Ach kommt, bloß weil ein US-Verteidigungsminister sagt, Frankreich und Deutschland und das Alte Europa wären ein Problem, müsst ihr doch jetzt nicht alle in diese Paneuropa-Beleidigtheit ausbrechen. Rumsfeld hat doch nur gesagt, was man längst wissen könnte: dass die EU ein alternatives imperialistisches Projekt ist. Was sollte daran verwunderlich sein, dass in der Konkurrenz der Nationen jede der anderen ein Hindernis ist, das man nicht leiden kann?






Ist ja nur fürs Protokoll. Mir gefällt nicht, dass die Reaktivierung der "Deutsch-französischen Freundschaft" ausgerechnet so aussehen muss.


Dein protokoll habe ich ja auch gar nicht gemeint. Dein protokoll protokolliert ja das unbehagen am euronationalismus.


Ach so, nein. Ich dachte schon auch, Du meinst die Merkels und die ganzen Ministers. Das mit der Deutsch-Französischen Freundschaft habe ich nur noch einmal angefügt, weil es mich gerade sehr beschäftigt. Dieser politische Prozess war mir schon früh wichtig, weil ich, wie ich jung war, oft nach Frankreich gefahren bin, um die Sprache zu lernen und nachzusehen, was da so abläuft. Mich interessiert jetzt, aus der lokalpolitischen Perspektive, wie die Linke der Schweiz mit dem Euronationalismus umgehen wird. Ich habe so das Gefühl, dass hier in weiten Teilen der SP die EU immer noch als idealistisches Projekt wahrgenommen wird. Die Rechte wird sich freuen. Diese Sprache versteht sie gut.


Das "ausgerechnet so aussehen" verstehe ich nicht. Wie sollte die "Deutsch-französische Freundschaft" anders aussehen? War dieser politische Prozess von Aussöhnung, Annäherung und Völkerfreundschaft durch Sonntagsreden (sprich: paternalistischer Michel+Marianne-Ringelpietz plus Schüleraustausch) jemals zu etwas anderem gut als Euronationalismus? Ich wüsste nicht, woher ich den Zweifel beziehen sollte, dass die beiderseitigen, seit 1945 offiziell eingemotteten Feindbilder sich unverzüglich reaktivieren liessen, wenn's nur wirklich darauf ankäme. Stellen wir uns nur mal kurz den deutschen Soldaten vor, der dann sagte: "Auf Franzosen schiesse ich nicht!"


Schwaches Argument. Unter den "richtigen" Umständen kriegt man es problemlos hin, dass sich Niederbayern und Oberbayern gegenseitig abknallen. Oder sonstwelche Gruppen, die meinen, sich gross diskriminieren zu müssen. Dass dieses Erbfeindgetöse vorbei ist, finde ich schon gut. Diese Überzeugung, dass der Versöhnungsprozess zwischen Deutschland und Frankreich schon immer bar jedes Idealismus gewesen sein soll, teile ich nicht. Schüleraustausch finde ich gut.


Versöhnungsprozess? Worin findet der seinen Niederschlag, ausser in massivst gesponserter PR für ein Mass von ökonomischer und administrativer Integration, das Erbfeindgetöse über den Rhein ohnehin dysfunktional hat werden lassen? Also mir ist das zu sehr politikwissenschaftlich argumentiert, darin einen ideellen Fortschritt erkennen zu wollen. Aber bitteschön, fast für lau verreisen zu können ist nie falsch, das stimmt.


Zumindest diese ökonomische Integration hat es im Mittelalter auch schon gegeben. Das Erbfeindgetöse war schon immer dysfunktional. Den deutsch-französischen Versöhnungsprozess auf seinen euronationalistischen Aspekt zu reduzieren halte ich für überzogen. Das hiesse, mit Gewalt nur die hässliche Seite wahrnehmen zu wollen.


Die Mittelalter-Parallele könnte auch aus einer Broschüre des Aussenministeriums, Abschnitt historische Kontextualisierung, stammen, davon wird sie aber nicht zutreffender. Und wenn mir staatspolitische Verlautbarungen vorgeben, ich solle "die" Franzosen ein bisschen mehr liebhaben als "die" Russen und viel mehr als "die" Nordkoreaner, brauche ich gar keine Gewalt, um das als groben Unfug wahrzunehmen, der bspw. dem von der Achse resp. dem Reich des Bösen in nichts nachsteht. Aber nochmal meine Frage: Worin besteht dieser "Versöhnungsprozess"?


