I. Aus der Rede Walsers im Bundeskanzleramt.
Eine Zugehörigkeit muß man erleben, nicht definieren. Auch die Zugehörigkeit zu einem Geschichtlichen hat man nicht zuerst als Erkenntnis parat, sondern als Empfindung, als Gefühl. So kommt es - wenigstens bei mir - zu einem Geschichtsgefühl. Frage sich jeder selbst, ob er, wenn er versucht, das Wort Nation zu definieren, nach dem Definieren mehr weiß, als er vorher durch Empfindung wußte. Ja, wußte. Man kann nämlich durch Empfinden wissend werden.
(...) Ich bestehe trotzdem auf meinem Geschichtsgefühl. Diese intellektuellen Intellektuellen, wie ich sie nennen möchte, machen zwischen Fühlen und Denken den Unterschied, den die Kirche zwischen Leib und Seele machte. Das darf man inzwischen komisch finden. In der als rational berühmten französischen Sprache hat Vauvenargues formuliert: "Les grandes pensées viennent du coeur." Und Pascal prägte: Raison du coeur.
Ich kann mir vorstellen, daß diese großbuchstabig sentenziöse Form einen praktizierenden Intellektuellen nicht beeindruckt, deshalb möchte ich, weil mir diese bei uns geübte Einteilung kritisierenswert erscheint, einen Helfer zitieren, der sich diesen Unterschied zwischen Denken und Fühlen in unserer Sprache vorgenommen hat, nämlich Nietzsche. In seinem Buch "Morgenröthe" sagt er, daß all unser sogenanntes Bewußtsein ein mehr oder weniger "phantastischer Commentar über einen ungewußten, vielleicht unwissbaren, aber gefühlten Text" ist. Also, bitte, das Bewußtsein nur ein Kommentar zu einem gefühlten Text. (...) Wer als Intellektueller glaubt, er könne oder müsse gar über Nation gefühlsfrei denken, den darf man wohl, mit allem Respekt, einfältig nennen.
Mein Geschichtsgefühl, Deutschland betreffend, ist der Bestand aller Erfahrungen, die ich mit Deutschland gemacht habe. Mit dieser Nation. Wenn es sich um etwas geologisch Erfaßbares handeln würde, könnte ich von der Mächtigkeit eines Vorkommens sprechen. Naturnahe Metaphern bieten sich an, weil Geschichte wie Natur ein Prozeß ist, der der Zeit unterworfen ist. Nation wird es einmal nicht mehr geben. Der Zeitraum der Nationenbildung war das neunzehnte Jahrhundert. Überall in Europa. Mit mehr oder weniger staatlichem Anteil und Glück. Man lese nach, wie die jüdische Nation sich bildete mitten im Exil und bis zu Herzl ohne jede staatliche Hoffnung blieb. Und wie die polnische Nation sich bildete durch alle Teilungen hindurch. Und wie abenteuerlich die tschechische Nation sich bildete. Und wie verwegen die italienische. Und wie pathetisch die deutsche Nation sich gebärden mußte, um sich selber empfinden zu können.
Selbstbewußtsein ist das wichtigste Erlebnis bei der Bildung einer Nation. (...) Von den Karolingern zu den Saliern, zu den Ottonen, zu den Staufern, zu den Habsburgern, zu den Hohenzollern - das sind nicht nur heraldische Daten, sondern historische Ströme, die ich erleben kann wie die Donau, den Rhein, die Elbe, die Nordsee oder die Alpen.
Und lange vor unserer Staatlichkeit waren wir eine deutsche Nation und, bitte, nicht nur eine Kulturnation, sondern eine politisch tendierende Schicksalsgenossenschaft, die sich ihrer Zusammengehörigkeit bewußt war, ohne daß sie dafür schon die staatliche Fassung gefunden hatte. Wie durch dieses neunzehnte Jahrhundert hindurch dann von 1823 bis 1888 der Kölner Dom komplettiert wurde, damit man sich auf eine große Tradition beziehen könne, so war auch die ebenso lang beschworene Einheit in einer ebenso vergangenheitsträchtigen Reichsgründung fast zeitgleich gelungen. Es war der Versuch, einer schwärmerisch geliebten reichen Vergangenheit in einer zeitgemäßen politischen Handlung zu entsprechen. Das mag dem und jenem zu vergangenheitssüchtig ausgefallen sein, es war ja auch der Versuch, das Mittelalter mit Dampfmaschine zu betreiben. Aber die Nation hatte jetzt eine Fassung und reagierte darauf mit Hochleistung.
Die, verglichen mit England und Frankreich, zu spät gekommene Nation holte auf mit einem Eifer, der rundum zum Erschrecken führte. Ein Bismarck konnte diese pubertierende Nation gerade noch am Schlimmsten hindern. Seine Nachfolger ließen es zum Schlimmsten kommen. Golo Mann hat den Ersten Weltkrieg die "Mutterkatastrophe des Jahrhunderts" genannt. Ohne diesen Krieg kein Versailles, ohne Versailles kein Hitler, ohne Hitler kein Weltkrieg Zwei, ohne Weltkrieg Zwei nichts von dem, was jetzt unser Bewußtsein oder unser Gefühl bestimmt, wenn wir an Deutschland denken.
