kindheitsmüdigkeitserinnerungen auf dem weg zum flughafen: wie es sich anfühlte, morgens um fünf oder sechs auf die rückbank eines autos gepackt zu werden und acht, zehn stunden später am meer wieder aufzuwachen. wie es sich zwölf jahre lang anfühlte, jeden morgen um acht uhr wo sein zu müssen.

"aber ich habe mich davon nicht brechen lassen."

"ich bin journalist geworden, nur um nicht früh aufstehen zu müssen."

der leserbrief vergangene woche in der hamburger morgenpost, in dem jemand (meiner erinnerung nach "ein mann, was denn sonst?") seine wut über den einfall deponierte, die schulen erst um neun uhr morgens beginnen zu lassen: wir könnten es uns ja leisten, wir in deutschland. währenddessen aber steht der chinese noch früher auf und tunkt uns noch weiter ein, wir werden schon sehen, was wir davon haben, doch wenn wir es endlich sehen, ist es schon längst zu spät. [die globalisierung als gelegenheit, den inneren faschistischen cockerspaniel gegen den kuschelstaat loszuschicken, auf die verweichlichten leute, die immer noch nicht begriffen haben, was die stunde geschlagen hat. & jedes mal fällt mir an den wutleserbriefschreibern auf: zu welcher kaltbitternis sie sich sprachlich feinkalibrieren, "wir haben es ja", ihre lippenspannung davon, zusehen zu müssen, wie andere angeblich ihren spaß haben (wobei der spaß oft nur darin besteht, dass es ihnen immer noch nicht elend genug geht, um die bitternis des verweichlichungskontrolleurs in empathie umschlagen zu lassen). man kennt das noch aus der diskothek, dort gab es auch immer die zwei, drei verbitterten spaßbeobachter, die sich, jeder für sich, mit ihren chinin-gesichtern, am dancefloorrand postiert hatten und dabei zusahen, wie die auf dem dancefloor einander antanzten, einander an die körper gingen und in irgendwelche geschichten hineintrieben. "fast schien es einem, sie wären nur gekommen, um uns zu hassen." ["und wie wir, wenn wir sie überhaupt bemerkten, gleich ungehalten wurden, weil sie uns die stimmung verdarben, obwohl sie doch nichts anderes taten, als muffig da zu stehen."] & wie sie witterten, wir würden später [wenn sie schon wieder zu hause waren & ihre reden an die menschheit hielten, weil man den schauhass doch nicht länger als zwei, drei stunden durchhält] schönen casual sex miteinander haben, oder jedenfalls dachten, wir könnten später miteinander schönen casual sex oder etwas noch schöneres haben, denn es ist ja die möglichkeit, die den faschistischen cockerspaniel anschlagen lässt, nicht erst das eintreten der wirklichkeit]

[& jetzt erst, in meiner müden unkonzentriertheit, denn auch heute bin ich zu früh aufgestanden und habe ich zu wenig geschlafen, jetzt erst fällt mir auf, dass die kritik an der pop-literatur wahrscheinlich oft genug das ressentiment des verächtlich am dancefloorrand stehenden vergnügungs-musterers gewesen ist, dem nicht eingehen wollte, dass man mit einer schönen oberflächlichen casual literatur so gut durchkommen kann, während anderswo [& früher, in den heroischen epochen] die autoren gründlich schaffen müssen, & gleich hat der popliteraturkritiker noch einen leserbrief gegen kracht geschrieben und dessen uncodiertes vergnügen verachtet. vielleicht sind die zeitungen nur dazu da, damit journalisten ihre leserbriefe abgedruckt bekommen.]

jedenfalls saßen wir punkt 6:30 im flugzeug nach wien, einfach so, weil sie sich zum geburtstag gewunschen hatte, wieder einmal josef hader zu sehen, nachdem ihr ein josefhadersatz eingefallen war, kein besonders guter satz, wenn man mich fragt, aber da hatte ich schon die flugtickets und das hotel bestellt und versucht, haderkarten zu bekommen, was nach einer woche auch funktionierte, weil anko so nett war, für uns einen anruf zu tätigen, danke anko,

