ich sicher nicht meine Dissertation im letzten Drittel in die Ecke geschmissen. Bis jetzt habe ich mir immer eingeredet, es hätte daran gelegen, dass ich einfach zu spät kapiert habe, wie wenig die drohende akademische Ochsentour zu mir gepasst hätte, jeden Tag - und zwar bis zur Verrentung - Tafelschwammgeruch, Zeigefingehochstreck-Streber mit dem Bedürfnis, Plato oder Kant zu widerlegen (als ob es in der Philosophie darum ginge) und Typen, die sich weigern, Leselisten abzuarbeiten. Heute weiß ich, es lag nur daran, dass es damals noch keine Weblogs gab. Weblogs killt man nicht so schnell, deswegen kann man ein Diss-Log nicht killen, deswegen die Diss nicht schleifen lassen, eher im Gegenteil, man käme nie zum Ende mit ihr. Ach ja, bei mir ging es um die Mimesistheorie Adornos, genauer die Effekte des Verliebtseins für die Erkenntnis und die Geburt der Moralphilosophie aus dem Geist der Zwölftonreihe. Wäre immer noch ein gutes Thema, glaube ich.






thx

Es stimmt tatsächlich. Wenn man loggt, dann erspart man sich nicht nur die Fragen, wie es einem denn ginge, sondern man treibt sich selbst vorwärts. Das ist gut.


Rechtfertigung

(argh! schon wieder ein Passwort mehr!)

Für mich ist es ein Schulterschauer. Ich muss mich meinem Log gegenüber rechtfertigen, was ich den ganzen Tag gemacht habe. Mein Professor ist ein 68er, und von dem kommt kein Druck. Und hier in der tristen Bücherei, da sitzt sonst kein Ethnologe herum. Da würde man schnell mal daheimbleiben, gäbe es da nicht dieses quälende Log, von dem man sich einbildet, dass auch der wissenschaftliche Teil gelesen werden würde.

Außerdem bin ich ein Paradebürokratiker. Bürokratoneurotiker. Neues Buch nehmen, in die Literaturliste einfügen, nach Din-Norm. Ein neues Papier in den Ordner legen. Einen Strich an der Seite entlangziehen. Titel auf den Kopf schreiben, Seitenzahl in die Ecke, Datum unter den Titel. "Excerpt". Das abheften ist dann ein kleines Fest. Das Weblog ist auch so ein Strukturgeber. Ein Abendritual. Struktur trägt einen weiter, wenn es der Inhalt nicht mehr tut.


these: weblogs halten einen von der diss ab

ist naemlich interessanter als das zeug, das ich machen muss (diskrete geometrie, computergrafik).


These 2: Die Diss hält vom Schreiben der Diss ab

Mittlerweile ist es ja so, dass mehr Zeit dabei draufgeht, das technische und bürokratische Drumrum zu erledigen, als für die eigentliche Schreiberei. Gerade digitalisiert mein Zweitrechner meine auf MD gespeicherten Projektinterviews. Transkribieren ist eh so ein Thema... stöhn


Fang halt wieder an

Kann man doch wieder weitermachen. Das Thema klingt interessant, (und verquast, vor allem das mit der Zwölftonreihe), aber was anders habe ich nicht erwartet ;-)

Hier kam auch neulich ein Studienkollege rein, mittlerweile Nachrichtenredakteur beim BR, und meinte, ihm langts nach einem Jahr arbeiten, er macht jetzt auch Doktorarbeit. Erstmal nebenher, und später schmeisst er seinen Job evtl. wieder hin.

Und die Tafelschwämme sind mittlerweile sicher verschwunden ;-) Da kann man jetzt Lösemittel aus Eddings schnüffeln, das ist doch fein!


