Am Sonntag zuerst Jean Renoirs "Bestie Mensch" von 1938 und gleich danach zwanzig Minuten aus der neuen Staffel von "Big Brother" gesehen. Jaques, der, ohne Anlauf zu nehmen, zu Simone sagte: "Verlassen Sie Ihren Mann, gehen Sie doch mit mir weg. Denn ich liebe Sie." - Simone: "Sie lieben mich?" - Jaques: "Ja." - Simone: "Das dürfen Sie nicht, denn ich liebe Sie nicht, ich kann Sie nicht wiederlieben, ich hatte eine grauenhafte Kindheit, ich bin verdorben für die Liebe. Ich suche Kameradschaft und Zärtlichkeit, beides könnte ich auch wiedergeben, aber nicht Liebe." (Später wird sie es dennoch tun, ebenso anlauflos, "ich liebe Sie, Jaques" sagen, von ihm wollen, dass er ihren Mann tötet, der seinerseits jemanden tötete und sie den Mord ansehen hat lassen, er aber, Jaques, tötet nicht ihren Mann, sondern sie, die Frau, die er liebt, um sich dann, bei voller Geschwindigkeit, von seiner Lokomotive, in den Tod zu stürzen; aber das ist eine ganz andere Geschichte, über die man auch einmal zu reden hätte: die erzwungenen Zeugenschaften der Frauen bei den Gewalttaten der Männer). - Bei "Big Brother" saßen ein Mann und eine Frau, Kapuzenjacken, heruntergedimmte Stimmen, im Vorgarten. "Ich will dich", sagte der Mann. Sie: "Du meinst sexuell?" Nein, sagte er, so hätte er es nicht gemeint, und dann noch einmal: "Ich will dich." Die Frau sagte irgendetwas, an das ich mich nicht mehr erinnern kann, darauf wieder er: "Ich weiß nicht, ob ich mich in dich verlieben könnte. Aber ich will dich." - Lange habe ich danach noch nachgedacht über die Zeitenfolgen und die Hierarchien der Gefühle und Geständnisse. Dass man immer noch nicht weiß und wahrscheinlich nie wissen wird, wie man es in diesen Schachpartien halten soll, in denen man Züge nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen sich selbst führt. Zuerst die Liebe gestehen, um sich ihr dann hinterherwerfen? Oder schweigen und heimlich lieben, in der Hoffnung, es werde irgendwann einmal erwidert, und man könnte dann, vorausgesetzt, man verstünde die Zeichen der Erwiderung, die Liebe als ein fait accompli behandeln, zu dem der Eigenname "Liebe" nur noch eine Zutat, wie Zierat ist. Das Bestürzende, das dem Nominalismus innewohnt: Man muss etwas nur taufen, schon lehnt sich alles an den Eigennamen an. "Denn ich liebe Sie": wie eine Stimme, ein Körper, ein Reden, ein Spazierengehen, ein Tempo plötzlich ganz anders werden können, bloß weil einer ein bestimmtes Wort gebraucht hat ("jetzt sehe ich alles mit anderen Augen"). Und, umgekehrt, was alles nicht geschieht & doch geschehen könnte, bloß weil einer diesen einen Satz nicht gesagt hat, sondern erst noch abwarten wollte. Akte, die in einer Versicherung bestehen, von der jeder schon weiß, dass sie nichts versichert. Wie so ein lächerliches Bekenntnis (denn was ist schon dabei, "ich liebe dich" zu sagen, drei Wörter, kaum der Rede wert), sofort neue Konstellationen schafft. Allesverwandlerwörter. Man müsste über das alles einmal schreiben, erzählen, die Leute befragen, aber man bekommt es ja nicht einmal aus sich selbst heraus, so, wie man sich immer vor sich selbst verschanzt.
Ich glaube, ich habe, wieder mal, nicht rüberbekommen, was ich sagen mochte.
