So sehr mir Heine im Gespräch unter vier Augen gefiel, eben so sehr mißfiel er mir, als wir ein paar Tage später bei Rothschild zu Mittage waren. Man sah wohl daß die Hauswirthe Hein'e fürchteten, und diese Furcht mißbrauchte er um sich bei jeder Gelegenheit verdeckt über sie lustig zu machen. Man muß aber bei Niemand essen, dem man nicht wohlwill, und wenn man Jemand verächtlich findet muß man nicht bei ihm essen. Es setzte sich daher auch von da an unser Verhältniß nicht fort. Unter den Gästen bei Rothschild befand sich auch Rossini. Ich hatte ihn vor Jahren flüchtig in Italien gesehen. Jetzt war er ganz Franzose geworden, sprach die fremde Sprache wie ein Eingeborner und war unerschöpflich an Witz und Einfällen. Seine Feinschmeckerei ist bekannt. Er war, obwohl Hausfreund, dießmal vornemlich geladen um die Proben einer anzukaufenden Partie Champagner zu versuchen, worin er als ein vorzüglicher Kenner galt. Beim Nachhausegehen giengen wir eine Strecke mitsammen. Ich fragte ihn ob das Gerücht wahr sey, daß er für die Krönung des Kaisers von Östreich zum König von Italien eine Oper schreibe. Musikalisch merkwürdig war mir seine Antwort. Wenn man Ihnen jemals sagt, erwiederte er, daß Rossini wieder etwas schreibe, so glauben Sie´s nicht. Erstens habe ich genug geschrieben, dann giebt es Niemand mehr der singen kann. Im Übrigen habe ich in Paris gesehen was Jedermann sieht, es ist daher darüber nichts zu sagen. [Franz Grillparzer, Selbstbiographie]





diamonds

"What a dream it was," Kismine sighed, gazing up at the stars. "How strange it seems to be here with one dress and a penniless fianc_!

"Under the stars," she repeated. "I never noticed the stars before. I always thought of them as great big diamonds that belonged to some one. Now they frighten me. They make me feel that it was all a dream, all my youth."

"It was a dream," said John quietly. "Everybody's youth is a dream, a form of chemical madness."

"How pleasant then to be insane!"

"So I'm told," said John gloomily. "I don't know any longer. At any rate, let us love for a while, for a year or so, you and me. That's a form of divine drunkenness that we can all try. There are only diamonds in the whole world, diamonds and perhaps the shabby gift of disillusion. Well, I have that last and I will make the usual nothing of it." He shivered. "Turn up your coat collar, little girl, the night's full of chill and you'll get pneumonia. His was a great sin who first invented consciousness. Let us lose it for a few hours."

So wrapping himself in his blanket he fell off to sleep.

[F. Scott Fitzgerald, The Diamond as Big as the Ritz.]





Die wenigen Male, bei denen ich Lust hatte, meinen Fernseher zu zertrümmern, waren die, als ich auf der Mattscheibe die satanische Fratze von Dr. Lacan erscheinen sah. Selbst der perverseste Filmemacher würde es sich dreimal überlegen, ehe er diesen Mann für einen Vampirfilm engagierte [Claire Goll, Ich verzeihe keinem]





Dann gründete ich in einem Teil des Englischen Gartens ein Geschäft. Ich vermietete hinter dem Haus der Kunst Sträucher als Stundenhotels für Liebespaare. Ich akzeptierte nicht jedes Liebespaar. Das sprach sich schnell herum und brachte mir, leider, Zulauf. Ich war ein Bettler und war wachsam; wer in meinen Sträuchern liebte, kam verändert heraus, das merkten zuerst die Betroffenen, schließlich auch ich selber. Wie das geschah, wusste keiner,  ich am wenigsten. Ich nahm für jede Vermietung 50 Pfennige und es wurden mir bald höhere Geldbeträge angeboten, aber das lehnte ich ab, denn ich wollte nur der abseits phantasierende Wächter ganz bestimmter Liebespaare sein, und ich wollte es nur für eine halbe Mark und nicht für mehr sein. Ich sah mir die Pärchen nur sehr unaufdringlich an  und sagte dann: "Sie können einen Strauch haben", nahm das Entgelt; oder ich sagte: "Es tut mir leid, mit meiner Einwilligung können Sie hier keinen Strauch haben." Dann bot man mir jedesmal mehr Geld, niemals gab es Empörung. Und jedesmal sagte ich dann ruhig und mit Überzeugung: "Stecken Sie ihr Geld ein, lieben Sie sich überall, aber Liebe in einem Strauch würde Ihnen schaden, und das hat nichts mit dem Wert oder Unwert Ihrer Person zu tun, vertrauen Sie mir einfach." Wenn ich einem Liebespaar einen Strauch überließ, so ging ich abseits und fantasierte. Sonst nichts.  [Ernst Herhaus, Kapitulation]