Zwölftonreihen

Gelegentlich denke ich sogar darüber nach, das noch von der To-Do-Liste meines Lebens zu streichen. Das Thema selbst ist immens spannend, weil es darin um alles mögliche geht, was (mit guten und verständlichen Gründen) nur selten theoretisiert wird - Verknalltsein, Musik, der begriffliche Umgang mit Nichtbegrifflichem, Identitätspolitik und so Zeug halt. Für Zwölftonreihe kann man übrigens alles mögliche einsetzen, vermutlich sogar ziemlich viel von der besseren Clubmusik der letzten Jahre. Adorno hat mit seinen Abneigungen gegen Jazz ja nie kapiert, wie sehr die Musik, die ihn zurückschrecken ließ, oft genau das leistet, was er zum Beispiel Schönberg oder Webern attestiert hat; andererseits war das ja zum Teil eine historisch bedingte Taubheit, der Jazz, den er mitbekommen hat, war pre-Bebop und davon auch nur das, worüber man wirklich nicht nachdenken muss. Manchmal wünsche ich mir, es gäbe jenseits von Rezensionen und Geschichtsschreibung noch interessante Musikphilosophien, die sich selbst mehr zutrauen als Notizen und Fragmente zu sein. Das Interessante an wiederaufgenommenen wissenschaftlichen Arbeiten wäre, dass man 10 or 20 years after ja aus völlig unerfindlichen Gründen wesentlich schlauer geworden ist als in der Sturm- und Drang-Periode, in der man begonnen hat. Es ist, als würde sich das Wissen von selbst im Geheimen neu organisieren, auch wenn man es jahrelang nicht angezapft hat. Im vergangenen Sommer bin ich zum Beispiel drauf gekommen, dass ich Ciceros Catilinarische Reden einigermaßen problemlos im lateinischen Original lesen konnte, und ich habe 24 Jahre nichts Lateinisches gelesen und war davor ziemlich sicher der schlechteste Lateinschüler Österreichs. Schon sehr seltsam, was die Synapsen so tun, wenn man nicht aufpasst... Mal sehen. Vielleicht mit 60.


Strukturalismus?

Das klingt nach Strukturalismus, oder? Du willst die Zwölftonreihe absolut verantwortlich machen - oder zumindest direkt in Verbindung bringen - mit der Entstehung einer Ethik, oder? Und die Effekte des Verliebtseins für die Erkenntniss, stehen die auch in Zusammenhang mit der Zwölftonreihe? Oder willst Du eine historische Verbindung zwischen beidem nachweisen, die einmalig war und bewusst stattfand?

den er mitbekommen hat, war pre-Bebop und davon auch >nur das, worüber man wirklich nicht nachdenken muss. Man muss über nichts nachdenken.


Diss und Weblog sind bei mir eher mit der Metapher der Waage zu beschreiben: je mehr im Blog steht, desto weniger habe ich am selben Tag an der Diss geschrieben. Kein kausaler, aber ein symptomatischer Zusammenhang. Aber im Blog geht's gerade eben nicht um die Diss.


Adorno etc.