Das wichtigste Glied in der historischen Kette bleibt: ohne Versailles kein Hitler. Daß Frankreich, das durch die deutschen Truppen verwüstete, den Versailler Vertrag durchsetzte, muß man verstehen. Daß der Vertrag eine wirtschaftliche Katastrophe produzieren mußte, darf man auch verstehen. (...) Versailles ist sicher nicht die einzige Ursache für 1933, aber daß Versailles auch eine der Ursachen ist für Hitlers Erfolg, darf man wohl sagen.
Bei uns wird heute jedes Buch akklamiert, das die Geschichte so darstellt, als sei sie immer schon auf Auschwitz zugelaufen. Weil wir eben so sind. Erinnern Sie sich, bitte, wer alles und wie laut und wo überall im Land Daniel Goldhagens Buch "Hitlers willige Vollstrecker" propagiert hat. Wenn man aber aus der sorgsamsten Rekonstruktion der Geschichte, der deutsch-jüdischen Familie Klemperer, also aus achtzig Jahren deutsch-jüdischer Geschichte, den Schluß zieht, das deutsch-jüdische Verhältnis hätte unter anderen Umständen nicht in Auschwitz geendet, dann wird einem vom liberalen Wochenblatt "Verharmlosung von Auschwitz" vorgeworfen. Schon das Bestehen auf Erklärbarkeit wird verdächtigt. In der Kirchensprache nennt man diese Haltung dogmatisch. Das sehe jeder, wie er muß. Jeder kann, wenn er will, auf Nation jetzt für immer verzichten. Ich kann das nicht.
Wortführende Intellektuelle haben dann die deutsche Teilung gerechtfertigt mit dem Hinweis auf Auschwitz. Als wäre die Nation ein Individuum, das man, weil es Verbrechen begangen hat, bestrafen könne. Die Teilung hat aber doch weniger die bestraft, die diese Verbrechen bewirkt haben, sondern irgendwelche Deutsche, die damit nichts zu tun gehabt hatten. Und die Argumentation: deutsche Teilung nicht als Strafe für Auschwitz, sondern daß sich Auschwitz nicht mehr wiederhole! Das kommt mir wahrhaft grotesk vor. Auschwitz ist entstanden aus historischen Bedingungen; diese Bedingungen können sich niemals wiederholen. Wer die deutsche Teilung so oder so zu einem geschichtlich Vernünftigen machen wollte, der hat übersehen, daß diese Teilung keine Kriegsfolge war, in keiner Weise mit Auschwitz zu tun hatte, sondern ganz und gar eine Folge des Kalten Kriegs war. (...)
Auschwitz war ein Verbrechen, das singulär wurde durch seine grausame Ausgedachtheit und seine alles Menschliche vernichtende Perfektioniertheit. Aber wer nicht begreift, daß dieses Verbrechen nur möglich war unter den Bedingungen dieses Krieges, der wird nie begreifen, wie Auschwitz überhaupt möglich war. Und dieser Krieg war der allerletzte Krieg, den diese Nation angezettelt hat. Aber die Anzettelung hat eben nicht im Januar 1933 begonnen, sondern viel früher. Unter anderem eben durch die Mutterkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts, den Ersten Weltkrieg. Und der Erste Weltkrieg hatte Ursachen, die man aufzählen kann. Man muß sie nicht billigen, aber man kann sie erkennen. Und wenn auch das Entsetzlichste, wozu es kommen kann, erkennbar wird als eine Folge, die aus erkennbaren Ursachen stammt, dann ist mehr getan, als wenn man einer Gesellschaft die Schuld als etwas Absolutes einbleut.
(...)
Daß wir geteilt bleiben sollten, war wahrscheinlich die seriöseste Drohung, der diese Nation je ausgesetzt war. Durch die Schande, die die Nation auf sich geladen hatte, wollten wir mit dem Nationalen überhaupt nichts mehr zu tun haben. Es war nicht nur Mode, sondern verständlich, daß, was Nation heißt, bei feineren Geistern ganz mies notiert war. Ich habe zweiunddreißig Jahre gebraucht, bis ich zum ersten Mal gewagt habe, den Mund ein bißchen aufzumachen. Erst im Jahr 1977 habe ich in einer Rede gesagt, wir dürften die BRD so wenig anerkennen wie die DDR. Nur wenn das unser Wunschdenken bleibe, habe dieses Wunschdenken eine Chance in der Wirklichkeit, und ich habe leichtfertig dazugesagt, "im Jahre 1999 oder 2099". Und dann ist es schon 1989 passiert. Und deshalb wiederhole ich, wenn davon gesprochen wird, daß das der glücklichste Moment in der deutschen Geschichte ist, dieser 9. November 1989, der Fall der Mauer. Aber was mich zum ersten Mundaufmachen und dann wiederholt zu Wortmeldungen brachte, war nichts Politisches, sondern ein Gefühl, das sich gebildet haben muß in Kindheit und Jugend. Thüringen und Sachsen, Schlesien und Ostpreußen waren mir durch Lektüre und durch Hörensagen zu Seelenlandschaften geworden. Karl May und Nietzsche durften nicht im Ausland geboren worden sein. Dann haben natürlich Besuche und Briefe drastisch darauf hingewiesen, daß wir eins waren, die drüben und wir herüben. Und diese Gefühle ließen sich irgendwann nicht mehr verschweigen. Wozu gehört man einer bestimmten Generation an, wenn man die Erfahrung dieser Generation dann verschweigt? Das muß ja zum Geschichtsverlust führen. Und den zu vermeiden, sind Intellektuelle da.