Ich schreibe das Buch gegen mich, gegen die Zeit, gegen die Gesellschaft und vor allem gegen die Wahrheit sozusagen und gegen die Jugend, gegen alles was nachdrängt und dem Platz gemacht werden soll. Nicht daß ich etwa länger bleiben will, ich schreibe nur gegen die Unwahrheit, daß eine Zeit kommt etc., wo alles besser sein wird. Es soll gar nicht besser werden. Das wird dabei viel verlangt von einem Verleger, der ja auf Leser Rücksicht nehmen muß. Ich weiß das alles. Ich bin doch selber Geschäftsmann. Man muß also den Leser einlullen und beschwindeln. Das muß sehr vorsichtig angefangen werden, das muß gut ausgewogen sein, wie weit man da gerade noch gehen kann. Schließlich ist doch die Sache so: Wenn jemand zu einem Bekannten kommt und erklärt, er werde jetzt Selbstmord begehen, so ist die Antwort einleuchtend genug: aber nicht hier in meinem Zimmer - so ungefähr ist es doch mit dem Leser. [Franz Jung, Schriften und Briefe II, 1087]





Zur Abwechslung und von Herzen etwas Nützliches auf dieser Station: Haruki Murakamis Roman "Naokos Lächeln". Es ist, soviel ich weiß, der erste Roman, den er geschrieben hat, sein erster Bestseller jedenfalls, danach war er berühmt. Ich habe, als ich in Tokyo war, die zweibändige englische Ausgabe der Kodansha English Library namens "Norwegian Wood" gekauft (mit einem idiomatischen Anhang, in dem Wendungen wie "like a corpse" und "I can keep you safe from the darkness and dreams" aufgelistet werden) und ein paar Tage lang in jeder freien Sekunde süchtig und zunehmend verwirrt gelesen, in irgendwelchen Nudelsuppenläden, im Meji Park oder auf der Yamamoto Linie im Kreis fahrend. Vielleicht liegt es ja daran, dass mir dieses Buch bis heute als das umwerfendste von Murakami vorkommt, aber es könnte auch am Buch liegen. Es ist nicht sein bestes (das ist zweifellos Mr. Aufziehvogel), aber es ist sein jugendbeseeltestes, hungrigstes. Ein Erwachsenwerdenbuch, und man merkt, von wie vielem man Abschied nehmen muss, wenn man zum Erwachsenwerden gezwungen wird. Es geht darin um ein unglückliches Mädchen, eine unglückliche Liebe, den Tod, und während man es liest, taumeln einem alle unglücklichen Lieben, von denen man selbst gebeutelt wurde, wieder in die Erinnerung, bis man irgendwann, noch weit vor der letzten Seite, gar nicht anders kann als loszuheulen. (Oder in den Meji Park zu gehen, eine Münze in den Schrein zu werfen und zu beten. Oder wenigstens zu tun als ob. Und anschließend loszuheulen und sich mit viel Sake zu betrinken). Lasst euch um Himmels willen nicht davon abschrecken, dass Murakami seit fünfzehn Monaten von allen möglichen Deppen gepriesen wird (Sibylle Berg und Reich-Ranicki, die peinigendsten Lobredner, die man sich vorstellen kann, und Murakami hat sie beide, und natürlich fanden sie sein einziges wirklich schlechtes Buch, die "Gefährliche Geliebte", ganz dufte). Er kann nichts dafür - er wird euch umwerfen, es werden Bücher sein, die stärker sind als ihr glaubt, vertragen zu können, ihr werdet dankbar sein, sie gelesen zu haben.





Edoardo Sanguinetti, Reisebilder, Berlin 1972, die Nummer 25:

wir mussten schließlich, im tropischen tempel des Victoria- Regia-Hauses (man darf es nicht "redschía" lesen in diesem fall), an einem heftigen Verlangen leiden, über die wasser zu gehen: das heisst, über diese pflanzlichen pfannenkähnchen (die meinem kärglichen gewicht standhalten würden, vielleicht, es ist aber klüger, darauf zu verzichten: auch wenn niemand uns überwacht, hier), zwischen einer wunderbaren nymphea lotus in blüte und einer stolzen nepenthes superba: und dann sind wir alle auf aus aufschlussreiche fleischfressende pflanzen, mit umrissen von orchideen wie bei Proust, auf eine art friedhofswege, auf vereinzelte eichhörnchen: und auf das übliche Schnitzel: (in mir ist eine berufung zur botanik wachgeworden, heute, fürchte ich: ich werde herborisieren im hohen alter: ich habe hervorragende vorgänger, in dieser richtung): der bescheidenste antrieb aber (und der menschlichste, wenn es stimmt, dass er in der menschlichen Natur liegt, wenn sie Künstler und Dilettanten hervorbringt), all dem gegenüber, was wir sehen, ist jetzt noch dieser: Worte zu finden:
Das Victoria-Regia-Haus im 25.Gedicht ist ein Pflanzenschauhaus im Botanischen Garten in Berlin. Auch dieses Gedicht enthält Goethe-Zitate.





stammt von Jason Starr, steht in "Fake I.D." und geht so: "When I came out of the bathroom, Debbie had pulled open the couch. She was lying on her back naked. I turned out the light. It wasn't totally dark out yet so I could still see the outline of her body. I didn't know how I was going to go through with this. I got into bed and climbed on top of her. I was holding her down with my arms, taking it nice and slow at first, then speeding up. She started to moan and then I decided to get just over with. I picked up a pillow and pressed it down over her face. She fought back a while, kicking and swinging her arms like a maniac, but I kept pushing down. Finally, she stopped squirming." Van Jason Starr, der eine <a href="hometown.aol.com"">Homepage hat, ist bei Diogenes auf deutsch "Top Job" erschienen, im März folgt "Die letzte Wette" mit dem diabolischsten Krimi-Plot, das mir je untergekommen ist.





Da liest man zur Abwechslung einmal wieder ein suhrkamp taschenbuch, Sabine Neumann, <a href="www.amazon.de"">Streit, Debüt, wohlwollend besprochen, und dann stösst man gleich wieder auf das ewige Einerlei:

"Sie zog in eine Wohngemeinschaft mit sechs italienischen Studentinnen. Sie schrieb ihm, gestern Abend, als wir zu siebt auf einem der Doppelbetten sassen und Flavia uns aus der Hand las und als ich den Druck von Rosellas Oberschenkel an meinem spürte, habe ich plötzlich gemerkt, dass ich eine Frau küssen will. Ich will begehren, nicht nur begehrt werden. (...) Sie blickte zum Kanal (...) und sagte, ich glaube, ich muss diese Italienerin küssen, ich denke an nichts anderes mehr, ich blicke heimlich durch die gerippte Badezimmertür, wenn sie duscht, ich betrachte die Slips, die sie zum Trocknen aufgehängt hat, ich drehe mich im Bett so, dass ich das glühende Ende ihrer Zigarette im Dunkeln vor dem Einschlafen sehen kann, ich höre auf das Geräusch, mit dem ihr Mund an der Zigarette saugt, ich verfluche die Tatsache, dass sie ihre Kleidung anlässt, wenn sie sich schlafen legt. Es ist schade, sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen, dass du in deinem Verfallensein an sie so erbarmungswürdig wirkst, es hat dich banal gemacht, es steht dir schlecht, in dieser Weise verliebt zu sein. Sie schliefen miteinander, bevor er wieder abreiste, in dem viel zu weichen Bett, sie liessen kichernd das verknotete Kondom auf den Boden fallen, sie lagen nackt auf der rauhen Decke und rauchten. Er fragte, denkst du jetzt an sie, wirst du zu ihr gehen und sie küssen, wenn ich abgereist bin, wirst du dich neben sie legen? Ich muss zugeben, ich wäre gerne dabei, ich würde gerne zusehen. Ich würde gerne wissen, wie es aussieht, zwei Frauen im Bett, was machen sie miteinander, ist eine von beiden der Mann, in diesem Fall: du."
Einmal abgesehen vom Mottenkugel-Geruch, der von diesen Sätzen ausgeht, und auch abgesehen von der Beschreibungsunfähigkeit (was heisst zum Beispiel, dass "SIE das Kondom auf den Boden fallen ließEN", ich meine, für so ein Kondom, auch wenn es gefüllt ist, braucht man doch nun wirklich keinen Plural): Wofür ich heute Abend, ohne Ironie und ohne Hintergedanken, dem Schicksal dankbar bin, ist meine Heterosexualität. Nicht, dass sie so spannend wäre, und auch nicht, dass ich mit ihr besonders viel anzufangen wüsste (ganz normaler langweiliger, befriedigender, doch nicht weiter erwähnenswerter so-gut-wie-ehelicher Sex, falls es jemanden interessieren sollte), aber ich bin sicher, dass ich als schwuler Mann, oder auch als lesbische Frau, es schwer fände, nicht unaufhörlich muffig zu sein über eine Dumpfbacken-Kultur, zu deren neueren Ritualen es gehört, sich die Homosexualität als Fünf-Minuten-Versuchung und Zwischendurch-Prickeln zu gönnen. All die schwulen Nebenfiguren, die Schwenkfutter-Lesben in den Komödien und Fernsehserien, all die gut gelaunten Huch-Homosexuellen, die schrillen Transen, die LipChic-Lesben, die so vorhersagbar geworden sind wie Piercings, Tattoos und die "Ich bin eben so, aber ich steh dazu"-Bekenntnisse sind kein Indiz für die wachsende Toleranz dieser Kultur, sondern nur eines für ihren wachsenden Kannibalismus: Wir sind so frei, wir stellen uns sogar ein paar Augenblicke vor, mit euch ins Bett zu gehen, warum denn nicht, wir können nicht nur bungeejumpen, sondern uns auch das Schwulsein vorstellen, haha, hihi. Möchte man jemand sein, von dem sich Idioten vorstellen, man könnte ihrem köstlichen Selbst förderlich sein, ihrer Selbsterfahrung, ihrer Identitäts-Politik, die jeden gefangen nimmt, der in die Nähe kommt? Ich jedenfalls bin glücklich, dass meine sexuelle Orientierung so langweilig ist wie der Begriff "sexuelle Orientierung". Bei mir kommt keiner auf blöde Ideen: Gut so.





