Warum es einem so erbärmlich wichtig ist, dass andere so ähnliche Gedanken haben wie man selbst. So in etwa. Da steht das ja auch, na siehst du wohl, du bist nicht allein. Die haben es auch geschrieben. Dieses Wiederkennen, diese Erleichterung. Wie wenn sich Porschefahrer einander mit der Lichthupe grüßen. Kurz angetippt. Muss aber nicht Porsche sein. Wenn man zum Beispiel in der S-Bahn jemanden sieht, der ein Buch liest, von dem man viel hält. Als ob man dann mehr Sicherheit hätte beim Denken. Als ob das Denken davon richtiger würde. Immer diese Hordenbedürfnisse. Mehr als einer sein. Teil einer Horde sein. Die nicht wissen will, dass sie auch nur eine Horde ist. Eine Horde mit aparten Regeln. Hochmütig. Lauter Einzelne, natürlich sprechen wir uns nicht ab, und natürlich können wir uns gegenseitig nicht leiden. Eine solche Horde eben. Eine Nichthorden-Horde. Eine Bruderschaft, deren Mitglieder einander nicht über den Weg trauen, nicht miteinander sprechen. Nur grüßen, zwischen den Zähnen gezischt. Unsere Lichthupen. Als ob einer allein nicht genügte. Man will sich nicht für völlig wahnsinnig halten müssen. Deswegen das. Wenn du mir schon nicht zuhören willst, da sind aber noch ein paar andere, die dasselbe sagen. So falsch kann das also nicht sein. Und dabei genau wissen, dass es nicht drauf ankommt, ob es falsch ist oder richtig. Jedenfalls nicht so sehr. Man kriegt ja eh keine Noten mehr. Niemand da, der sie verteilt. Nur man selbst. Das war aber jetzt ein schöner Gedanke, dafür kriegst du jetzt von dir selbst einen Einser. Und für den musst du noch einmal nachsitzen. So ähnlich. Armselig, das. Aber es ist so. Wie es einen sofort beruhigt, wenn man dann irgendwo etwas liest, das so ähnlich ist. Als ob man Teil wäre von einer Gedankenarmee. Die gegen eine andere Gedankenarmee Kriege führt. Obwohl alle nicht wissen, dass sie Soldaten in Armeen sind und obwohl die beiden Armeen einander nie irgendwo treffen. Nationbuilding. Dabei sitzt man immer nur vor Papier, vor Computern, beim Kaffee, vor dem Fernseher. Vielleicht ist das ja auch nur, damit man beschäftigt ist. Oder nicht beschäftigt ist, je nachdem. Beschäftigungstherapie. Toberäume. Die eine fiktive Horde, die gegen die andere fiktive Horde tobt. Und die andere, die zurücktobt. Man kommt ja kaum noch zu etwas anderem. Als ob man der Welt lauter Leserbriefe schreiben würde. Die man dann in der Hälfte selbst nicht mehr leiden kann. Und sowieso nicht abschickt. Weil man darauf wieder nur andere Leserbriefe bekäme. Oder eben nicht bekäme. Man wüsste aber, dass es da halbe, mitten in einem Satz abgebrochene Leserbriefe gäbe. Die niemandem gälten. Wie die eigenen. Nur, damit man etwas zu tun hat.
Wenn ich jetzt darauf antworte...
...dass mir diese Notiz gefiel, dann - äh - uh - Metaebene, nee ich lass es.
yes
Schön beschrieben, und doch finde ich es auch seltsam, das seltsam zu finden. Weil Menschen sind keine rationellen Tiere. Aber in Anbetracht der Existenz des freien Willens ist das Seltsamfinden natürlich richtig.
Was gegen Spontanverbrüderung hilft ist gleichzeitige Mitgliedschaft bei mehreren einander ausschliessenden Peer Groups und Lifestyle-Ghettos. Dann hat man immer irgendeinen Argwohn bereit. Das ist aber auch kein angenehmer Zustand, kann ich sagen. Ein Verbrechen gegen die menschl. Natur im Grunde.
nicht erbärmlich
... weder dieser Text, noch das Gefühl, daß es einem wichtig ist, sich im ähnlichen Denken eines anderen geborgen zu fühlen - das muß doch sein, manchmal, auf dem Weg zu einem eigenen Gedanken; manchen traue ich schon über den Weg und manche kann ich ganz gut leiden (und Sie sicher auch) ; und ich denke, es geht beides: sich als Teil einer Gemeinschaft zu verstehen UND ein einzelner, einzigartiger Mensch zu sein. Wird das Denken nicht ohnehin zu oft überstrapaziert bzw. gegenüber anderen Qualitäten (Mitgefühl) zu hoch eingeschätzt?
relativer Tod des beobachtenden Beobachters
Tipp: versuch deinen Text in eine "die Situation bejahende" Form zu gießen und schau, was von deinen Aussagen übrigbleibt. In Wahrheit ist auch der beobachtende Beobachter schon längst relativ verstorben. Hat mir gefallen.
Zitat
"Most of human evolution took place before the advent of agriculture when men lived in small groups, on a face-to-face basis. As a result human biology has evolved as an adaptive mechanism to conditions that have largely ceased to exist. Man evolved to feel strongly about few people, short distances, and relatively brief intervals of time; and these are still the dimensions of life that are important to him."
Zitat von S. L. Washburn, einem Evolutionsbiologen, via "The Tipping Point" von Malcolm Gladwell.
"...short distances, brief intervals of time...still the dimensions...""
Ein Satz, der die die räumliche und zeitliche Ferninformationsgesellschaft von heute ignoriert. Aber romantisch.
Das erinnert mich
übrigens an eine vor langer Zeit gemachte Bemerkung von Dir, in der Du darüber nachgedacht hast, ob Weblogs so etwas wie der watercooler talk im Netz wären. Habe ich mir gemerkt, fand ich immer sehr interessant, müsste man vielleicht noch einmal ein wenig ausführlicher darüber nachdenken.
Meine Bemerkungen zum Alleinedenken sind übrigens, wie fast alle meiner psychologischen Einfälle, gegen mich gerichtet; ich ertappe mich zu oft dabei, das Denken einzustellen, sobald ich irgendwo etwas mitbekomme, das so ähnlich gedacht ist; als ob das meine Gedanken sozusagen bestätigen würde; die Erleichterung, die ich oft dabei empfinde, wird mir immer verdächtiger, schon aus rein sachlichen Gründen: Man ist ja nicht weniger allein, bloß weil in der Zeitung jemand etwas geschrieben hat, das man als Bestätigung wahrnimmt; aber man fühlt sich weniger allein. Manchmal sind mir diese rein imaginären Gemeinschafts- und Gesellschaftsbildungen sehr unheimlich. Was gegen nichts und für nichts spricht. Unheimlichkeit ist sowieso immer gut.