Heute ist der 8. Mai. Ein einfacheres Datum. Vom 8. Mai 1945 zum 3. Oktober 1990 oder doch, dem Geschichtsgefühl entsprechend, zum 9. November 1989, das ist, pathetisch gesagt, die Läuterungsstrecke der Nation. Und der 9. November müßte der Tag der Deutschen sein. An diesem Tag hat die Nation sich, ihrem jeweiligen historischen Zustand entsprechend, benommen: 9. November 1918, Philip Scheidemann ruft in Berlin die Republik aus. 9. November 1923, Hitlers Marsch zur Feldherrnhalle in München. 9. November 1938: Die Reichspogromnacht. 9. November 1989: die Mauer fällt.
(...)
Europa ist überhaupt die Lösung der deutschen Frage, die es ernsthaft seit dem 9. November 1989 schon nicht mehr gibt. Und die Nation wird es geben, solange es nationale Aufgaben gibt. Wir müssen da nicht lange suchen. Die erste und für lange Zeit allererste nationale Aufgabe ist die Heilung aller Schäden, die entstanden sind durch das, was man im Zeitungsstil die deutsche Teilung nannte, was in Wirklichkeit die Teilung Deutschlands war. Aber Deutschland war ein Unwort geworden.
II.
Wie verwildert müssen Empfindungen sein, dass da einer die Donau sieht und Deutschland empfindet oder Nation statt zum Beispiel: au schön, wie da die Donau fließt? Wenn ich so empfände, wüsste ich, mit mir ist jetzt endgültig etwas nicht in Ordnung, ich sollte mich jetzt besser einweisen lassen. Und stell dir vor, in dir schreibt sich ein gefühlter Text, und du kannst ihn immer nur mit deinem Bewußtsein nachplappern, keine Chance, dass der Text endlich das Maul hält und nicht jedesmal Deutschland sagt, Deutschland Deutschland Nation Nation, wirklich, der tut mir leid, da will man wirklich lieber einfältig sein anstatt so einen Text dauernd in sich plappern haben. Wenn sich mir naturnahe Metaphern anböten, würde ich sagen: Schimmel, große Schimmelvorkommen überall, im Herz, im Kopf, im ganzen leibseelischen Komplex.
Man möchte es nicht in sich drinstecken haben, ein Herz, das solche Empfindungen gebiert: Karl May und Nietzsche durften nicht im Ausland geboren worden sein. Dieses Herz würde man doch lieber herschenken auf der Stelle, als es mit sich herumschleppen zu müssen, so ein Herz, denke ich mir, will man doch nicht parat haben, das ist einem doch viel zu kleinlich.
Dieses Quengeln dauernd, ich möchte aber auch eine nationale Empfindung haben, wie der Italiener der Tscheche der Jud, warum denn nicht ich, warum denn alle anderen nur nicht ich. Dieses Herumbohren dauernd in den geologischen Vorkommen, Mittelalter Dampfmaschine Mutterkatastrophe, da war doch nicht nur der Hitler, wir hätten für uns doch auch das Mittelalter und die Dampfmaschine und die Nordsee und die Alpen und den Karl May. Und wir hätten das Mittelalter schon abgeworfen und die Pubertät schon abgeschüttelt, wenn die uns nicht verständlicherweise Versailles eingebrockt hätten, man kann das ja verstehen, aber bitte schön, das muss man dann auch verstehen: wenn man den Deutschen ein Versailles hinschmeißt, schmeißen sie mit einem Hitler retour, darüber wird man doch empfinden dürfen, und die Familie Klemperer, bitte schön, was ist mit der?
32 Jahre, sagt der Walser, hat er gebraucht, bis er es gewagt hat, den Mund ein bißchen aufzumachen. Jetzt bringt er ihn gar nicht mehr zu. Das deutsche Leiden, der Text, der immer weiter rumort, immer dasselbe: der kann sich nicht dosieren, der Deutsche, erst macht er Mittelalter mit der Dampfmaschine und umgekehrt, dann macht er Mutterkatastrophen, dann bringt er sechs Millionen Juden um, dann hält er 32 Jahre das Maul, dann hört er nicht mehr auf zu reden. Das muss raus jetzt, immer dieselbe Geschichte, immer dieselben Seelenlandschaften, die die anderen dann ausbaden müssen. Das kriegt er einfach nicht hin, der Nationalempfinder, dass er sich dosiert, ich weiß auch nicht, was das immer ist bei ihm.