(Die Geschichten, die ich mir ausdenke manchmal. Wie es wäre, aufs Geratewohl zu Unbekannten "denn ich liebe Sie" zu sagen ["bin ich gemeint?"; "wer denn sonst?"; '"aber Sie kennen mich gar nicht"; "sei's drum"]. Wie es wäre, neben anderen zu leben, aufzustehen, einzuschlafen. Wie man sich, nennte man es bloß für sich selbst Liebe, an all das gewöhnen könnte, ergeben. Die Rasereien des Benennens, das Einrasten der Gefühle in die von den Benennungen bereitgestellten{wie heißt das bloß, in das etwas einrastet; zu faul, das "Duden Bildwörterbuch" und "Wie funktioniert das?" zu konsultieren}. Jähe Erinnerung an die eine Online-Affäre, in die ich vor Jahren guten Gewissens (denn sie war doch "nicht echt") getaumelt war: als sie mich plötzlich anrief und mich, gleich als allererstes fragte: ob ich denn gute Zähne hätte. Schließlich noch, gegen Abend, die Empfindung von Ausweglosigkeit bei der Passage, in der Proust Marcels Großmutter mit den Worten beschreibt, auf ihren malvenfarbenen Wangen oder ihrem Schleier [je nachdem, wie man die Stelle liest], wäre "immer eine unbewußte Träne gerade im Trocknen begriffen". "Was ist das Grausame an Proust?" wollte M. gestern wissen, als ich ihr, wieder einmal, zu erklären versuchte, dass er genau für Sie geschrieben hätte, das müsste genau dir gefallen, hatte ich gesagt [wie Paare immer einander anstiften wollen, auch die Bestürzungen zu teilen, als hätte man Furcht, plötzlich wieder alleine zu sein, falls man nicht alles teilte]. "Je empfindsamer einer ist, desto grausamer beschreibt er natürlich die Welt; nur uns, mit unserer Elefantenhaut, aus Selbstschutz, aus Nachlässigkeit, fällt das nie auf...'")
Völlig vergeigt, dieser Eintrag.
Überhaupt nicht vergeigt.
Wollte ich nur anmerken. (So kompliziert ist es halt. Meistens.)
Etwas wahr machen, indem man es ausspricht, selbst wenn es vorher nicht wahr gewesen sein kann; manche halten Sprache ja immer noch für ungefährlich. Musste seltsamerweise auch sofort an den zweiten Teil von Maßnahmen gegen die Gewalt denken, wo der Fakt einer jahrelangen Unterwerfung zurückgenommen wird durch ein einziges Wort.
Ich muss, lieber Ex-Kollege, gestehen, dass ich in der deutschen Blogosphäre und auch konkret auf dem Sofa in letzter Zeit immer wieder öfter den Faden verliere; zu viel Zertrümmerung, düstere Hermetik, Insider-One-liner, was ja alles seine Berechtigung hat, aber ich steh' dann eben etwas dumm daneben und denke Sätze, die mit "Früher ..." anfangen, und das verbietet sich natürlich von selbst.
Einträge wie diesen hingegen finde ich anrührend; bringt vielleicht meine kitschigste Saite zum Klingen, da blickt einen etwas zerzaust die eigene Sehnsucht an und macht, dass man wiederkommen und weiterlesen möchte.
Nix also mit vergeigt. Dankeschön.
Herrje, wie schön, von Dir zu hören, und herrje: weil Du ja immer noch so sehr fehlst.
Die Hermetik, ich weiß gar nicht, ob sie düster ist, Du ahnst es wahrscheinlich, ist selbst gewählt. Man muss, bilde ich mir ein, manchmal den Respekt vor den Texten wieder herstellen, und deswegen zieht man Hecken um sie, die Hecken des Hermetischen. Kommunikation, ein gräßliches Wort und eine gräßliche Praxis, hat ja auch hier in der Blogosphäre & manchmal auch auf dem Sofa schon viel zu viele Metastasen gebildet; in meinen Erinnerungen ans "Früher", zu denen unverbrüchlich auch Du gehörst, war mehr Lesen und weniger Zurückschreiben. Mag sein, das ändert sich wieder einmal bei mir.
Worauf ich allerdings bestehe: das ist vergeigt, ich weiß das besser als Du. Ich habe es nicht geschafft, auch nur andeutungsweise dahinterzukommen, wohinter ich kommen wollte. Ein, zwei mickrige Fäden, mehr nicht. Dennoch danke fürs Dankeschön. Und fürs Lesen, es rührt mich sehr.