Ulrich Woelk, der vor ungefähr zehn Jahren war, was KrachtStuckradBarreNatersLagerBessingLange etc. heute sind, nämlich "Chronist seiner Generation" (ungefähr das Ekeligste, was man sein kann, finde ich), hat nach langem Schweigen leider doch einen Roman geschrieben. Er nennt sich "Liebespaare", erscheint bei Hoffmann und Campe, wo sie anscheinend keine Lektoren mehr haben, und hat es schon Ende Januar auf meine Liste der schlechtesten Bücher 2001 geschafft. Muss man aber trotzdem gelesen haben: Woelks Kombination von muffiger Kulturkritik und verschwitzten Fickpassagen ist noch grotesker als alles, was Botho Strauß je zustande gebracht hat.

Meine Lieblingspassage - die ein neues Sofa-Archiv eröffnen soll: "daneben gegangene Beschreibungen des Internet in der deutschen zeitgenössischen Literatur" - handelt vom Netz und ist zugleich eine Einladung zu einem Dreier (die im wirklichen Leben jeder ausschlagen würde: mit Leuten, die so reden, kann man nur miesen Sex haben...):

Greta nimmt ihr Glas vom Tresen und sagt: "Ich glaube, diese Datennetze sind etwas für Angsthasen und Schlappschwänze." Nhyre hat in seine Corona-Flasche eine halbe Limettenscheibe gestopft, die jetzt, wenn er die Flasche ansetzt, gefangen gegen deren Hals purzelt, von Bier umspült, ein Stückchen Obst in einem goldenen Käfig. Er sagt: "Auf die Idee, dass die Datennetze einmal zu einem virtuellen Puff werden würden, ist vor zehn Jahren eben niemand gekommen." "Was man in der Zeitung so liest, geht es aber in einem Puff anständiger zu", sagt Greta. Sie will nicht moralisch sein, und ein flüchtiger Gedanke treibt durch ihr Bewusstsein, dass es nicht nur die Männer sind, die sie langweilen, sondern nicht weniger sie selbst. Thomas Hoffmann nimmt sein Perrier entgegen und sagt: "Das Internet ist so eine Art Vergrösserungsapparat für das menschliche Bewusstsein, im besonderen für dessen dunkle Seite. In Zukunft ist es nicht mehr möglich, irgend etwas geheim zu halten, und man wird nichts mehr tun können, ohne nicht damit auf einer Website zu landen. (Da hat der Woelk recht, wie ich hier bewiesen habe....PP) Egal, was man so treibt - irgend jemand wird einem dabei zusehen."

Greta schlürft die letzten Reste ihres Bellinis, das mit bleichem Prosecco durchtränkte Pfirsichmus ist süß und zähflüssig und lauwarm. "Na gut, dann eben Angsthasen, Schlappschwänze und Spanner. Man kommt sich ja geradezu blöd vor, wenn man noch normal ist. Vielleicht sollten wir es heute abend zu dritt machen. Wer weiss, wie lange wir noch sicher sein können, dass uns keiner dabei zusieht."