Der Chefredakteur der israelischen Tageszeitung Ha´aretz hat bei einer Tagung in Brüssel eine bemerkenswerte Rede über die Rolle, die Fehler und die Sünden mancher Journalisten im israelisch-palästinensischen Konflikt gehalten, deren Lektüre ich Journalisten und ihren Lesern wärmstens empfehle.

First, the good news: Abu Ali's nine children are alive and well - as well as children can be among the ruins of the Jenin refugee camp. Please deliver this news to all of your friends who may have read, a few weeks ago, Abu Ali's mournful declaration: "All my nine children are buried beneath the ruins." Abu Ali's photograph was spread across a double page in a very distinguished and influential European magazine, under the title: "The survivors tell their story."

Israeli tanks and bulldozers had entered the camp, Abu Ali recalled. He went out to fill his car, telling his nine children to meet him at a nearby intersection. But the Israeli forces blocked his way back, and it was a week, he told the reporter, before he could return to the ruins of what had been his home. "It smells of death here," he is quoted as saying. "I am sure all my children are buried beneath the rubble. Come back in a week and you will see their corpses."

The reporter and his editors did not wait a week and published the tentative story as is. They were not satisfied with the extent of the tragedy that they could see with their eyes and legitimately depict in their copy. The desire to hype the story blunted their healthy journalistic instincts to doubt and double-check any story before publishing it.

While preparing this address, I made some inquiries about Abu Ali's case. First, final numbers indicate that three children and four women were killed during the fighting in the Jenin refugee camp. Second, Abu Ali's children were not among them. And third, the magazine did not bother to tell its readers of this relatively happy end to its story. Perhaps because they are tired of writing editor's notes on Middle East stories.

[...]

The media in this cruel Israeli-Palestinian conflict are like a very rich junkie, who parks his Mercedes on the high street of a slum. You can be sure that in no time at all, everyone will be out there, pushing a whole variety of merchandise.

Aufmerksam geworden auf diesen Text bin ich durch Tal G.s lesenswertes Weblog.






Also zu den 3 Kindern und 4 Frauen: Da waren ja in dem Bericht auf Arte mehr Frauen zu sehen in Jenin (von der BBC afaik).

Es sei denn natuerlich, Arte faked auch Berichte.

Vermutlich sollte man sich aber nicht ueber solche Stories wundern (unabhaengig davon, dass es fast keinen journalismus mehr gibt, oder ich in die "die juden sind selbst schuld" debatte eingreifen will), wenn man keine journalisten reinlaesst und die UNO ausperrt. Oder Journalisten verhaftey und auf sie mit Panzern schiesst.


Die Frau hinter dem Mann

Der Mann hat gut reden. Er hat ja auch eine gute Mitarbeiterin. Die israelische Reporterin Amira Hass, die für Ha'aretz schreibt, lebt seit Ende der 80er-Jahre in den Palästinensischen Gebieten und berichtet von dort. Für die Araber ist sie Kronzeugin, für viele Juden und nicht-Juden ein Star. Ich habe sie kürzlich in Hamburg getroffen. Ihre Nase ist gar nicht so rot. Sie redete auf einem Symposium im Völkermuseum, dort hängt auch noch eine ganz sehenswerte Fotoausstellung.

Amira Hass erzählte auch über Panzer, Raketen und suicide-bombers, aber viel mehr noch über Zeit. Die Zeit, die man braucht, um durch Israel zu fahren. Immer wieder an Grenzen zu stehen, stundenlang. Dann doch keine Genehmigung kriegen. Nicht zum Wasser kommen, weder ans Meer noch kommt Wasser aus den Leitungen. Dann müssen die Palästinenser und die, die sie noch besuchen, mal wieder warten, warten, warten. Der Frau zuhören heißt zu kapieren, dass alles, was in den Nachrichten kommt, mit dem Alltag in Palästina/Israel nur eine Facette ist. Und ich kapierte, dass jede "Lösung" mit hohen Mauern und Zäunen in diesem winzigen Gebiet der pure Isolationshorror sein muss.


Amira Hass

wird übrigens in der genannten Rede ausführlich erwähnt, die ich unter anderem deswegen für so bemerkenswert halte, weil sie recht anschaulich die Probleme schildert, die mit einer Blattlinie bekommt, die einfach nur anständigen Journalismus betreiben will. Du hast im Team eine gute Reporterin, die gut recherchiert und getreulich reportiert - und die wird dir dann von allen möglichen Leuten um die Ohren gehauen, die an guter Recherche und getreulicher Reportage nicht besonders interessiert sind.


Ja

Der Punkt ist: Man müsste die Leute dazu bringen, gemeinsam in einem Land leben zu können, welches das heutige Israel und die palästinensischen Gebiete umfasst. Ein zergliederter Palästinenserstaat alleine wäre wirtschaftlich nicht überlebensfähig.


schön,

dass der Chefredakteur hinter ihr steht. Habe gerade die ganze Rede gelesen. Sehr interessant, wie das mit dem Instrumentalisieren immer wieder klappt. Schön auch der Hinweis, dass Amira es war, die die Massaker-Meldungen von Djenin "dekonstruierte".

Dieser Zeitung würde noch mehr als vielen anderen vermutlich ein Internet-Bezahlsystem helfen. Denn: Sie lebt von Anzeigen und Abos, wird aber wahrscheinlich mehr noch im Internet gelesen. Wenn auch auf diesem Weg Kohle reinkäme, hätte Amira Hass auch einen besseren Stand. Dann würde man ihr im Verlag den ganzen Trouble, den ihre Berichte auslösen, vielleicht eher verzeihen. Denn wie ich hörte, hat sie dort einigen Ärger.


Solange

die ganze Weltöffentlichkeit auf Israel starrt, wird das nichts mit dem friedlichen Zusammenleben, und ohne Weltöffentlichkeit geht es auch nicht.

Es rühren einfach zuviele Leute seit zuvielen Jahren in dem Konflikt herum. Nur mal Deutschland in diesem Frühjahr: Einmal Kranzniederlegen ist die außenpolitische Staatsmann-Gesellenprüfung (Westerwelle), Friedensplanstricken macht den Meister (Fischer).

Mich erinnert das Zählen der täglich Toten in den Nachrichten immer mehr an die Börsennews. Wobei die Kurven Macht, Geld und Ansehen von allen möglichen Leuten messen, in allen möglichen Ländern. Und was welche Toten für wen zu bedeuten haben, verstehen immer nur ein paar Insider. Nein, optimistisch bin ich nicht.