Gerade habe ich eineinhalb Stunden lang einer Nachtstudio-Diskussion darüber zugehört, ob für die Selbstmordattentate eher die lieblose Mutti, irgendwelche Kränkungen, der Islam oder das Problem der überflüssigen jungen Männer nachsitzen müssen. Ich hätte ja auf den freien Willen getippt, aber der hat heutzutage schlechte Karten.






jaja

konnte mich nur durch rotweingenuß und störrische rezitation des mantras "du sollst dich nicht über unwürdige gedanken aufregen, sondern dich vielmehr mit würdigen befassen" davon abhalten, wütend in die tasten zu hauen.


freier wille?

wie wird freier wille in diesem zusammenhang definiert?


ungefähr so, denke ich.

x(y-z) + f(12$ - 34.567).

irgendwie kann ich fragen nicht leiden, denen man anmerkt, dass sie etwas anderes wollen als eine antwort. oder die antwort nur, um sich in etwas verbeißen zu können.

die sache ist doch ganz einfach: ein selbstmordattentäter will andere leute umbringen. dafür entscheidet er sich höchst souverän. es handelt sich nicht um eine affekthandlung, nicht um etwas, was irgendeine geile droge bei ihm veranlasst, sondern es ist seine autonome entscheidung, mit der er einen bestimmten zweck verfolgt und für die er sich bestimmte mittel sucht. so wie bei jeder anderen handlung auch. es kann natürlich sein, dass seine mutti ihn nicht lieb hatte, dass er keine arbeit fand, dass er an beknackte propaganda glaubt oder dass er zu den überschüssigen jungen männern gehört, die nicht wissen, wohin mit ihrem ganzen testosteron und dem anderen ekeligen zeug, was so in einem jungmännerkörper tobt. hat ja auch niemand bestritten. was ist eigentlich so schwer daran, die existenz eines freien willen zu akzeptieren?


stronzo,

ma veramente.


die existenz

ist glaube ich nicht das problem, sondern die relevanz, bzw. auch die fragestellung, mit der der freie wille als antwort verbunden ist. man kann ja ruhig meinen, dass der selbstmordattentäter sich souverän fürs selbst- und andereumbringen entscheidet. aber was hat man damit im hinblick auf die doch wohl anzustrebende vermeidung von selbstmordattentaten gewonnen? was hat man damit erklärt, dass man meint, leute würden sich selbsttätig für oder gegen was unterscheiden? das scheint mir entweder trivial, weil es für alle und jeden gilt, und dann eben auch für herrn scharon oder einen israelischen soldaten, oder bedenklich, weil eine betonung freien willens oft (natürlich nicht notwendigerweise) einhergeht mit einer rein individualistischen betrachtungsweise von fragen politischer verantwortung. dann ist nämlich der selbstmordattentäter auch allein für sein attentat verantwortlich, und der ruf nach einer verurteilung seiner tat durch arafat oder sonstwen erübrigt sich.


believe it or not

es war MIR ernsthaft ein BEDÜRFNIS zu klären, was DU unter dem freien willen verstehst. und wenn du das wiedermal anders verstehst als ich es gemeint hab und du wiedermal davon ausgehst, daß dein verstehen das einzig wahre ist usw... also dann sag ich wiedermal baba. schade. mach's gut.


willst Du etwa sagen..

.. dass Selbstmordattentate kein stummer Schrei nach Liebe sind?

Absolute Willensfreiheit ist uebrigens eine contradictio in adiecto. Fliegen koennen zu wollen zum Beispiel ist Unsinn. Und so gibt es auch Umfelde, die bestimmte Handlungen zumindest weniger unwahrscheinlich machen. Wenn man dies feststellt, behauptet man damit nicht unbedingt einen Kausalzusammenhang, und man koennte damit sogar vielleicht einen Beitrag leisten, diese Umfelde, deren vorliegen vielleicht sogar notwendige Bedingung ist, zu aendern.


Cher der.

Fliegen können zu wollen halte ich nicht für Unsinn. Zu glauben, es auch zu können (wenn wir von Flugzeugen mal absehen), bloß weil man es will, ist allerdings unsinnig. Zwischen beiden Sätzen löst sich die contradictio in adjecto auf, würde ich meinen. - Ich würde übrigens denken, dass die israelische Militäraktion sich genau das vorgenommen hat, wovon du sprichst: ein Umfeld zu schaffen, in dem bestimmte Handlungen (also Selbstmordattentate) unwahrscheinlicher zu machen. Dass es so ziemlich sicher nicht gelingen wird, bestreite ich übrigens nicht.


nun,

wenn jemand sagte, er wolle fliegen koennen, wuerden wir ihn wohl fuer verrueckt halten. (Anders, wenn er sagte, er wuenschte fliegen zu koennen.)