"Der 9. November müßte der Tag der Deutschen sein. An diesem Tag hat die Nation sich, ihrem jeweiligen historischen Zustand entsprechend, benommen: 9. November 1918, Philip Scheidemann ruft in Berlin die Republik aus. 9. November 1923, Hitlers Marsch zur Feldherrnhalle in München. 9. November 1938: Die Reichspogromnacht. 9. November 1989: die Mauer fällt."
Geh komm, sagt der Walser, benehmen tut sich schnell einer, da kommt halt einmal ein Pogrom raus und einmal nicht, was ist dabei. Es gibt die Nordsee und die Alpen, da fühls doch und habs parat, und jetzt halt´s Hirn, intellektueller Intellektueller, und denk mit deinem Herzen, nur Mut, es wird schon eine Mördergrube sein.
Danke!
Die hatte ich gesucht! Die Rede Schröders gibt es auf spd.de, die war schon am 08. online.
a propos
Du kennst meine Martin-Walser-Fotostrecke?
Na dann...
verlinke ich halt auch meinen Senf zum Thema. www.berlinerzimmer.de
Walser - Praschl 3:0
Mein lieber Praschl,
wenn hier jemand quengelt, dann bist du das. Im dir so oft eigenen moralpolemischen Ton hältst du Walser vor, dass er nicht so fühlt wie du (wobei, ganz nebenbei, ich mir ziemlich sicher bin, dass Walser auch nicht an Deutschland denkt, wenn er die Donau sieht). Dass Walser an einem zentralen Punkt anders tickt als du, hat er in dieser Rede selbst zugegeben (hässlicherweise ohne dich zu erwähnen, sonst hättest du dir den Sermon sicherlich gespart). Die Passage noch mal im Wortlaut: „Jeder kann, wenn er will, auf Nation jetzt für immer verzichten. Ich kann das nicht.“ Martin Walser hat kein Problem damit, dass Franz Kafka im Ausland geboren wurde, er hat auch kein Problem damit, dass Adolf Hitler im Ausland geboren wurde, aber bei Karl May und Friedrich Nietzsche hatte er das Problem, nicht weil sie so besonders deutsch gewesen sind, sondern weil ihre Geburtsorte deutsch gewesen sind. Dass jemand, der auf Nation nicht verzichten kann, 1977 beide deutschen Staaten zu Gunsten eines dereinst kommenden einen deutschen Staates in die Tonne kloppen wollte, mag jemand nicht in den Kopf gehen wollen, der keine Nation braucht. Geschenkt.
Und weil du nie nachdenkst beim Polemisieren, sonst ginge das ja gar nicht mit dem Polemisieren, noch einmal ein paar der zentralen Sätze Walsers, die du mit der Magensäure eines simplen Bauchgefühls beträufelst, das du allerdings als seit Jahrzehnten reflektiertes Kopfsekret tarnst:
„Der 9. November müßte der Tag der Deutschen sein. An diesem Tag hat die Nation sich, ihrem jeweiligen historischen Zustand entsprechend, benommen“. Ja, mein lieber Praschl, so war es. Und wenn du auch nur das geringste Indiz dafür hast, dass Walser, wie von dir unterstellt, nichts dabei findet, wenn beim Benehmen nun mal ein Pogrom rauskommt, dann schreib das auf. Und wenn du es nicht hast, dann halt die Schnauze!
„Das wichtigste Glied in der historischen Kette bleibt: ohne Versailles kein Hitler.“ In deiner Replik wird daraus, inhaltlich scheinbar noch völlig gleich: „wenn man den Deutschen Versailles hinschmeißt, schmeißen sie mit einem Hitler retour“, aber dann kommt wieder eine von deinen kleinen feinen Entstellungen: „...und die Familie Klemperer, bitte schön, was ist mit der?“ Damit stellst du eine Verbindung her, die Martin Walser eben nicht herstellt: Durch die Erwähnung Klemperers ist der Praschlsche Hitler der der Judenvernichtung. Der Walsersche „Hitler“ im Kontext des Versailles-Zitats ist hingegen der vom 30. Januar 1933, und nur der, wie etwas später noch einmal explizit erwähnt: „Versailles ist sicher nicht die einzige Ursache für 1933, aber daß Versailles auch eine der Ursachen ist für Hitlers Erfolg, darf man wohl sagen.“ Wenn du auch nur das geringste Indiz dafür hast, dass Walser, wie von dir unterstellt, Versailles eine Mitschuld an Auschwitz gibt, dann schreib das auf. Und wenn du es nicht hast, dann halt die Schnauze!
