Lieber Herr Praschl!

Dies ist mein dritter aufrührerischer Brief an alle Cognac-Revolutionäre und jene, die es werden wollen. Vive la révolution! Nachdem wir die spießigen Cognac-Schwenker zerschmettert haben und glücklich die ersten Longdrinks mixten, fahren wir mutig fort mit unserem umstürzlerischen Treiben und Trinken!

Worum es diesmal geht? Um die wichtigste Frage der Neuzeit: die Zeitfrage! Spätestens seit Marcel Proust nach der verlorenen Zeit suchte, steht sie im Mittelpunkt unseres Lebens. Für den Cognac-Liebhaber stellt sie sich so: Wann, wie oft und wie lange soll er es tun? Nur im Winter, wenn es schneit, oder auch zur Sommerszeit? Nur spät abends am Kamin oder auch am helllichten Tag im Straßencafé? Nur im Ohrensessel oder auch auf der Sonnenliege am Swimmingpool? Nur sonntags und bei Jubelfesten oder auch zu alltäglicheren Stunden? Soll es es nur mal kurz auf die Schnelle machen, oder besser sehr lange und langsam mit viel Genuss?

Schon während ich diese Zeilen schreibe, beginnt mein revolutionäres Herz heiß zu pochen. Es schreit nach mehr Freiheit! Freiheit! Freiheit! Lange genug haben widersinnige Vorstellungen den Cognac-Genuss limitiert. Korrigieren wir die überkommenen Klischees! Sprengen wir die geistigen Ketten!


Und dann versucht man sich den Menschen vorzustellen, der das gedacht, geschrieben, hingeschrieben, verschickt hat. Dem O Tannenbaum einfällt und die Récherche, all das, das auf die Schnelle machen und das lieber sehr langsam und mit Genuss machen, holla, man fragt sich, wie sie ist (dass sie eine Frau ist, geht aus dem Absender hervor), gerade jetzt, Freitag abends, irgendwo da draußen, irgendetwas kriecht vielleicht gerade hoch in ihr, vielleicht, kann ja sein, so etwas Unangenehmes, das eigene Leben betreffend, was sie mal werden wollte, als man sie noch fragte, was sie mal werden wollen würde, wenn sie mal groß wäre, kommt so, alle paar Monate, hakt sich kurz fest, na ja, man muss die Miete bezahlen, das Leben bezahlen, ist überall dasselbe, bei mir nicht anders, bei niemandem, den man kennt, anders, hakt sich kurz fest, geht wieder weg, wie immer, ist man schon geeicht drauf, merkwürdig, dass es das ist, was die Evolution von uns wollte, da sitzen, die Recherche verramschen, die Revolution verramschen, die Weihnachtslieder, das Ficken, das Schreiben, das Denken, die Wörter, hakt sich kurz fest, ist wieder weg, nach Hause endlich, Computer ausmachen, Wochenende, nur dieser Regen jetzt, geht nicht mehr weg, als hätte man sich ihn ausgedacht für uns.