Das Dorf, individuelle Vorlieben, Familiengeschmäcker, Klassenunterschiede und sonstige Abwechslungen existieren erst jenseits des Elends, das Dorf also lebt vor allem vom Reis.

Die Familien haben kleine Felder, wir haben sie bei der Anfahrt gesehen, besser: erahnt; was man im April, am Ende der Trockenzeit sehen kann, ist nur armselig verdorrtes Staubareal. Das Land ist nicht gut, die Gräben, in denen in der Regenperiode das Wasser steht, sind nicht tief, nicht abgedeckt, das Wasser verdunstet schnell, zu einem Bewässerungssystem haben sie es hier nicht geschafft, sie wissen selbst, sagt einer, dass sie zu altmodisch produzieren, auch nach den Maßstäben kambodschanischer Landwirtschaft, sie müssten Zisternen anlegen, Kanäle ziehen, aber dazu haben sie weder die Mittel noch die Energie noch die Zeit, sie sind unentwegt nur mit dem Gerade-so-Überleben beschäftigt.

Es gibt nur eine Reisernte im Jahr; wenn das Klima einigermaßen mitmacht, reicht der Ertrag für zehn, wenn es Dürren gibt, für acht Monate. In den letzten beiden Jahren gab es Dürren. Also haben sie Hunger. Sie bräuchten mehr Land, noch besser eine zweite Ernte, nur eine zweite Ernte versetzte sie in die Lage, zu Kräften kommen, Vorräte anlegen, investieren zu können, es versteht sich von selbst, das solche Begriffe am Nullpunkt der Ökonomie etwas völlig anderes bedeuten als in den hiesigen Kalkülen. Die Dorfbewohner, man muss sich gar keine Mühe geben, das zu bemerken, sind mangelernährt, zumindest jetzt, im April. Der Reis geht zu Ende, die Kinder und Frauen sammeln in den Wäldern Tapioka oder fangen Insekten und Frösche. Das Fett stammt aus Kokosnüssen, Palmöl, Bananenöl, es ist immer zu wenig, es reicht nie. Obst, Gemüse: in den drei Tagen, in denen ich im Dorf war, habe ich nichts gesehen. Eine Frau hatte hinter dem Haus einen armseligen Kräutergarten, ein paar Büschel Koriander, mit ein wenig Reet abgedeckt gegen die Sonne. Manchmal sah ich ein paar Stücke Salzfisch in den Reisschüsseln, immerhin, das ersetzt die in der Hitze verlorenen Elektrolyte. In der Regenzeit, wurde erzählt, kann man manchmal Fische fangen, die sich aus dem Fluss hierher verirren, wenn alles unter Wasser steht. Ein Mittagessen, das ich sah, bestand aus Reis, in den ein wenig Chili geschnitten, ein wenig Salz gestreut waren: das war alles. Wie oft Kühe, Schweine, Hühner geschlachtet werden, wie viele Eier die Hühner legen und ob sie gegessen werden: ich habe vergessen, danach zu fragen. In François Ponchauds Bericht über die Machtübernahme Pol Pots bin ich auf folgende merkwürdige Passage über die Besetzung der sowjetischen Botschaft durch die Khmer Rouge gestoßen:

The Soviets had put up big posters in French on the doors of their nearby embassy, reading: "We are Communists, we are your brothers. Come forward with a French-speaking interpreter." The young Khmer Rouge hat looked at the posters, presumably without understanding a word, and then forced open the doors using Soviet B-40s! Once inside they searched out the diplomats and led them to the embassy refrigerator, from which they removed some eggs and broke them under the Russians´ noses. The Soviets had no idea what this gesture meant; implicitly, it accused them of revisionism - a true Communist, a Khmer, does not eat eggs; he puts a hen on them to hatch them so he can eat the chickens later, at a meal shared with his fellows."
Schwachsinn, solche Sätze für einen Beleg zu nehmen, was kann man als völlig Fremder nach drei Tagen schon wissen über die Ausgestaltung der Armut? Bezeichnend aber, dass man nachdenkt über solche Passagen, nachdenkt über das Essen anderer Leute, haben sie Eier, essen sie Eier, geben die Kühe Milch, was machen sie, wenn ihre letzten beiden Säcke Reis verbraucht sind, wie satt kann man von Insekten werden? Ständig dachte man über den Hunger der Leute nach, die man beobachtete und mit denen man sprach, nahm sie fast nur noch als Hungerleider wahr.

Auch das, natürlich, machte sie nicht satt.

Es war nicht so, dass sie verhungerten, aber man sah, dass sie hungerten. Aufgedunsene Kinderbäuche, Rippen zählen. Man sieht so etwas gelegentlich als Schwenkfutter im Fernsehen. Aus der Nähe sieht es anders aus. Noch eine Wahrnehmung, von der die Wahrgenommenen nicht profitierten.