„Durch die Schande, die die Nation auf sich geladen hatte, wollten wir mit dem Nationalen überhaupt nichts mehr zu tun haben. Es war nicht nur Mode, sondern verständlich, daß, was Nation heißt, bei feineren Geistern ganz mies notiert war.“ Und für den einen oder anderen Feingeist muss man hier nicht einmal die Vergangenheitsform verwenden, nicht wahr? Walser verwendet in der Tat oft die Worte Nation und Deutschland, und auch Empfindung und empfinden kommt durchaus vor. Die nationale Empfindung hingegen verwendet er lediglich einmal: „Und wie pathetisch die deutsche Nation sich gebärden mußte, um sich selber empfinden zu können.“ Und aus dem Zusammenhang wird deutlich erkennbar, dass es hier um eine deutsche Nation nach 1871 und vor 1914 geht. Aber was macht der Furor Austriaticus daraus? "Dieses Quengeln dauernd, ich möchte aber auch eine nationale Empfindung haben, wie der Italiener der Tscheche der Jud, warum denn nicht ich, warum denn alle anderen nur nicht ich." Also genau das Gegenteil von dem, was Walser sagt: Der hat nämlich durchaus eine Empfindung für die Nation (was etwas ganz anderes ist als die (kollektive) nationale Empfindung), auf die er nach eigener Aussage gar nicht verzichten kann. Da quengelt sich also gar nichts. Und ob die Deutschen als solche noch einmal eine nationale Empfindung entwickeln, scheint Walser nun nicht soo wichtig zu sein, wo doch jeder, so er will, auf Nation für immer verzichten darf. Wenn du auch nur das geringste Indiz dafür hast, dass Walser die Deutschen auffordert, eine nationale Empfindung zu haben, dann schreib das auf. Und wenn du es nicht hast, dann halt die Schnauze!
Ich weiß, mein lieber Praschl, dass du dich im Recht fühlst. Vielleicht bist du es ja auch – ich höre und lese zu wenig Walser, um das abschließend beurteilen zu können. Aber was die Walserschen Sätze vom 8. Mai angeht, ziehst du gegen Walser einfach den Kürzeren. Na, vielleicht das nächste Mal. Detlef Gürtler
Walser: "Ich habe zweiunddreißig Jahre gebraucht, bis ich zum ersten Mal gewagt habe, den Mund ein bißchen aufzumachen."
Walser kämpft gegen eine fiktive Autorität und höhere Kontrollinstanz, die ihm sein Nationalempfinden und seine Meinung wegnehmen will, und schon allein das nervt.
Der Einzige und sein Eigentum. Etwas über Empfindungen.
Mein lieber Gürtler.
Du gibst mein Spiel verloren, aber ich soll nach dem Abpfiff Gegentore schießen? Über solche Regeln müssten wir erst verhandeln. Sei´s drum. Dann wollen wir uns die Zeitlupe eben anschauen; es soll mir zwar nichts nützen, aber vielleicht bringe ich es ja zum Meister der Tränen.
Ich weiß nicht, wo und wann Du über Deine intimeren Empfindungen Auskunft gibst. Aber es wird vermutlich nicht das Bundeskanzleramt sein, angelegentlich des 8. Mai. Was Walser dort zur Kenntnis brachte, wird auch etwas anderes gewesen sein als die Sorte Empfindungen, wie wir beide sie haben mögen, dass wir etwa unsere Frauen lieben, über unsere Kinder staunen, der Wein uns schwindlig macht und dergleichen mehr. Die Empfindungen, über die einer im Bundeskanzleramt sich auslässt, zum Kanzler und zu den Berichterstattern hin, die sie auch gleich ins Volk liefern, werden für die Öffentlichkeit gedacht sein, und dieselbe soll sie zur Kenntnis nehmen. Dass man Walser eingeladen hat, um sein ganz privates Seelenzwicken zu deponieren, wird man demnach nicht annehmen müssen - für so sehr auf den Hund gekommen halte ich den deutschen Staat nicht einmal ich, dem das Polemische das Nachdenken ausgetrieben hat, herrje. Es wird also eine politische Rede gewesen sein, die Walser da gehalten hat, und politische Reden hält ein jeder, wie er kann. Die von Walser lautet seit Jahren: Hier empfind´ ich nun, ich kann nicht anders. Ihr müsst nicht fühlen wie ich, aber darüber reden will ich auch nicht, denn über Empfindungen lässt sich nun einmal nicht streiten. Walser will also öffentlich national empfinden, aber in seinem Empfinden nicht behelligt werden. Die feineren Geister, für die miesen Notierungen zuständig, sollen die Schnauze halten.
Will Walser, dass andere empfinden wie er? Falls nicht, müsste man sich schon sehr wundern; warum sonst erzählte er in der Stresemannstraße von seinem Nationalempfinden? Es ist ein netter Trick, wenn auch kein ganz neuer. Man wringt sein Herz aus und hintendrein sagt man, es wäre doch nur die raison du coeur gewesen. Das mag man teilen, wie man kann. Wenn man es teilt, wie Du, Herr Gürtler, dann hat man allerdings möglicherweise die Politik mit einer Talkshow verwechselt. Indizien sind das nicht, ich weiß das schon. Ich würde mir übrigens auch Handschuhe überstreifen, ehe ich einen Raubzug begänne, und dann, ertappt, lächelnd nach den Fingerabdrücken fragen, so what?