[& man kann so einen satz gar nicht mehr hinschreiben, weil in einem sofort eine danke-anke-endlosschleife in heavy rotation zu rotieren beginnt und einen noch mürber macht, "dass sie es immer wieder schaffen, einen mit ihren blöden sätzen zu penetrieren, die man ein ganzes leben lang nicht mehr loswerden wird", & jetzt stell dir vor, dann bist du 70 und hast einen kurzzeitgedächtnisschaden, aber das langzeitgedächtnis funktioniert immer noch prächtig, und du quälst deine drittweltpflegerin damit, dass du jedesmal, wenn sie dir deinen hintern abwischt, danke anke brüllst, und sie geht nach hause nach ihrer alzheimerpatientenhinternabwischschicht und will alles vergessen, & an diesem abend ganz besonders, weil sie ihre freundin sechs wochen lang nicht gesehen hat und einen schönen abend mit ihr verbringen will, aber gerade als ihre freundin ihr den hüftknochen streichelt, wird ihr körper ein granitmassiv statt ein nervengeflecht und ihrem kopf ist eine ewige danke-anke-echoendlosschleife losgegangen & in sich hat sie das bild dieses alzheimerpatienten, der seine körperfunktionen nicht mehr unter kontrolle hat und jedesmal, wenn sie sich um ihn kümmert, und wie mürbe es sie macht, sich jedesmal um ihn kümmern zu müssen, danke anke brüllt (und dieser danke anke brüllende patient bin einmal ich gewesen, ein junger aufstrebender weblogautor), & sie wird starr und stein und bemerkt, so sartre-nausée-mäßig, wie klebrig die existenz ist, und ihre freundin merkt es jetzt auch und es ist vielleicht immer schon ein problem zwischen den beiden gewesen, dass die eine sich nie so hat gehen und fallen und einlassen können, wie sie es nach den vorstellungen der anderen hätte tun sollen, aber nach sechs wochen trennung, in denen die freundin am meer gewesen ist und alles ganz schaumkronenleicht gewesen ist, so dass sie sich wieder freuen konnte auf sie und neuen mut geschöpft hat, war das eine steinstarre zu viel, und dieser riss, den es schon gab zwischen den beiden, ist nun endgültig durchgerissen, und das ist dann gewesen mit dem reconnaissance fuck nach sechs wochen,

& wie mürbe so eine vorstellung macht, weil du weißt ja, wie leicht alles, was du dir ausdenkst, eine wirklichkeit werden kann, das ist auch so eine ekelkonstante, dass jede fantasie sich über kurz oder lang fangzähne wachsen lässt und sich eines tages in irgendeiner gurgel verbeißt, wirst schon sehen, eines tages wirst du schon noch sehen,]

sonntags um acht waren wir in wien, und das erste gespräch, das wir dort nicht untereinander geführt haben, war mit diesem deutschen ehepaar, das von uns wissen wollte, wo man denn die tickets für den flughafen-zu-und-wegbringer-zug entwerten müsse, & ich wusste es auch nicht & sagte, es würde schon jemand kommen und falls nicht, wäre es ja auch egal, aber das beruhigte sie kein bisschen, sonntag morgens um acht in einem fremden habitat unentwertet durch die gegend zu fahren & weißt nicht, wie die ordnung geht, & wurden nervös, als würden sie übel bestraft werden & redeten untereinander geschlagene zehn minuten lang, während der zug schon anfuhr, was sie denn nun tun sollten, bis endlich die schaffnerin kam & ihre tickets ansah & sie darauf aufmerksam machte, dass sie im falschen zug saßen & ich gleich wieder dachte, dass mich das wirklich nicht überraschte, zuerst nervös wie sonstwas wegen ihrer tickets, aber dann schnurstracks in den falschen zug steigen. mein eigener ekeliger hochmut gleich wieder, aber gut, ich war ja müde, 4:30 aufgestanden, um eine stunde vor dem abflug anwesend zu sein & all die nächte zuvor auch kaum etwas geschlafen wegen meiner entzündung & meiner schwellung, "groß wie hessen", die an diesem tag glücklicherweise nur noch groß wie das saarland war. manchmal ist man regelrecht dankbar für so etwas wie die erfindung des penicillins, & wie bescheuert ist das denn: für eine episode aus der geschichte der pharmakologie dankbar zu sein, wahrscheinlich geht patriotismus genauso, du wirst in deiner kindheit mit pumpernickel gefüttert oder mit mannerschnitten, und wenn dir ein vierteljahrhundert später ein pumpernickelgeschmack unterkommt oder eine altrosa mannerschnittenpackung, denkst du vollautomatisch: ah! deutschland! oder ah! österreich! [dieses genre der heimatgefühlumfragen, bei denen die befragten kulturschaffenden immerzu erzählen, dass sie weltbürger sind, aber diese warmen gefühle, wenn ihnen mitten in brooklyn oder in der wüste gobi irgendwelche heimatlichen madeleines unterkommen]

