bookforum: thomas laqueur rezensiert dagmar herzogs sex after fascism, die deutsche übersetzung erscheint im september 2005. klingt spannend & klug.
[gleichfalls im bookforum: ein kleines pynchon-special]
diese merkwürdige angewohnheit, auf gar keinen fall den fuß auf den boden setzen zu wollen. wenn ich den boden berühre, bin ich tot. neulich ein mädchen gesehen, das blind über die straße ging, neben ihrer mutter, die auf sie achtgab, diese angstlust, noch einen schritt, noch einen schritt, bloß nicht die augen öffnen. dann wieder: meine distinktions-verachtung für die fahrradfahrer, die sich an pfählen festhalten. als ob sie so schneller wieder wegkämen. ich glaube, was mich stört, ist das langsam auf die rote ampel zurollen, damit der rückstoß beim festkrallen sie nicht vom rad birnt. das kommt mir so bike-potato-haft vor. und dann wieder: letzte woche langsam und immer begeisterter hinter einer frau hergerollt, die freihändig fuhr, eineinhalb kilometer lang, den kompletten anstieg auf der stresemann hoch, aufrecht und beide hände in ihrem schwarzen trenchcoat, wollte sie sofort zum trinken, essen, durchbrennen einladen, aber das traut man sich ja doch nie.
entwicklungen, von denen man sich wünscht, man könnte sie beweisen. übers wochenende in angelika taschens empfehlenswertem reader schönheitschirurgie gelesen. am lustigsten darin: dass fast jeder der befragten chirurgen auf befragen sagt, ja, er selbst halte sich für attraktiv ("frauen sagen, ich hätte aura" & all so was) - während man beim blick auf das dazugehörige foto vollautomatisch "träum weiter!" denkt. am mysteriösesten darin: die auskunft im genitaloperationsabschnitt, die durchschnittliche mitteleuropäische erektion sei 13 zentimeter lang. sofort gedacht, dass sie (wer immer, die aufklärerischen printmedien halt...) vor einem jahr bei 15 und vor zwei jahren bei 16 zentimetern waren. oder bei 14 und 15. ist ja auch egal. nur diese übliche ich-kann-mich-doch-genau-erinnern-das-gelesen-zu-haben-wenn-ich-nur-wüsste-wo-gewissheit, dass da offensichtlich so ein kleiner let's-get-real-ehrlichkeitstrend puckert. und die vermutung, dass das schon irgendetwas zu bedeuten haben wird. aber was? liebling, wir haben deine lügen geschrumpft? lasst uns realistisch werden, nach all den jahren? wir wollen nie wieder in illustrierten und non-fiction-büchern sätze lesen, bei denen wir uns minderbemittelt fühlen? du musst dich nicht schämen für deine mickrigkeit, wende dich doch an unser op-finanzierungslösungs-department? wenn wir schon angst vor der arbeitslosigkeit haben, wollen wir wenigstens nicht gesagt bekommen, dass wir vor noch viel mehr angst haben müssen? und: mist wieder mal, man müsste diesen ganzen albernen volksseelenkram auf der stelle markern und clippen und abheften, damit man ein paar jahre später belegen könnte, was da gerade im gange ist.
[unwillkürliche erinnerungen an redaktionssitzungen zu jener zeit, als viagra auf den markt kam. wie interessiert die jungs sofort waren, titelgeschichte, sofort, und in einem monat weiterdrehe. und ich mich immer gefragt: wieso das denn, ich dachte, männer according to you wären immer immer immer toll, gewinner, virtuos &sw. und warum diskutieren da jetzt der autor-, der motor- und der sport-redakteur plötzlich so interessiert mit und haben überhaupt kein problem mit noch einer medizin-coverstory? ah, männer, dumme dummköpfe. & wie froh ich immer wieder bin, von feministinnen, tomboys und bitches sozialisiert worden zu sein.]