Nein, kein Strukturalismus, jedenfalls kein beabsichtigter. Die Sache ist viel einfacher bei Adorno, so dass man ihm nicht mit dem einen oder dem anderen, ihm äußerlich bleibenden Analyseverfahren zu Leibe rücken muss. Für Adorno ist die Weise, wie man komponiert, also Töne organisiert, immer eine Art Metapher (ich drücke mich hier ungenau aus, aber ich will nicht ins Endlose abschweifen) für gesellschaftliche Organisation; die Zwölftonreihe "steht" dann eben für eine bestimmte Utopie von Gesellschaft - einander gleich berechtigte Töne, freie Verhältnisse zueinander, keine Haupt- und Nebenthemen, ein versöhntes Verhältnis von Geist und Material, Begriff und Natur, Produzent und Stoff, Komponist und Konsument usw. In all das, aus all dem geht ein, geht hervor eine bestimmte Moralphilosophie, die anders begründet ist als andere Moralphilosophien. So ungefähr, in dürren Abstraktionen. Das Verliebtsein wiederum ist bei ihm immer eine gewisse Weise von Erkenntnis, die neben, vor, hinter der begrifflichen Erkenntnis stattfindet (diese aber natürlich nicht suspendiert), hat was mit der Kategorie des Ähnlichwerdens zu tun, was wiederum eine künstlerische Produktionsweise ist, also Komponieren, Musik, usw. Im Grunde wäre es darum gegangen, Adorno einfach neu zu montieren, im Gewebe seiner Texte ein paar Fäden deutlicher zu folgen. Ich glaube, Geisteswissenschaft geht eh immer so, dass man Gewebe auftrennt und wieder neu zusammenwebt, so dass aus dem selben Material etwas Neues entgegenspringt, das man ohne die wissenschaftliche Decollage und Montage nicht gesehen hätte. - Ach ja, und vieles davon ist auch nicht besonders neu oder Adornitisch, das Motiv der Liebe als bestimmte und besondere Erkenntnis ist altehrwürdig und kommt bei Plato prominent vor und bei Hegel sowieso (aber bei Hegel kommt praktisch alles vor, und da Adorno ja einer der diversen umgekehrten Hegels ist, negative Dialektik usw., kommt auch bei ihm praktisch alles vor...), und Musik/Moralbegründung/Gesellschaftstheorie ist auch nicht wirklich selten. Ich lese nicht mehr so viel Philosophie in den letzten zehn Jahren, aber darüber gibt es zum Beispiel bei Deleuze/Guatarri in den Mille Plateaux ziemlich viel Spannendes und ein wenig bei Theweleit, eher verstreut. Aber ich schweife ab. Jedenfalls bin ich nie ein Strukturalist gewesen, ich weiß viel zu wenig darüber, ein bißchen de Saussure, ein bißchen Levy-Strauss, die mir aber beide recht formalistisch vorkamen auf den ersten Blick (was bei de Saussure aber andererseits nicht wundert, als Linguist bleibt einem eh nichts anderes übrig, als Formalist zu sein), und dann halt die üblichen Dosis Poststrukturalismus, einigermaßen alles von Foucault und eher kursorisch Deleuze/Guatarri, aber nie sehr systematisch und analytisch gelesen, so dass ich sagen könnte, was denn das Charakteristische ihrer Methoden ausmacht. Aber ich schweife ab. Das Abschweifen ist übrigens etwas, was in Dissertationen zu selten vorkommt. Ich glaube, sie würden besser, wenn sie mehr abschweifen dürften. Aber das ist nur eine Vermutung.


these

der mangelnde sozialzusammenhang ist schuld, wenn dissen so lange brauchen oder nicht fertig werden. wenn weblogs den herstellen, gehts besser oder schneller, wenn nicht, dann nicht. ich hab meine diss praktisch im alleingang geschrieben. war enorm schwer. keine diskussionen in begleitenden seminaren, keine ansprechpartner, keine supervision. da steigert man sich leicht so rein, dass zwischen allmachtsphantasie und allohnmachtsphantasie kein raum mehr bleibt. brrr. hätte es nicht (in japan) einen termin gegeben, zu dem das ding fertig werden mußte - sonst hätte ich ein jahr warten müssen -, und hätte es nicht einen gerade zum richtigen zeitpunkt herbeischwebenden heiligen freund gegeben, der das richtige mantra einflüsterte ("just suck it up and do it"), wär das ding nie fertiggeworden. jetzt die verlängerung: überarbeiten zur publikation. fast der gleiche scheiss noch einmal. aber eben nur fast, weil mittlerweile ein besserer sozialzusammenhang da ist. endlich.


Hier ist das anders

Drei Jahre Arbeitsvertrag. 70% Bezahlung. Volle Arbeit während der ersten zwei Jahre, im letzten Jahr wird Diss geschrieben, wobei das Gehalt weiterbezahlt wird. Wer länger braucht...

