gestern nachmittag auf dem fiesen uelzener hundertwasser-bahnhof. auf einen um 15 minuten verspäteten anschlußzug gewartet und dabei mit einem bahnangestellten ins gespräch gekommen. der meinte dann irgendwann, ich müsste doch aber zugeben, dass die "gefühlte zugverspätung praktisch null" wäre. ganz schlaues marketinginstrument gegen steigende kundenunzufriedenheit: subjektivismus! der zug dann voll, natürlich keinen sitzplatz reserviert, also bordbistro. an den stehtischen heimfahrende angestellte und schon angesoffener mittelstand. conspicuous consumption der bankrotteure, als hätte man nicht längst das insolvenzverfahren am hals! "zwanglos mit niveau": bei den nachzüglern dauert der übergang von verkniffener biederkeit zum bewußtsein der eigenen unwiderstehlichkeit ungefähr fünf flaschen bier à 0,33 liter. jeder hat den längsten. homophobe frotzeleien gegen den neuen trainee aus dem technischen vertrieb. verklemmte anzüglichkeiten eines zotigen abteilungsleiters, stierer blick ins dekolleté der kleinen aus der buchhaltung, dabei ein gelallter monolog über wertschöpfungsrelevante personalentwicklungsstrategie. (in einer bar in havanna habe ich mal zugehört, wie ein deutscher mitfünfziger einer minderjährigen prostituierten, die kein wort verstand und immer wieder einschlief, erzählte, wie er sich beim kampf um die abteilungsleitung erst gegen unkelbach, später auch gegen niewöhner hätte durchsetzen können. er war so ergriffen von seiner erzählung, dass ihm selbst die tränen kamen. präejakulativer ausfluß irgendwie, die heldenhafte selbstbeschreibung war sein vorspiel gewesen.) behagliche regression in die eigene ideologische stubenwärme, pöbeleien gegen den zentralrat der juden, das übliche ressentiment. alle bleiben in unbequem dichter drängung im bistro stehen, um sich nicht daran erinnern zu müssen, dass sie sich nur plätze in der zweiten klasse haben leisten können. unterdessen verbuchen sich drei laute hipster-studenten ihre lästereien über die boulevardpresse als distinktionsgewinn. eine unfassbar schöne frau, typ lauren bacall um 1950, liest erst auto bild, später proust. die lautsprecherdurchsagen in manchen bahnhöfen sind wie gesungen. beim lesen der speisekarte erstaunt mich, dass das putengeschnetzelte zu €12,50- noch nicht wenigstens nach dietrich bonhoeffer benannt worden ist. der zugbegleiter blickt fahrig und schwermütig am fahrschein vorbei, den ich ihm hinhalte. wahrscheinlich ist überhaupt noch nie jemand in wolfsburg ausgestiegen. passend zur konjunkturlage mehrfach molokos downsized hören, den soundtrack fürs operative controlling von heute. in zeitlupe nicken, sich fingertrommelnd eingrooven auf das falsche leben, das man führt. dem zähfluß der eigenen auffassung hingegeben: sogar die natur sieht hier aus, als wäre sie gerade abgewickelt worden. kalkweißer himmel über verblichenen fließräumen. ein paar hundert meter lange siedlungen aus heruntergekommenen fickzellenkuben, teils mit waschbeton verschalt, dessen grobe körnung fast aufreizend wirkt. kaum zu glauben, dass da menschen drin leben! en passant geschätzter wohnungsleerstand circa 75%. realsozialistische reverien, alles akribisch auf linie gefluchtet. schließlich in einem miefenden großraumabteil doch noch ein freier fensterplatz. der sitznachbar sieht exakt wie botho strauß aus und ist gerade dabei, das kreuzworträtsel der frau aktuell zu lösen. dass er mich später "hauptstadt von frankreich mit fünf buchstaben?" fragt, entkräftet aber meinen celebrity-verdacht auf der stelle. der meister selbst hätte sicherlich "hauptstadt frankreichs" gesagt. jähe helle vor berlin.






das alles ist eigentlich schrecklich, aber wenn es das nicht mehr gäbe, man würde es fürchterlich vermissen. das ist ja das drama.


Ich mag diese Geschichte.


my daily dose of gloomy-bräu


in uelzen(warum da?)

ist ein hundertwasser bahnhof? seit wann? wer denkt sich sowas aus, ist uelzen nicht schlimm genug?


ich habe dort in der nähe familie. hundertwasser-bahnhof seit zwei oder drei jahren. und ja, Sie haben recht, frau mutant: das hat alles noch schlimmer gemacht.


aber ihre familie

hat den doch nicht errichten lassen, oder?


im gegenteil: die würden ihn abreissen, wenn Sie könnten!