Ich habe, sagst Du, dem Herrn Walser einen Hitler untersekretiert, den er nicht im Sinn gehabt hat. Er hat vom Jahrgangshitler 33 gesprochen, ich von der 42er Spätlese, und nur die seine hätte, ihm zufolge, mit Versailles zu tun gehabt.- Was genau darf ich diesem Einwand entnehmen? Dass es - für Walser? Für Dich? - zwei Hitlers gegeben hat, und zwischen beiden wäre Walsers historische Kette zerissen? Dass der eine mit dem anderen nichts zu schaffen hatte? Dass der Hitler von 33 noch kein Judenvernichter, auch nicht dem Vorsatz nach, gewesen ist und demnach der Judenvernichter Hitler nichts mit Versailles zu tun gehabt haben kann? Du hast wohl recht darin, dass mir das Denken schwer fällt, diese Sorte Logik leuchtet mir nicht ein. Gesetzt dem Falle, frage ich mich, Walser hätte recht und der 33er Hitler wäre tatsächlich eine Konsequenz von Versailles gewesen, müsste das nicht auch für den Hitler der Rassengesetze, der Wannseekonferenz, der Vernichtungslager gelten? Ich verstehe schon, es geht Dir um etwas anderes dabei, Du sagst es ja, es geht um Mitschuld, und Schuld ist bekanntlich etwas anderes als Folge. Es ist nur so, dass ich von Schuld, auch von Mitschuld nirgendwo gesprochen habe. Das meinst Du nur, weil Du meinst, ich hätte Walser klein und fein entstellt durch meine Erwähnung der Klemperers. Da möchte ich aber doch empfehlen, Dir noch einmal die Walserempfindungen vorzunehmen, da stehen die Klemperers nämlich schon drin:
Wenn man aber aus der sorgsamsten Rekonstruktion der Geschichte, der deutsch-jüdischen Familie Klemperer, also aus achtzig Jahren deutsch-jüdischer Geschichte, den Schluß zieht, das deutsch-jüdische Verhältnis hätte unter anderen Umständen nicht in Auschwitz geendet, dann wird einem vom liberalen Wochenblatt "Verharmlosung von Auschwitz" vorgeworfen.So heißt es nämlich in den Walserempfindungen im Zusammenhang einer Bemerkung gegen die angeblich zahllosen Anhänger Goldhagens und dessen Theorie des eliminatorischen Antisemitismus. Was Walser damit sagt - abgesehen von dem, was er immer sagt: dass er unaufhörlich traktiert wird von allen, die seine Geschichtsgefühle nicht teilen - was er damit also sagt, ist: dass die Deutschen unter anderen Umständen die Juden möglicherweise nicht nach Auschwitz expediert hätten. Aber was soll er denn mit den Umständen gemeint haben, wenn nicht jene, unter denen sich die Nation ihrem historischen Zustand entsprechend benommen und Hitler sich zum Führer gemacht hat?
Man muss sich das mit den Klemperers operierende Argument übrigens einmal auf der Zunge zergehen lassen: Zum Beweis dafür, dass die Deutschen auch zu einem ordentlichen Verhältnis zu ihren jüdischen Nachbarn fähig sind, führt er ins Feld, sie hätten die Klemperers ja nicht gleich und umstandslos geschunden, sondern dazu erst bestimmter historischer Umstände bedurft. Na toll. Diese Verteidigung der Deutschen hat schon etwas, alle Achtung.
Wie auch immer: Den Unterschied zwischen Hitler I und Hitler II müsste mir einer erst erklären. Soviel ich weiß, hat der erfolgreiche Hitler des Jahres 1933 wenig Zweifel daran gelassen, welche Sonderbehandlung er den Juden zugedacht hatte, ich empfehle eine kurze Konsultation von "Mein Kampf", kein besonders klandestiner Text in den Jahren vor 1933, und auch über den Inhalt der nationalsozialistischen Propaganda vor diesem Jahr kann man sich bequem da und dort informieren. Die Nation von 1933 hat sich, ihrem historischen Zustand entsprechend, einen Führer ausgeguckt, der seine Empfindungen und seine Absichten nicht verschwiegen hat, und das einzige, was ihm 1933 gefehlt hat, seine Absichten zu verwirklichen, waren die Umstände, die Gelegenheit. Er hat sie sich geschaffen. Was das mit Versailles zu tun hat? Für mich nichts, keine Sorge, nicht das Geringste. Für Walser auch nicht, sagst du? Dann sagt er damit nur, dass die deutsche Nation 1933 eine gewesen ist, die bereit war, für die Kassation des Versailler Vertrags eine rituell angekündigte Juden- (und by the way auch Kommunisten-, Sozialisten- und Demokraten-) Verfolgung in Kauf zu nehmen. Auch nicht gerade das feinste Urteil über die deutsche Nation, würde ich meinen; es könnte feinere Geister und intellektuelle Intellektuelle, wie Herr Walser sie nennt, schon dazu verleiten, Empfindungen fürs Nationale mies zu notieren; aber es geht ums Empfinden, dabei ist jeder allein, und es empfindet jeder, wie er muss.