& kurz nach zehn, nachdem wir unsere taschen in der beletage hollmann deponiert hatten, saßen wir endlich im prückel & bestellten das erweiterte frühstück, am nebentisch eine frau, die sonntags um halb zehn schon einen eisbecher verdrückte & vor jedem löffel "wie dankbar" in den eisbecher hineinschaute, als würde das eis sie von innen verwöhnen, das hasswort nummer eins in meiner hasswortkompilationsliste, & gegenüber saß ein korpulenter herr und las le monde & gleich dachte ich wieder, das ist ja ein tolles foto und nahm meine kamera und fotografierte ihn, & das ist auch so etwas ekeliges, dass man fotos macht, von denen man sich einbildet, sie hätten irgendetwas lustiges, auch wenn man auf den fotos nur einen dicken mann sieht, der eine zeitung liest, beim fotografieren fällt man sich noch weniger als sonst in den arm, jedenfalls ich nicht, & du kannst immer noch sagen: so ein tolles licht & so eine tolle komposition & so ein toller kontrast & so eine tolle typik, weil weißt eh: wien und kaffeehaus und korpulenz und zeitungsleserversunkenheit & so ein wenig altmodisches möbiliar & so eine ganz bestimmte zauberhafte stimmung & dann war da noch diese achtköpfige familie, die sich für ihr prückel-sonntagsfrühstück regegelrecht aufgemascherlt hatte, die töchter in gestärkte sommerkleider gesteckt und die frauen trugen perlen, erste bezirk-bourgeoisie, dachte ich gleich ganz warm, als der warme singsang herüberwehte, & wie hast du das gerade genannt, fragte sie & aufgemascherlt sagte ich, habe ich das denn noch nie in deiner gegenwart verwendet & sie sagte, nein & wie immer gleich wörter zurückkommen, wenn ich in wien bin und wie ich sie schon genau in der sekunde, in der sie zurückgekommen sind, retrospektiv vermisse und mich ein paar augenblicke lang frage, wie ich es überhaupt ohne ein wort wie aufmascherln aushalten habe können, my own private mannerschnitten, wie dumm von mir & wie wir dann sprachen, ob das wort aufbrezeln daher käme, dass das dekolletee einer aufgebrezelten frau von vorne oben gesehen angesehen brezelförmig sei oder ob aufbrezeln abstrakter und eine anspielung auf das ornamentale sei & an einem anderen tisch das sonntagsmorgenliebespaar & wie ihr gesicht leuchtete & wie sie alle zwei, drei minuten sein gesicht berührte (seines sah ich ja nicht, er saß mit dem rücken zu mir) & ihre handbewegungen & wie ich beim hinschauen gleich ein wenig sauer auf ihn geworden bin, völlig überzeugt davon, dass er ihrer nicht würdig wäre, einer frau, deren gesicht so sehr leuchtete

& im mumok grandioserweise [wir hatten uns ja nicht vorbereitet, lass uns einfach im falter nachsehen, was läuft] eine john baldessari-retrospektive, mein seltsamer und seltsamerweise immer größer ("verzweifelter") werdende hunger nach kunst (wie in "bildender kunst") (& gleich disclaimerhaft darauf erpicht, hier festzustellen, dass dieser hunger schon nagte, lange ehe die bildende kunst das neue hippe heiße ding für die illies-baby-boomer-leute geworden ist, die das eben jetzt brauchen, weil ihnen nacheinander der pop und die klamotten und die möbel langweilig geworden sind, es ist ein elendes baby-boomer-leben, irgendwann hat man alle platten und ist zu alt für das klamottengestenze und die wohnung ist schon eingerichtet, also verlegt man sich auf die kunst, aber etwas wie monopol ist dann auch nur ein baby-boomer-leben-verlängerungsinstrument mit albernen wichtigkeitslisten und albernen moritz-von-uslar-wir-lassen-es-krachen-petitessen und sammler-porträts und diesem ganzen immergleichdreck, & saatchi&saatchi-kunst). baldessari dagegen, wie immer, wenn mich etwas anspricht, etwas vernünftiges & helles & nüchternes & seine eigenen bedingungen aufschlüsselndes, & ohnehin habe ich dieses billige witzeln gegen das konzeptuelle nie verstanden, alles andere kannst du noch viel leichter bekommen, diese billige minimalistenerhabenheit beispielsweise und diesen billigen vitalistischen macker-expressionismus, aber wenn baldessari vor einer kamera auf und abgeht und manchmal aus dem kader hinaus und dann wieder halb hineingeht in den kader und dabei die ganze zeit i make art loopt, fast hospitalistisch, the joy of repetion, dann möchte ich auf der stelle vor dankbarkeit und begeisterung losschreien [ein downer, diese formulierung, das weiß ich schon selbst, aber vielleicht ist es, denke ich, eine kleinmütigkeit, die begeisterung über das einrasten von kognition von seinem körper anders behandeln zu lassen als einen freistoß in die linke obere kreuzecke]

& danach ein wenig lustige kleinkunst in den seitentrakten des museumsquartiers, autorennbahnen und autorennbahndisclaimer, & ein wenig tafelspitz mit kernöl & auf dem rückweg in die beletage hollmann noch ein zanoni-eis & endlich im bett gelegen & in diesem seitenblicke-magazin gelesen, was für ein mist, come on, gimme a break

& abends im palmenhaus & wie sie mich in wien jedes mal behandelt, als würde die stadt mir höchstpersönlich gehören und ich sie gewissermaßen durch immer noch ein zimmer meiner wohnung führen, als könnte ich etwas dafür & redet von ihrem namenlosen entzücken, wenn sie mir dabei zusieht, wie ich in wien bin, als ob ich in wien tatsächlich anders wäre, & tatsächlich sagt sie: "bist du ja auch"

& danach ins kino, kung fu hustle, & hinterher noch wein am naschmarkt. "namenloses entzücken". paartum: wie gerne ich das noch verstehen würde.