  • Was das damit zu tun hat? Naja, das Sein bestimmt das Bewusstsein, und so.

Existenz und Relevanz.

Natürlich ist die Existenz des freien Willens eine außerordentlich banale Angelegenheit. Schon weniger banal erscheint mit der Umstand, dass in den allermeisten Interpretationsakrobatiken, die man dieser Tage hört und liest, gerade diese doch ungeheure Banalität aus den Erklärungen herausgehalten wird. Dass ich sie immer wieder einführe, hat einen einzigen, auch recht banalen Grund: Man kann schlechterdings nicht für emanzipatorische Politik (ich möchte das aber jetzt nicht definieren müssen, eine vage Vorstellung davon reicht völlig aus, um mein Argument zu verstehen) eintreten, ohne immer wieder auf den freien Willen zu beharren und ihn zur Grundlage der Politik zu machen. Was wären denn zum Beispiel eine Revolution oder ein Widerstandskampf anderes als ein wie auch immer herbeigeführter kollektiver freier Wille, politische Zustände zu verändern? Meine Analyse (na ja, in Wahrheit sind es ja eh bloß verstreute Bemerkungen) geht immer davon aus, dass die Leute das zu tun versuchen, was sie tun wollen - zu bestimmten Zwecken, mit bestimmten Mitteln, mit bestimmten Erfolgen. Auf die Selbstmordattentäter angewandt, würde ich die Frage, die ja derzeit alle stellen, so beantworten: Nicht weil sie verzweifelt sind, nicht weil ihre Mami sie nicht liebgehabt hat, nicht weil sie keinen anderen Ausweg haben, nicht weil Israel, die westliche Welt oder wer auch immer sie gekränkt und beleidigt haben, und auch nicht, weil ihr Glauben gedemütigt wurde; sondern, weil es eine Waffe in ihrem Staatsgründungskrieg ist. Darum handelt es sich nämlich im nahen Osten. Es geht darum, die Kosten für den Feind hoch zu treiben, damit der seinen Willen - nämlich keinen palästinensischen Staat zuzulassen [der wiederum dem eigenen Staat alle möglichen Kosten aufbürdet] relativiert. Ich nehme also die Selbstmordattentäter und ihre Organisationen als politisch handelnde Subjekte wahr. Damit anerkenne ich sie übrigens viel deutlicher, als die Verständnis äußernden Interpreten es in der Regel tun. Was ich allerdings von einer solchen Politik, ihren Zwecken und ihren Mitteln denke, ist eine ganz andere Sache. Um es anzudeuten: Nicht besonders viel. Aber darüber müsste man gesondert reden.

Was das da und dort sehr schnell sich äußernde "Verständnis" für die Selbstmordattentate betrifft (ich meine damit aber niemanden, der hier Kommentare hinterlassen hat), fällt mir immer wieder der darin steckende Zynismus auf, der darin besteht, das Sterben für einen Staat als etwas völlig Verständliches und emotional Logisches auszugeben. Für einen Linken (was zu sein, mir aber eh niemand mehr glaubt) müsste aber, finde ich, ein Satz immer gelten: Etwas Besseres als den Tod gibt es allemal.


Ma chére Viennoise.

Wir haben und auch du hast oft genug über die Leute lamentiert, die sachliche Argumente mit Definitionsfragen relativieren wollen. Ich nehme an, auch auf der Ethno in Wien wird es Kommilitonen geben, denen zu Klitorisbeschneidungen gerne erst einmal kulturelle Traditionen und ähnliches Pillepalle einfallen, jedenfalls glaube ich mich daran erinnern zu können, dass du mir davon erzählt hast. - So ähnlich verhält es sich auch mit dem freien Willen. Es geht nicht darum, was ich darunter verstehe oder irgendwer darunter versteht, das Argument tut es auch ohne Definition. Im übrigen sagt man Sätze, in denen das Immerrechthabenwollen und Nurdeinewarheitzählt vorkommen, gemeinhin nur in Ehen, und auch da nur, wenn man ihrer müde ist. An beides kann ich mich nicht erinnern. Je t´embrasse, believe it or not.