Wort: gympiphany
NY Daily News. [Via Gawker]
Lance Armstrong: 500 Watt, 20 Minuten lang. So, how does he do it? (NYT)
Heute bin ich fast totgefahren worden, zweieinhalb Stunden ist das jetzt her. Ein Auto, dass ganz plötzlich nach rechts ausschert, auf den Radfahrweg, das Sensorium merkt, dass das jetzt ganz knapp werden wird, man macht das Richtige, ohne dass man hinterher wüsste, worin das Richtige bestanden hat, wie die Oberschenkel sich anfühlen, ist es wohl ein Antritt gewesen, die Stoßstange, die das Hinterrad gerade nicht mehr streift, aber man bemerkt so etwas wie einen Windstoß, spürt den Beinahe-Zusammenstoß, den man logischerweise nicht spüren kann, irgendeine Verwirbelung, mag sein: nur in der Einbildung. Man bleibt stehen, will den Fahrer beschimpfen, bemerkt, wie erleichtert er ist, niemanden über den Haufen gefahren zu haben, und beschimpft ihn nicht, man schaut einander an, zwei Erleichterungen. Zweieinhalb Stunden danach noch immer die Erinnerung an die eine Zehntel- oder Hundertstelsekunde der Verwirbelung, eine "rein körperliche" Erinnerung (als ob es so etwas geben könnte), sehr seltsam. Das andere Mal, da ich fast gestorben bin, in jenem glücklichen Sommer auf Long Island, als mich ein Wellensog unvermutet nach unten riss, zwei, drei Meter, das Rückgrat gegen den Meeresgrund schleudernd, habe ich, elf Jahre später, immer noch im Körper gespeichert, eine kleine imaginäre Erinnerungsnarbe, zwei gedachte Wirbelerinnerungen zwischen den Schultern, es tut nicht weh, es ist nichts geschehen, aber man wird das nicht mehr los, so wie ich mich an die Berührungen mancher Frauen erinnern kann oder mir jedenfalls einbilde, mich an sie erinnern zu können, lass mich blind und taub werden und berühr mich wie damals und ich werde dir sagen können, wer du bist, Privatmythologie, man versucht ja nie, solche Hypothesen experimentell zu überprüfen. Und woher weiß man, dass man beinahe gestorben wäre, warum durchaus nur diese beiden Sekundenbruchteile - und durchaus nicht all die anderen, in denen es auch knapp gewesen ist, unaufhaltsam näherkommende Bäume, Autos & andere feste Objekte gab es ja viele?
auch klasse in tush die strecke über die geheimnisse einer guten grundierung. im abspann: "Wir danken: Espace Lumiere Studio und Docs ad Hoc für die Bildbearbeitung" [italics are mine…]
geträumt. mit m. zu einer theateraufführung verabredet, wir wollen uns dort treffen. als ich ankomme, ist das gebäude unübersichtlich groß, von den dimensionen eines einkaufszentrums. ich finde nicht heraus, wo die theateraufführung stattfindet, sie muss längst im zuschauersaal sitzen, wird ungehalten auf mich sein, ich kann sie nicht auf dem mobiltelefon anrufen, weil sich dann alle im saal zu ihr umdrehen würden. einmal noch laufe ich durch das gebäude, ein letzter versuch. ich treffe eine umwerfend gut aussehende frau, die mit den zeichen der ungeduld auf mich zustürzt, wo ich denn so lange gewesen wäre, schnell! schnell!, die auktion würde gleich beginnen, & sie wolle sich meinetwegen ganz sicher nicht um das vergnügen bringen, ron arad dabei zuzusehen, wie er ein bild seines erzfeindes van gogh verkauft.
[am wochenende gelesen: wittgenstein über farbe, pascal über eitelkeit, schivelbusch über das geistige leben in berlin 1945-1948. gesehen: am freitag hademar bankhofer über das entstehen der großen pause im theater: die leute hätten damals so viel mundgeruch gehabt, dass man eine ganze vorstellung ohne lüften nicht ertragen hätte, samstag godards "zwei oder drei dinge"]
moderne probleme, versagen der fashion industry, neue nischenmärkte. new york times: mist, ich habe meine brüste vergrößern lassen, und jetzt finde ich nichts mehr anzuziehen.