Donnerstag, 25. Januar 2001

Ulrich Woelk, der vor ungefähr zehn Jahren war, was KrachtStuckradBarreNatersLagerBessingLange etc. heute sind, nämlich "Chronist seiner Generation" (ungefähr das Ekeligste, was man sein kann, finde ich), hat nach langem Schweigen leider doch einen Roman geschrieben. Er nennt sich "Liebespaare", erscheint bei Hoffmann und Campe, wo sie anscheinend keine Lektoren mehr haben, und hat es schon Ende Januar auf meine Liste der schlechtesten Bücher 2001 geschafft. Muss man aber trotzdem gelesen haben: Woelks Kombination von muffiger Kulturkritik und verschwitzten Fickpassagen ist noch grotesker als alles, was Botho Strauß je zustande gebracht hat.

Meine Lieblingspassage - die ein neues Sofa-Archiv eröffnen soll: "daneben gegangene Beschreibungen des Internet in der deutschen zeitgenössischen Literatur" - handelt vom Netz und ist zugleich eine Einladung zu einem Dreier (die im wirklichen Leben jeder ausschlagen würde: mit Leuten, die so reden, kann man nur miesen Sex haben...):

Greta nimmt ihr Glas vom Tresen und sagt: "Ich glaube, diese Datennetze sind etwas für Angsthasen und Schlappschwänze." Nhyre hat in seine Corona-Flasche eine halbe Limettenscheibe gestopft, die jetzt, wenn er die Flasche ansetzt, gefangen gegen deren Hals purzelt, von Bier umspült, ein Stückchen Obst in einem goldenen Käfig. Er sagt: "Auf die Idee, dass die Datennetze einmal zu einem virtuellen Puff werden würden, ist vor zehn Jahren eben niemand gekommen." "Was man in der Zeitung so liest, geht es aber in einem Puff anständiger zu", sagt Greta. Sie will nicht moralisch sein, und ein flüchtiger Gedanke treibt durch ihr Bewusstsein, dass es nicht nur die Männer sind, die sie langweilen, sondern nicht weniger sie selbst. Thomas Hoffmann nimmt sein Perrier entgegen und sagt: "Das Internet ist so eine Art Vergrösserungsapparat für das menschliche Bewusstsein, im besonderen für dessen dunkle Seite. In Zukunft ist es nicht mehr möglich, irgend etwas geheim zu halten, und man wird nichts mehr tun können, ohne nicht damit auf einer Website zu landen. (Da hat der Woelk recht, wie ich hier bewiesen habe....PP) Egal, was man so treibt - irgend jemand wird einem dabei zusehen."

Greta schlürft die letzten Reste ihres Bellinis, das mit bleichem Prosecco durchtränkte Pfirsichmus ist süß und zähflüssig und lauwarm. "Na gut, dann eben Angsthasen, Schlappschwänze und Spanner. Man kommt sich ja geradezu blöd vor, wenn man noch normal ist. Vielleicht sollten wir es heute abend zu dritt machen. Wer weiss, wie lange wir noch sicher sein können, dass uns keiner dabei zusieht."





Wer immer schon mal die (gar nicht so unspannende) Antwort auf die bange Frage haben wollte, warum Tastaturen so aussehen wie sie nun mal aussehen, wird, zumindest für die USA-Variante, bei der QWERTY Connection fündig.





Seit einiger Zeit schaue ich in den Himmel. Ich habe das ein Leben lang nicht gemacht. Was soll an einem blöden Himmel auch schon interessant sein? Damals, als ich noch Philosophie studierte, habe ich das Naturschöne nie verstanden, es sei denn, es war katastrophisch, Fluten, Gewitter, Erdbeben und dergleichen; dann war es immerhin erhaben. Jetzt hat sich das gründlich geändert. Jeden Morgen sitze ich da, trinke Tee und starre in den Himmel und lese aus ihm lauter Kunstschönes, action painting oder die Flüchtigkeiten eines Cy Twombly. Sicher: ich komme mir bescheuert vor wegen meines Glotzens, aber ich frage mich auch, wohin es noch führen wird. So viel Kosmos. Die Wolken: gleich wieder weg, man ahnt das ja nicht. So viel Grau, man hat ja keine Ahnung. Ich hätte gerne ikonographische und metaphorologische Studien darüber, aber bis jetzt bin ich nicht wirklich fündig geworden. Dabei müsste der Himmel für die Kulturgeschichte doch immens viel hergeben. Mal sehen.

Immerhin habe ich John Constable und seine study of clouds entdeckt:

"His wife's tuberculosis first brought Constable to Hampstead in 1819. It was an ideal place for him to study the cloud formations and weather conditions that had become such an important part of his work, and he made cloud studies... regularly there. These sketches, considered among the most original aspects of his work, gained favor with collectors only after the French painters of the Barbizon school and the Impressionists helped establish a taste for free, loose, and spontaneous ways of working."
Was für eine Obsession: Wolken zu malen, Öl auf Leinwand. Welche Disziplin es erfordern muss, diese eine Hundertstelsekunde, in der die Konstellation so und nicht anders ist, auf einer Leinwand stillzulegen. Study of Clouds at Hampstead. Klicken macht die Wolken größer... Mehr Gemälde von Constable gibt es über diesen Artcyclopedia-Zugang.





Guck nicht so auffällig hin, sagte S., aber den Typen da drüben kenn ich. Der war mal sooo wichtig bei blabla.com. Die wollten eine eigene VC-Abteilung aufbauen. Und dann hat er gleich den ersten Laden in den Sand gesetzt. Und jetzt haben sie die Abteilung wieder eingestampft.

Was macht er jetzt, fragte ich.

Ist wieder Angestellter, sagte S., ganz normal. Der Arsch.

Na und, sagte ich.

Ich vergönn's ihm ja. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr der den dicken Max markiert hat.

Wieso, sagte ich, der hat doch immer noch eine dicke Rolex am Arm.

Stimmt, sagte S.

Dann schwiegen wir eine Minute.