Fehlt noch das dritte Tor, das Walser mir geschossen hat:
„Der 9. November müßte der Tag der Deutschen sein. An diesem Tag hat die Nation sich, ihrem jeweiligen historischen Zustand entsprechend, benommen“. Ja, mein lieber Praschl, so war es. Und wenn du auch nur das geringste Indiz dafür hast, dass Walser, wie von dir unterstellt, nichts dabei findet, wenn beim Benehmen nun mal ein Pogrom rauskommt, dann schreib das auf. Und wenn du es nicht hast, dann halt die Schnauze!Sagen wir so: Solange beim Pogrom ein Tag der Deutschen herauskommt, solange macht der historische Benimm letztlich einen Sinn. Ja, mein lieber Gürtler, so ist es, ich vergass, dass die deutsche Selbsterfahrung ein Wert sui generis ist, ein Geschichtsgefühl springt aus jedem historisch entsprechenden Benehmen, und über seine Gefühle wird man wohl noch reden dürfen. Pogrome, schlimme Sache das, zugegeben auch für Walser, aber hey, was wären sie verglichen mit den kleinen feinen Entstellungen, die die liberale Wochenzeitung und die feineren Geister denen antun, die auf die Nation nicht verzichten können.
Ach, das noch:
Martin Walser hat kein Problem damit, dass Franz Kafka im Ausland geboren wurde, er hat auch kein Problem damit, dass Adolf Hitler im Ausland geboren wurde, aber bei Karl May und Friedrich Nietzsche hatte er das Problem, nicht weil sie so besonders deutsch gewesen sind, sondern weil ihre Geburtsorte deutsch gewesen sind. Dass jemand, der auf Nation nicht verzichten kann, 1977 beide deutschen Staaten zu Gunsten eines dereinst kommenden einen deutschen Staates in die Tonne kloppen wollte, mag jemand nicht in den Kopf gehen wollen, der keine Nation braucht. Geschenkt.Du wirst mir, da bin ich sicher, nachsehen, dass ich bei dieser Stelle in meinem furor Austriacus schallend lachen musste. Na ja, jetzt hat er den Nietzsche wieder und ich den Kafka immer noch nicht; man sollte Reden halten in der Hofburg, was meinst Du?
Eins allerdings ist mir nicht ganz klar geworden. Wozu genau könnte man nun eine Nation gebrauchen wollen?
Ich bin schon froh...
... dass Herr Walser nicht auch noch Herrn Kant gerne wiederhaben möchte. Aber das wäre wohl auch ihm zu viel.
In die SPD-Zentrale,
nicht ins Kanzleramt war Walser eingeladen, und man wüsste gern, was sich die Saalregie dabei gedacht hat, von der naheliegenden Vermutung abgesehen, dass es um Wahlkampf fürs Feuilleton ging. Immerhin konnte auch Jurist Schröder den gefährlichen Blödsinn locker-sachlich mit der Bemerkung abtropfen lassen, Versailles gehöre wohl zu einem "Ursachenbündel bei der Entstehung des Faschismus", mehr aber eben auch nicht. Wer meint, man müsse Walsers Gefühlsgeschichte wenigstens eine Chance geben, lese doch die fachlich vernichtende Replik von Hofhistoriker HA Winkler im Tagesspiegel. Wonach mir aber immer noch nicht klar ist, was bei der Instrumentalisierung Walsers der gegenwärtige Zweck der SPD gewesen ist.
Danke für die Korrektur,
wieder einmal schlampig gewesen, herrje, wie sehr mich solche Fehler ärgern an mir.
Und danke für den Winkler-Text mit diesem unfassbaren SPD-Flugblatt.
Hab's nur deshalb erwähnt,
weil es, finde ich altmodischerweise, schon einen Unterschied macht, ob Walser in der SPD-Zentrale (bzw. von meinem Balkon) oder am Sitz eines Verfassungsorgans seine Rede hält. Wobei es der SPD sicher ganz recht ist, dass die Differenz in der öffentlichen Debatte nicht thematisiert wird.
Im übrigen bedaure ich, dass Du hier auf dummstellerische Details und fragwürdige Analogien eingehen sollst, die nur scheinbar etwas mit dem eigentlichen Thema zu tun haben: Wenn einer sich fühlen möchte wie "nach 1871 und vor 1914" (historische Einfühlungspraxis, was?), bitte schön, es gibt sicher eine passende Folkloregruppe am Ort. Aber wozu gibt man ihm dafür im Jahr 2002 ein Podium und lässt ihn sich als verfolgte Unschuld aufspielen? Nochmal die Frage: "Wozu genau könnte man nun eine Nation gebrauchen wollen?"
Den Unterschied
mache ich auch, weil es einer ist. Ich bin mir allerdings nicht so sicher, ob es mich weniger stört, wenn Walser seinem Drang in der SPD nachgeben darf; obwohl, an der SPD dürfte mich seit 1914 eigentlich auch nichts mehr wundern...