& montags bei sterngasse 4 & im adidas store [der letzte schuh von muhamad ali, ehe er ins gefängnis musste] & helmut lang & im steffl-basement & was für eine schande, dass in einem halben jahr es dann gewesen sein wird mit helmut lang [& die schau, die ich damals in paris gesehen habe mit elfie semotan & all den anderen aus seinem tribe & wie man das immer sofort merkt, wenn jemand klamotten macht für, ich weiß ja auch nicht, tomboys & nüchtern intelligente menschen & wie es sofort immer nicht gestimmt hat, wenn irgendsoeine dumpfbacke helmut-lang-sachen getragen hat, weil sie gelesen hatte, dass man das jetzt tut oder weil sie die ellbogenschlitze sexy fand, als ob es darum gegangen wäre] & auf dem weg zum museumsquartier, wo wir meinen bruder trafen, an einem plakat mit cordula reyer vorbeigegangen, and still, after all these years & nach dem essen mit meinem bruder zu park in der mondscheingasse, & wie groß war das denn, fast alle edgy fashion designer in einem einzigen laden gesammelt, sehr idiosynkratisch & wie jedesmal, wenn ich den raf simons-schmuck sehe, ein paar minuten darüber nachgedacht, ob ich mir nicht doch so einen punkismus leisten sollte & es wie jedes mal dann doch gelassen

& abends bei hader, seltsames stück, das er da aufführte, so outriert plötzlich & sie sagte: "ich hasse es, wenn einer eine frau spielen will und seine stimme so hochquetscht" & zwischendurch als er dann aber mit dieser ganz schäbigen fistelstimme ein mozart-lied sang in einer russennuttenrolle, ging es dann doch wieder [& sowieso meine seltsame rührung, wenn eine männerkörpermasse mit hoher stimme lieder singt, die bierbichler-rührung], & warum er diesmal die ganze zeit so schreien muss & dieses sich nach wiedererkennbarkeiten strecken wollen plötzlich, der blöde falco-part & das sind natürlich nur petitessen, denn es ist ja immer noch hader gewesen & dann wieder diese hadersätze: das leben besteht aus lauter katastrophen und dazwischen is fad &

& wie wir noch ein fluchtachterl getrunken haben im garten des hotel rivera & der kellner erzählte, dass seine kollegin sich so verliebt hätte & die kellnerin nicht protestierte, sondern ja sagte, zu uns fremden, und ich ihr beim gehen noch viel glück wünschte und sie danke, das werd ich brauchen sagte & wie jedesmal ihre wienabschiedstraurigkeit auf dem weg ins hotel & wann müssen wir raus & den wecker schon wieder auf sechs

& meine tochter, die gestern 17 geworden ist und sagte, ich geh dann von der party gleich in die schule

& heute immer noch diese müdigkeit zu wenig schlaf immer noch. aber jetzt. blöder schluss, suppt einfach so weg






Dankeschön. Immer wieder.


Sie müssen

diese Stadt sehr mögen


und wie ich mich dabei beobachte, am ende mehrmals täglich zu checken, ob der praschl denn endlich wieder ... und dann eine solche entschädigung ...

"Nicht immer. Aber... "


klingt nach einem perfect day, also a bisserl bemüht, unausgesprochen. wallpaper hotspots mixed with falter's best of vienna - es gehe auch anders, aber wozu. abhaken der liste. schön, dass sie das durchgehalten habe, ich wäre als einwohner dieser stadt irgendwo picken geblieben. warum das schön ist, weiss ich nicht genau, vielleicht wegen obigen texts. idiosynkratische casualness. tropf. joy of repetition. tropf. sehr wow.


Ich weiß, ich sag das zu oft. Aber. Ich möchte das gerne als Buch.

Pretty please?


Dankbarkeit für Penicilin ist ganz was anderes als Patriotismus. Ehrlich.


Wien Rituale... Ins Naturhistorische gehen, und nachschaun, ob der Elefant noch da ist. Im Hummel ein Buch lesen. In der Nähe von Gemeindebauten Tauschbörsen suchen. Sich einbilden, man sei kein Tourist, nur weil man da geboren ist.