"Que se vayan todos!"

Alle sollen verschwinden! Buenos Aires-Losung, die Piqueteros, wie die Deklassierten sich dort nennen, also: 50 Prozent der Gesellschaft mittlerweile. Mittlerweile dagegen für mich gar nicht mehr so überraschend, dass es die NZZ ist, in der fast täglich getreulich über die argentinischen Zustände berichtet wird. Seltsam ist es dennoch.






Ja, weil

die Ultraliberalen hinsichtlich Argentinien fast schon die Gewissensbisse plagten, wenn sie denn ein Gewissen hätten. Natürlich halten sie's wie früher die orthodoxen Kommunisten: Nicht der Kapitalismus oder die Weltbank oder der WEF ist schuld, sondern die unsachgerechte Anwendung derer hehren Ideen. Da muss jetzt natürlich eifrig nachgeforscht werden, warum dem so ist. Dennoch ist die NZZ moralisch längst nicht so heruntergekommen wie die FAZ, speziell dann nicht, wenn es um Aussenpolitik geht.

Übrigens: Hatte ich nicht neulich bei mir geschrieben, dass nur der Gedanke der Nützlichkeit von Menschen für die jeweilige Volkswirtschaft, wie er sich in der "Green Card" äussert, nur konsequent weitergedacht wäre, wenn man dann auch "unproduktive" Menschen aus einem Land herauswerfen könnte?


je sais pas,

was die nzz nun genau ist, aber heute stand zum bsp. drin:

"Der Handlungsspielraum der Regierung ist allerdings überaus eng. Der Währungsfonds - seine Politik wird massgeblich von der amerikanischen Regierung gesteuert - zeigt in den Umschuldungsverhandlungen sehr wenig Bereitschaft zu irgendeinem Entgegenkommen. Es entsteht der Eindruck, dass hier ein Exempel statuiert werden soll: Argentinien zahlt seine Schulden oder muss sich allein weiterhelfen. Das Land bietet sich für ein solches Experiment der harten Gangart an. Anders als die Türkei oder Japan liegt es fern von allen wichtigen geostrategischen Interessepunkten, ...."
Das ist eine ziemlich nüchterne Beschreibung dessen, was da geschieht; man könnte auch sagen: hier wird recht offen ausgesprochen, wie das geht mit den unbotmäßigen Staaten in der neuen Weltordnung, die ihre Funktion für dieselbe verloren haben. Solche Analysen, aber auch die Nachrichten, die einfach nur berichten, was passiert in der Welt, lese ich fast nur noch in der NZZ. Die ich immer in Erinnerung hatte als extrem konservativ. Oder von der man mir immer gesagt hat, sie wäre extrem konservativ. Und dann wundere ich mich. Wie kann es sein, dass so ein Blatt Tag für Tag eine Chronik liefert, die nicht versucht, Propaganda zu machen für die neue Weltordnung, sondern korrekt deren Fortschritte verzeichnet, so korrekt, dass manche Artikel sich lesen, als wären sie die Verurteilung dieser Fortschritte. Sind die anderen Tageszeitungen mittlerweile so weit ins propagandistische Gefuchtel abgesackt, ist die Welt (nicht die Zeitung, sondern die Welt halt) insgesamt mittlerweile so bedrückend retro geworden, bin ich es vielleicht? Die NZZ? Ich glaub mir das ja selbst nicht. Aber es ist so. Jeden Tag erfahre ich aus ihr mehr über die Lage als überall sonst. (Ach ja, und über diese Demonstrationen in Buenos Aires, bei denen die Polizei zwei Demonstranten ermordet hat, stand da zweimal je eine halbe Seite, auf der Drei, keinen Zweifel lassend daran, was in Argentinien geschieht.)(Ach ja, ich lese natürlich nicht den Schweizteil und nicht die Wirtschaftsseiten: das könnte natürlich meinen Eindruck korrigieren.)

Ja

Der Schweiz-Teil ist traditionell FDP-orientiert (Freisinn, Partei der Unternehmer). Da predigen sie zum Teil schon argen Bullshit. Und der Wirtschaftsteil ist auch sehr wirtschaftsliberal. NZZ am Sonntag gehört bei mir mittlerweile dennoch zu den liebsten Ritualen, weil das Blatt einfach undumm ist und die deutsche Presse mittlerweile so schreiend verblödet und im Dauerwahlkampf befindlich, dass man sie schlicht und einfach nicht mehr lesen kann. Ausserdem kommt die NZZ als Zeitung in einem Format, das mir nicht den ganzen Frühstückstisch usurpiert. Bescheidener ist besser. FAZ kommt mir nicht mehr ins Haus, die Süddeutsche schneide ich seit gewissen Vorkommnissen mit freien Mitarbeitern in München, wo sie ja fast ein Monopol haben und wo man nur in obskuren Gewerkschaftsblättern erfährt, wie die ach so linksliberalen Gentlemen mit ihren Freien umzugehen pflegen. SZ ist eh unsexy. Poschardt hat das Magazin, naja... wie auch immer. Das letzte, was ich da gerne gelesen habe, war tatsächlich "Jetzt". Da steckte noch ein Hauch von being savvy drin. Das Feuilleton hat sich in diesem Walser-Streit vor lauter Hass auf Schirrmacher selbst zerlegt. Auch unbrauchbar. Die "Zeit" dagegen kann man ab und zu lesen, finde ich. Das ist das letzte der grossen Blätter, das ich noch halbwegs OK finde.


je ne sais non plus

man finanziert heute lange projekte mit kurzen geldern. früher gaben staaten langfristige kredite und investoren übernahmen langfristige engagements, die es erlaubten, entwicklung kalkulierbar zu machen. so ist auch argentinien während und nach dem ersten weltkrieg gewachsen.

heute gibt es keine langen gelder mehr. die engagements werden kurzfristiger und das kapital mobiler. an sich nicht schlimm. wenn man jedoch versucht, seinen hausbau über einen überziehungskredit zu finanzieren, merkt man wo der hund begraben ist.

eine strategie dagegen ist das sparen. wenn man kein geld oder nur kurzes und teures bekommt, muss man sparen, um auszugeben. spart man nicht, begibt man sich in eine umschuldungsspirale. diese hat argentinien das genick gebrochen.

das problem bei krediten ist nicht das aufnehmen, sondern das bekommen. oder hat man ein recht auf das geld des anderen zu seinen konditionen?

was den 'liberalismus' angeht, so ist er eine effiziente form, mehrwert zu schaffen. er ist keine, um ihn zu verteilen. das sind aber auch zwei verschiedene paar schuhe. ob es da eine vernünftige synthese gibt, weiss ich nicht. ich würde gerne eine kennen.

am rande. eine kleptokratie, wie die argentinische ist teil des problems. deswegen. ja, sie sollen weg. alle.