Warum soll diese historische Kontextualisierung nicht funktionieren? Ich sehe da kein Argument dagegen, nur eine hämische Behauptung. Das genügt nicht. Inwieweit die Annäherung von Funktionsträgern und politischen Systemen auf staatlicher Ebene dazu führt, dass Individuen sich mehr oder weniger aufeinander einlassen, wage ich ohne Konsultation entsprechenden Datenmaterials nicht zu sagen. Von einem einzelnen Beispiel (Du selbst) aber auf die Grundgesamtheit zu schliessen, halte ich für gewagt. Deine Argumentation ist ja: Der Staat macht das, also ist es automatisch von niederträchtigen Motiven getrieben. Das ist mir zu dogmatisch, ausserdem gibt es zwischen der deutsch-französischen Versöhnung und der Proklamation der Achse des Bösen doch den einen oder anderen Unterschied. Erstere ist beispielsweise ein Angebot, zweitere ein mörderischer Imperativ. Auch wenn man beide Initiativen auf die verwendeten Kommunikationsformen hin abklopft, wird doch schnell klar, dass man ein paar Pressekonferenzen und Schüleraustauschbroschüren und Handelskammervereinbarungen nicht mit der rasenden Kriegspropaganda der derzeitigen US-Regierung gleichsetzen kann. Folgt man Deiner Argumentation, so ist Krieg Frieden und Frieden Krieg. Fünf Finger, nicht vier.

Der Versöhnungsprozess besteht auf staatlicher Organisationsebene zunächst darin, dass die demokratisch gewählten politischen Verantwortlichen in einen Dialog getreten sind, anstatt, wie die 100 Jahre vorher, aufeinander zu hetzen und Krieg zu führen. Was dabei an Initiativen und Verträgen herausgekommen ist, mag man so oder so bewerten. Die Motive natürlich auch. Für mich ist allein der lang anhaltende Frieden schon ein positives Ergebnis.


Respekt. Ich finde gHacks Position sehr durchdacht. Wenn ich das ausweiten darf, ich finde diese auf-Teufel-komm-raus Bösartigkeit sehen etwas ermüdend, und häufig nur darauf abzielend, abgeklärt und abseits stehend zu wirken. Ausserdem eher leer als Aussage, da keine empirischen Belege benötigt werden. Natürlich ist dieser Pan-Europaismus Quark, aber zu betonen, dass man gerne im Rahmen des Völkerrechts bliebe, und dass Krieg führen scheitern heisst, kann ja nicht schaden. Dass auch andere Interessen dabei sind, macht es ja nicht weniger richtig. Schöner Artikel in der New York Review of Books über den amerikanischen ``anti-Europaismus'', nebenbei.


Der Nationalstaat, über den wir hier doch reden (allein deshalb ist die Mittelalter-Kontextualisierung hochprozentige Apologie, weitere "empirische" Belege können nachgereicht werden), ist eine Veranstaltung zur - nach innen möglichst gewaltarmen, nach aussen durchaus auch gewaltförmigen - Regulierung gegensätzlicher Interessen von Einzelnen und Gruppen.

Davon ausgehend, möchte ich auf der simplen Erkenntnis beharren, dass die ideologisch-symbolischen Vermittlungen der Resultate dieser Interessenregulation, ob z.B. in "Deutsch-französischer Freundschaft" oder als "Achse des Bösen", immer ideologisch-symbolische Vermittlungen auf der Grundlage entsetzlicher Simplifizierungen bleiben und als solche strukturell (!) nicht voneinander unterschieden sind.

Man mag das ja als dogmatisch oder als "Bösartigkeit-sehen-wollen" bezeichnen, wird sich aber damit dem Verdacht aussetzen, gefühliger politischer Romantik nicht ganz abhold zu sein.

Versöhnung findet also statt, wenn gewählte Repräsentanten Verträge unterzeichnen und Initiativen ankurbeln? Naja. Ich kann mich mit meinem Nachbarn versöhnen oder mit meiner Ex-Frau, fühle mich aber ehrlich überfordert, mich mit allen Franzosen zu versöhnen. Andererseits habe ich mich schon mehrfach intensiv mit Individuen anderer Nationalität eingelassen, ohne dass die Staatsmänner der beteiligten Staaten zuvor hätten "Versöhnung" proklamieren müssen. Diese "Versöhnung" ist die billige Münze politiknaher Legitimations-"Forschung".

Schliesslich: Im Rahmen des Völkerrechts bleiben zu wollen, wird schon richtig sein; wenn dieser Grundsatz aber wahrhaftiger politischer Überzeugung entspränge und nicht nur paneuropäischem taktischen Kalkül, dann wäre ihnen das schon im Falle Afghanistans eingefallen.


Yep. Kommt hin. Dieses Gerede von unserer Identität geht mir schwer auf die Nerven.


