Katha Schulte, Die Adoptierten. Brief an eine Gönnerin. Ein Text, den ich schon vor Wochen empfehlen wollte, dann aber, meine ewige Schlamperei. Weil die Jungle World immer noch nicht mit dem Renovieren fertig ist, derzeit nur als google-cache. Satz:

Es gibt gelegentlich den Fall des misslungenen Gesichts.
Passage:
Eigentlich aber ist die Gesichtsarbeit anders geregelt. Ich glaube, die Angestellten gehören noch zu denen, die wissen, was das ist, die Fremde des Gesichts. Die Regelung ist einfach, wir lassen unser Gesicht in Richtung des anderen Gesichts weisen, sehen aber daran vorbei. Oder wir sehen kurz das Gesicht an, wie um zu erkennen, um welches es sich handelt, und ziehen aber im Moment, wo wir es ansprechen, die Augen wieder ein wie die Schnecke die Fühler. Dieses ins Leere reden nenne ich den ersten Satz der Ordnung der Angestellten. Anders halten wir es mit denen, die wir nicht adoptiert haben. Da schauen wir genau in das Gesicht hinein, mitten hinein, als suchten wir darin den Verbündeten, den wir in ihm vermuten.

Die Jungs haben auch eine Krücke, das ist der Kaffee. Manche sprechen es sogar Kaffée, als hätten sie einen vorzüglichen Melangierten vor sich, aber ich glaube seitdem ich das gesehen habe an keinerlei Kaffeehauskultur mehr. Ist Ihnen übrigens einmal aufgefallen, wie bitter Zucker wird, wenn man zuviel davon in den Kaffee rührt? In Deutschland ist das Kaffeetrinken die Droge des Stillhaltens. Sie trinken ihn im Büro. Über die Koffeinbrücke sind die Adoptierten mit der Arbeit verbunden, das ist der zweite Satz. Kaffee ist immer gut, so lautet denn auch die Devise eines Kollegen, er wird nicht müde sie zu wiederholen, der Kaffee hält ihn wach, wenn möglich mehrmals am Tag. Für 90 Prozent der Deutschen sind oft mehr als vier Tassen täglich unverzichtbar, das ist die Statistik.

Und dann innerlich, intern zerrüttet werden, vom jahrzehntelangen Kaffeekonsum vollständig und irreversibel zerrüttet, das ist das Lebenswerk des Kaffees an den Adoptierten. Er ist von zweifelhafter Rezeptur, nicht eigentlich genießbar. Manch einer greift, an Kaffee traurig getrunken, von oben in die heiße Tasse hinein; mit zweifelhafter motorischer Fähigkeit lässt das Nervengift ihn zurück.






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