Drei Sommer lang habe ich in einer Fabrik gearbeitet. Ich war 17, 18, 19 damals. Im ersten Sommer habe ich mir eine Lackvergiftung geholt, im zweiten die Hand aufgeschlitzt, im dritten ist nichts passiert. Was ich an der Arbeit mochte, war diese Solidarität, die kein Aufhebens von sich machte und sich selbst nie als Solidarität bezeichnet hätte, in Fabriken kommen einem die ganz großen Wörter recht lächerlich vor. Wenn einer gesoffen hatte oder sonst einen schlechten Tag, haben die anderen halt seinen Job miterledigt, ohne dass irgendein Aufpasser das registriert hätte. Man konnte sich zurückziehen, irgendwo zwischen zwei Gänge mit Maschinen-Ersatzteillagern und sich schnell eine Stunde hinlegen. Als der Typ mit der Stoppuhr kam, um zu schauen, ob man an der Akkordnorm drehen konnte, haben wir sofort um ein Viertel langsamer gearbeitet, ohne dass er das herausgefunden hätte. Man musste darüber nicht sprechen, es war einfach so. Man war auch sofort Teil der Gruppe, keiner, der da nicht gleich aufgenommen worden wäre, auch wenn einer wie ich daherkam, Schüler, Student mit der irren Idee, zu agitieren, die Rotfront zu verteilen. Sie haben sie sogar gelesen, nicht uninteressiert, ein paar Fragen gestellt, vielleicht aus Höflichkeit, ich war sehr jung damals, im Nachhinein noch mag ich diese Skepsis gegenüber den Dahergelaufenen, die es besser wissen wollten, ob die nun auf ihrer Seite standen oder die Stoppuhr drückten. Damals gingen wir alle im Sommer in die Fabriken, schauen, ob etwas ging. Es ging nicht viel, jedenfalls nicht in dem Sinn, in dem wir uns das vorgestellt hatten, aber wenn man nicht gar zu vom Proletkult vernagelt war, konnte man einiges lernen. Mimetische Fähigkeiten, Mikrowiderstände. Wir haben zum Beispiel Ersatzteile, die für Südafrika gedacht waren, unvollständig ausgeliefert, da ein Dichtring weg, dort eine falsche Antriebswelle dazugepackt. Keiner hat gesprochen drüber, kein Vorarbeiter Anstoß genommen, war halt so, das fand ich schön. Komisch, dass heute das Proletariat kaum noch vorkommt, damals gab es noch Filme zum ersten Mai im Fernsehen, Turrini/Pevny, es gab Romane, Innerhofer Wolfsgruber, damals war das noch in allen Überlegungen, in den peinlichen sowieso, aber auch in den ungezwungenen. 20 Jahre später stehen die da immer noch, keiner kommt mehr vorbei und will irgendwas verteilen, nur noch die Typen mit der Stoppuhr, die an den Normen schrauben. Schon sehr viel schiefgelaufen, ich würde sagen: mit uns.






Warst bestimmt ein hübscher Arbeiter

und das hier haut in dieselbe Kerbe: www.berlinonline.de