"Lock the door", she said. He set the bags down and locked the door. He had never been in a drawing room before and he fumbled at the lock for an appreciable time. When he turned she had removed her dress: it lay in a wadded circle about her feet and she stood in the scant feminine underwear of 1937, her hands over her face. Then she removed her hands and he knew it was neither shame nor modesty, he had not expected that, and he saw it was not tears. Then she stepped out of the dress and came and began to unknot his tie, pushing aside his own suddenly clumsy fingers.
Der letzte Absatz des dritten Kapitels von Faulkners "Wild Palms": Ich habe die Passage in den letzten 12 Jahren sicher achtmal, zehnmal gelesen und immer noch keine Ahnung, warum ich sie für so perfekt halte. Sobald ich sie mir nämlich zu erklären versuche, stößt mir an ihr ein ums andere auf. Die Doubletten, die er um der Effekte willen setzt. Lock the door ... and he locked the door. Her hands over her face ... Then she removed her hands. Was für ein oller Trick. Dieser Kolportage-Beat, der einem da auf den Körper gejagt wird. Die "and"-Anschlüsse, die fast wie Schläge kommen. Die Fehler in der Beschreibung: Wenn der Held sich schon mit dem Schloss schwer tut, dann sind seine Finger ein paar Sätze weiter eben nicht suddenly clumsy. Und wenn er weder shame noch modesty erwartet hat, wie soll er dann wissen, dass dem Gesicht der Heldin beides nicht zu ablesen ist. Am merkwürdigsten ist die Wendung von der "Unterwäsche von 1937". Diese Eigenheit von Faulkner, alle Viertelsätze die Erzählperspektive zu wechseln, von der Innensicht seiner Figuren zur Außensicht und wieder retour. Und das dann stehen zu lassen. Ich bilde mir ein, der Text würde sofort schlecht werden, wenn er es nicht stehen ließe. Das "1937" zum Beispiel kann man nicht wegnehmen, etwa indem man es durch eine Wahrnehmung des Helden ersetzt - der, das weiß der Leser des Romans an dieser Stelle, die Lebenserfahrung nicht hat, Unterwäsche historisch wahrnehmen zu können.
Ohnehin eine fixe Idee von mir: dass in den wirklich großen Texten lauter Fehler stecken, wie Fremdkörper mitgeschliffen werden. Und die Größe eines Textes darin besteht, dass er über diesen Fremdkörpern Narben bildet. Einer, der wirklich schreiben kann, wäre demzufolge einer, der die Fehler stehenlässt. Oder die richtigen Fehler macht. Falten, Narben, so etwas in der Art.
So wünschenswert es auch wäre, so sehr auch vieles vereinfacht würde - vermutlich ist es nicht die reine Technik des Schreibens, die aus Texten Erlebnisse macht. Die Präzision des Schreibenden wird vermutlich mehr in der Beobachtung gefordert, der Text bleibt Transportmittel zum alleinigen Zweck, die Geschichte mit den Mitteln des Lesenden lebendig werden zu lassen. Würde erklären, dass Formfehler hier nicht die gewohnt negative Wirkung haben. Fehler zu instrumentalisieren scheint mir ein eleganter Gedanke, zeugt aber wohl auch von dem Wunsch nach totaler Kontrolle. Aber wer bin ich, dass ich mit Ihnen übers Schreiben reden könnte.
Als ich noch zu Schule ging, war ich so genervt von der Interpretierungswut meines Lehrers, dass ich ihn gefragt habe, ob man durch allzu tiefe Analyse nicht die Gesamtwirkung des Werkes zerstöre.
Er nahm mich tatsächlich ernst (vermutlich auch nur, weil ich nicht so lesefaul war wie meine Mitschüler) und präsentierte mir am nächsten Tag ein Zitat. Autor und genauer Wortlaut sind mir entfallen, aber es ging ungefähr so: "Die wahre Schönheit einer Rose kann man auch erst dann ergründen, wenn man all ihre Blütenblätter entfernt hat."
Ich konnte damals nicht wirklich etwas darauf erwidern, war aber immer noch nicht ganz überzeugt. Gerne hätte ich ihm dieses Posting hier vorgehalten.
Brecht, Über das Zerpflücken von Gedichten: "Zerpflücke eine Rose, und jedes Blatt ist schön." Poesiealbenweisheit. Jeder angehende Deutschlehrer bekommt am Ende seines Studiums einen Stapel mit Kärtchen, auf die das aufgedruckt ist. Ich hab auch eins bekommen.
Jetzt hört doch mal diesem "Zerpflücken"-Gedöhns auf. Viel interessanter ist doch diese Idee vom "mitschleifen" der Fehler in guten Texten. Hab neulich die erste Seite der "Wahlverwandtschaften" in einer Mannheimer Bahnhofsbuchhandlung gelesen, und dachte: Was für ein grottenmäßiger Scheiß. Lesen, scheint's, werde ich's aber doch müssen.