Nur gut, dass ich woanders schreibe. Nur: Da ist es noch tougher.


ok,

Jetzt wird das ganze schon klarer. Ich bin immer wieder erstaunt, wie weit die Geisteswissenschaften untereinander voneinander entfernt sind. Du scheinst Adorno weiterführen zu wollen, neue Bezüge zu anderen Themen schaffen zu wollen. Das ist ein philosophisches Monopol, glaube ich, so ohne Fragestellung zu arbeiten, eher mit einem Ziel. Eine Konzeptentwicklung. Strukturalismus wäre es gewesen, wenn Du einen absoluten Zusammenhang zwischen Zwölftonreihe und Moralphilosophie nachweisen willst. Bei Dir ist es ja eber das Entwickeln einer Ansicht, eines ethischen oder musikalischen Konzepts (je nach Richtung), dass verwendet werden kann/darf. Interessant übigens, wie inkompatibel die wissenschaftliche Sprache schon zwischen so nahen wissenschaftlichen Bereichen ist. Man verwendet ein Wort wie Strukturalismus, dass den Inhalt mindestens eines Buches hat. Oder ein Wort wie Hegel, was den Inhalt mehrerer Bücher hat. Das muss ja schiefgehen. Vielleicht sollte man bei so einer Kommunikation komplett auf solche Begriffe verzichten, und mit ursprünglicheren Metapher reden.

Ich glaube übrigens, dass nur die Philosophie neue Gewebe webt, andere Geisteswissenschaften bauen eher immer neue Brillen für bestehende Gewebe. Es wäre in meinem Fachbereich eine Riesentabu, ein neues Morlakonzept zu entwickeln. Das macht man nicht, das ist pfui. Das sehen wir nicht als unsere Aufgabe.

Katatonik: Der mangelnde Sozialzusammenhang ist bei mir extrem schlimm. Ich sitze alleine in der Bibliothek, selten ist einer aus meinem Fach da. Wer immer da ist, ist ein Internetsüchtiger, der den ganzen Tag vor dem Rechner verbringt, und einer, der immer schlurfend, auf den Boden schauend herumläuft, ebenfalls oft an den Rechnern sitzt, und dort sich dort entweder über manische Depression informiert oder nackte Männer anschaut. Gestern war es soweit, dass ich mir dachte ich halte es nicht mehr aus, weil in der Mensa dann auch noch so viele Verrückte herumlaufen. Mit ihren Ticks und Störungen, wie sie in sich hinein fressen, jeder fünf Schüsseln Beilagen. Das Log ist damit eine wichtige Kommunikations-Schnittstelle mit anderen Ethnologen und mit mir selbst. Ein Selbstgespräch, sozusagen. Glücklicherweise gibt es aber während dem Semester ein Kolloquium.


universitätsbibliotheken oder -mensen als auffangbecken sozialer störungen ist ein forschungsthema, das mir auch schon durch den kopf gegangen ist. zuerst teilnehmende beobachtung und selbstbefragung, dann interviews mit als "normal" klassifizierten besuchern, am schluß der harte teil: kontaktaufnahme zu den freaks, interviews. mikroskopische ethnologie als sozial-integrative wissenschaft oder so.


ach ja

hab lange zeit versucht, die existenzberechtigung der geisteswissenschaft mit gesellschaftspsychologischen vorteilen zu argumentieren: viel billiger, wahnsinnige stillbeschäftigt an schwindligen instituten herumsitzen zu haben als sie in kostenintensiven psychiatrischen anstalten einzukerkern. bin aber bald draufgekommen, dass die argumentation wissenschaftspolitisch nicht, äh, wirklich zieht.


Mad Scientist

Wenn ich mir diese ganzen Hightech-Hoaxer und Gencocktailquirler aus den Naturwissenschaften ansehe, braucht man sich als Geistes- oder Sozialwissenschaftler nicht unbedingt minderwertiger zu fühlen, glaube ich.


Re: Mad Scientist

Bitter: Sozusagen tugendhaft durch Wirkungslosigkeit.