Walser - Praschl 4:1
Aber nicht doch, Praschl,
es hat doch keiner davon gesprochen, dass du schon verloren hast, nur weil du 0:3 zurück liegst. Wer erinnert sich nicht an das legendäre Spiel auf dem Betzenberg, bei dem Bayern München schon 3:0 bzw. 4:1 in Führung lag, am Ende aber Kaiserslautern mit 7:4 gewann? Und nicht nur im Fußball, auch in der politischen Philosophie ist alles möglich. Du wehrst dich ja auch wacker. Also erhöhen wir einfach auf 4:1 und du schießt die nächsten sechs Tore, ja? Der Unvollständigkeit halber nur zweierlei, eins kurz, eins länger. Das kurze: Wenn jemand meint, dass Maas und Memel, Etsch und Belt deutsch sein sollten, weil sie ja in der Nationalhymne vorkommen, sollten sowohl du als auch ich alles dafür tun, dass dieser jemand niemals auch nur in die Nähe eines politischen Amtes kommt, und wenn doch, ihn so gut wie möglich wieder daraus entfernen. Die Orte, die Walser meint, die Geburtsorte von Karl May und Friedrich Nietzsche, liegen aber nicht in Ostpreußen, nicht im Sudetenland oder wo sonst noch irgendwann mal „deutsch“ draufstand, sondern sie liegen in Sachsen. Dass viele Nachkriegsjahre lang jemand, der meinte, dass Sachsen doch deutsch sei, als wahlweise Phantast, Revanchist oder Reaktionär galt, ist’n anderer Schnack: Sachsen ist nicht Ostpreußen. Ob die Ösis Prag wiederhaben wollen, und ob es nicht vielleicht für Europa und die Welt besser wäre, der Balkan würde wieder aus Wien regiert, wäre in der Tat ein schönes Thema für eine gepflegte Hofburg-Diskussion. Natürlich ist der Nationalbegriff zeitbedingt: Nach ungefähr sieben weiteren Jahrzehnten BRD und DDR wäre Radebeul wahrscheinlich so wenig (west-)deutsch wie Breslau. Aber so kam’s ja nicht. Das längere: der Unterschied zwischen den beiden Hitlers von 1933 und 1942. Ich würde dir im großen und ganzen darin zustimmen, dass die Person Adolf Hitler zu diesen beiden Zeitpunkten ziemlich genau die gleiche war. Nur 1942 mit anderen Möglichkeiten ausgestattet als 1933, deshalb also zu anderen Taten fähig. Es gibt allerdings einen relevanten Unterschied zwischen diesen beiden historischen Daten, und zwar genau in dem Zusammenhang, in dem Walser vom 33er Hitler redet – bei der Schuldfrage. Die geht bei Hitler 33 so: Wer oder was ist dafür verantwortlich, dass Adolf Hitler Reichskanzler wurde? Bei Hitler 42 geht sie so: Wer oder was ist dafür verantwortlich, dass Adolf Hitler als Führer und Reichskanzler das tun konnte, was er getan hat? So viele Antworten man auf jede dieser beiden Fragen geben kann – man kann nicht auf beide Fragen die gleiche Antwort geben. Solltest du es doch können, wäre das natürlich ein Tor für dich. Um den Unterschied noch einmal an einem aktuellen Fall zu erläutern. Das von mir sehr geliebte Venezuela hat an einen von mir weitaus weniger geliebten Präsidenten namens Hugo Chavez, der vor zehn Jahren mal putschte, im Knast saß, begnadigt wurde, demokratisch gewählt wurde und sich danach in einer Art Staatsstreich mit ziemlich absoluten Vollmachten ausstattete. Dieser Chavez bewundert nicht nur Fidel Castro, sondern auch Simon Bolivar, und er würde wohl gerne zurück zu dem Groß-Kolumbien kommen, das es zu Bolivars Zeiten gab. Dafür müsste er allerdings sechs Nachbarstaaten unterjochen. Man kann unterstellen, dass er genau das tun möchte, wenn es dafür eine Gelegenheit gibt. Aber noch hat er’s nicht getan, und die Venezolaner wirken auch nicht so, als ob sie ihm das erlauben würden. Und jetzt stell dir noch mal die beiden Fragen von oben: Von CIA bis OPEC gibt es viele, die in Frage kommen könnten, Chavez an die Macht verholfen zu haben, je nachdem, aus welcher Perspektive man schaut. Aber trotzdem ist das was ganz anderes als die Schuldfrage, falls Chavez einen Krieg gegen Kolumbien vom Zaun bricht. In diesem Sinn kann und muss zwischen Hitler 33 und Hitler 42 unterschieden werden. Und so blödsinnig wie es wäre, Chamberlain eine Schuld an Hitler 33 zuzuschreiben, wäre es blödsinnig, Versailles eine Schuld an Hitler 42 zuzuschreiben. Oder?
Der Mann spricht mir aus der Seele.....
Vergessen sollte man das Dritte Reich keineswegs, jedoch sollte man auch lernen zu vergeben..