Ai, das ist Brecht? Dachte, dass sich mein Lehrer etwas weniger Naheliegends ausgesucht hätte. Naja, obwohl ich den Satz länger in Erinnerung habe.
Ich finde aber auch: Liest man so etwas wie den Text von Faulkner, dann denkt man in der Tat: Wow. Versucht man dann selbst so Tricks, findet man sich selbst ziemlich ungeschickt.
aber genau. ich würde es allerdings nicht mit "narben" erklären, sondern eher, dass zuviel schönklang einfach zu schnell pappsatt macht.
meine vermutung, warum ich immer noch nicht über 40 seiten proust rausgekommen bin bisher.
oder - wie ich allerdings glaube, bewusst eingesetzt - bei doderer genau solche dreckpartikel eingearbeitet sind.
wahlverwandschaften: da ist der anfang, da muss man rüber, und zwar ein ganzes stück, weil es da um langeweile geht, und der text das nachahmt. klingt superdämlich, funktioniert aber meiner meinung nach wirklich so: ist man dann genügend anästhesiert, kommt erst die hypnotische wirkung.
Ich bin gespannt, ich hab hier noch einen Büchergutschein, der eingelöst werden will.
@roland
narben: der ausdruck war mir selbst ein wenig unangenehm, wegen der organischen metaphorik, in der er sich bewegt. der gedanke "zu viel schönklang, von dem man zu schnell pappsatt" wird ist mir aber zu ungenau; hat zu viel mit dem leser und dessen verträglichkeit, zu wenig mit dem text und dessen eigenarten zu tun.
proust: ich habe einige anläufe gebraucht, bis ich combray geschafft habe. nach den ersten 70, 80 seiten geht der roman plötzlich auf, man bewegt sich mühelos darin. nachträglich kommt es mir vor, als hätte proust sehr bedacht eine ziemlich mühselige initiationsprozedur an den anfang der recherche gestellt. wirklich funktioniert hat es bei mir erst, nachdem ich den zweiten band vor dem ersten gelesen und dann noch einmal von ganz vorne begonnen habe. übrigens hat proust einige grobe schnitzer begangen, zum beispiel lässt er eine figur, die bei ihm stirbt, plötzlich wieder auftreten, als wäre ihr nichts widerfahren.
was Du zu den wahlverwandtschaften sagst, war auch meine erfahrung.
Seufz. So eine Pléiade-Ausgabe wär's halt. In französischen Buchhandlungen stehen die immer in gesicherten Glaskästen.
praschl: yup, meine erklärung triffts wahrscheinlich auch nicht so.
ich bilde mir grad ein, olle göthe hätte dazu mal was gesagt, irgendwas mit webstuhl und webfehlern, mal sehen ob ich das finde.
hm, vielleicht wars auch wer anders, ich hab jedenfalls im netz erstmal nix gefunden, dafür aber aus einem hörstück von alban nicolai herbst, das wiedergibt, was ich meinte (obwohl das ja klar sein dürfte), ich zitiere:
Sprecher 3 Denken Sie an den Tod in Venedig..! Das ganze Ding aufgebläht...Sprecher 1 Na kommen Sie!
Sprecher 3 ...mit wirklich unerträglich süßlichem Ballast...
Sprecher 1 ... das können Sie nicht...!
...
Sprecher 3 ...Dennoch will ich behaupten, daß trotz dieses... also wirklich, geben Sie's zu!: „Kitsches“... dieser ganze Tod in Venedig - lebt. Man muß wie durch ein Gebirge aus Buttercreme durch, würgt zwar und wird beim Lesen klebrig vom Kopf bis zu den Zehen... und dennoch... und ein drittes Mal: dennoch! Es ist geradezu, als wäre eine bestimmte Schwäche des Werkes notwendig für seine Güte.
Sprecherin Gewagte These.
Sprecher 3 Vielleicht hat das arabische aslaam - „Nur Gottes ist die Perfektion“ - einen ästhetischen Grund? Vielleicht ist der in den Teppich hineingearbeitete Webfehler eine Bedingung dafür, daß man die grenzenlose Schönheit dieser Knüpfkunst überhaupt erfassen kann?
Ist aus dem Text zu der Sendung hier (kann man da über Link nachschlagen). Die Sendung selbst geht über José Lezama Lima und dessen Roman Paradiso. Nachdem ich letztes Jahr sehr gern "Drei traurige Tiger" las, könnt ich doch eigentlich auch den mal lesen. Weiß einer, ob sich das lohnt?
Ich weiß es.
Tun Sie's. Unbesehen. Zwischendurch wird der Text s e h r schwer, rätselhaft, bisweilen grammatisch verknotet... aber wie wunderbar, wenn er sich daraus löst... und wie notwendig, d a ß er sich verknotete.
Lächelnd: ANH
wär ein text ein begehrenswertes weib, wie säh das weib dann aus? perfekt geschliffen und abfotografiert oder eher das, was bleibt an einzigartigkeit (und vielleicht ungereimtheit).