Während mir das "Gerede von 'unserer Identität'" allerdings ebenfalls gut auf den Nerv geht, ich daneben auch mv in seiner grundsätzlichen Beurteilung der konstruierten, offiziellen Wertungsformeln für geopolitische Konstellationen beipflichte, scheint es mir aber grundsätzlich wie auch im konkreten Zusammenhang nicht ungefährlich, "strukturelle Gemeinsamkeiten" allzusehr bedeutungszuschwängern; ich sage ja vermutlich nichts Neues, wenn ich darauf hinweise, daß "strukturelle Gemeinsamkeiten" von manch einem gerne zwischen Konzepten hergestellt und auszuweiden versucht werden, die inhaltlich-substanziell eher das gegenseitige Gegenteil darstellen.


seit wann sind EUROPA und EU deckungsgleich?

wieder die alte bekannte Verschiebung: für die EU-Mitglieder reduziert sich Europa auf einen Wirtschaftsbegriff, für die ost-europäischen (eigentlich mitteleuropäischen) Länder bedeutet Europa einen historischen Kulturraum,

aber ich habe immer noch nicht begriffen, was das für ein Vorwurf sein soll? Ist Europa in Rumsfeld Augen wieder Kakanien?


Empörung à la carte. Ja, ja, sie "üben Revanche".


ach komm, ich bin doch nicht beleidigt, du.

ist doch schön, daß es doch noch alternatives projekt gibt, vielleicht. wenn usa nun mit polen, türkei und blair neues europa aufmachen, mir doch egal. sind doch selber ganz alte europäer, bauern, die hier nicht zu rande kamen und da rüber gingen und wiese urbanisiert haben und pistolen wirtschaft anzettelten.


Erst war ich über Ahnungslosigkeit (ha!) und Ungerechtigkeit verzweifelt (Afghanistan), dann habe ich gesehen, wie das geht, 3 Tage und alle schreien nach dem Blut unbekannter Menschen. Und jetzt: Ich spüre selbst, wie das ist, Jubel für das Land (altes Europa). Andere haben geschrieben "was immer ihre Motive sein mögen...ich bin dafür". (Frankreich-Deutschland Statements). So lerne ich, was da ist.

Nachsatz: Mir sind die Pro-Wallungen lieber. Sie sind bei weitem angenehmer für den/die Wallenden.


Es scheint dass es bei euch irgendwie eine schlimme Beleidigung ist, als "alt" bezeichnet zu werden. Stimmt das?

Der Rumsfeld ist ein Grossmaul, er mag Sprueche klopfen. Aber wenn er behauptet, dass Europa nicht nur aus Frankreich und Deutschland besteht, hat er nicht ein bisschen recht? Sogar im EUropaeischen Sinne?


In diesem Punkt hast Du natürlich recht. Dieser Alte-Welt-Kulturalismus ist tatsächlich genauso stumpfsinnig und brutal wie der Manichäismus der Bush-Administration. Erstaunlich, wie gut das bis in die sogenannten linksliberalen Kreise hinein funktioniert.


hat der bush oder der rumsfeld nicht vor kurzem gesagt, dass es massenvernichtungswaffen im irak gibt und dass, wenn die un-inspektoren diese massenvernichtungswaffen nicht finden dies nur bedeutet, dass die iraker schlau genug waren diese zu verstecken?

also vom logischen standpunkt aus bietet sich hier eine lösung an. bush/rumsfeld etc. wissen, dass der irak massenvernichtungswaffen hat. aber wie können sie das wissen? weil sie dem irak selber die waffen untergeschoben haben. via cia oder wie auch immer. jedenfalls ist die cia nicht sehr kooperativ mit der un. wahrscheinlich weil sie selber dreck am stecken hat.

und bezüglich der eu als alternativem imperialistischen projekt. die eu ist ein witz. genauso wie die un ein witz ist. mit imperialismus hat das nun wirklich überhaupt nichts zu tun. imperialisten könne sich nicht auf 25 oder wer weiß wieviele staaten verlassen müssen. die eu ist laber-rhabarber. ökonomisch motiviert, aber eine imperialistische null.


Falsch. 1 | 2 | 3. Die EU ist heute auch militärisch ein alternatives imperialistisches Projekt, wirtschaftlich ist sie es schon lange.


ok, das sind aber alles noch mehr oder weniger planungen. derzeit ist die eu als staatenzusammenschluss noch kaum als ernstzunehmende militärische macht einzuschätzen. und zudem hätte rumsfeld dann ja wohl eher vom neuen europa sprechen müssen und nicht vom alten, wenn derartige gedankengänge hinter seinen äußerungen stecken.