Als wir im Amphitheater von Orange mit Audioguides von Station zu Station prozessierten ("wenn Sie mehr über das römische Bühnenrepertoire erfahren wollen, wählen sie 61, sonst gehen Sie weiter zu 7", &tc.), dachte ich gleich, solche Audioguides sollte es ganz dringend für die Gegenwart gäben. Man käme an einem Menschen vorbei, und im Ohrhörer würde dir seine Geschichte erzählt werden, drei, vier Sätze lang, "das hier ist Olga S., im vergangenen Jahr ist ihr Mann gestorben, nun versucht sie sich mit Meeresrauschen zu betäuben, nachts träumt sie noch von ihm, dann läuft sie die Promenade des Anglais hinunter, wünscht sich, es wäre Winter und so kalt, dass sie ihren Atem sehen könnte, Wolken pustend, sich vermischend mit dem Äther"; oder: "Madame M., seit jeher mit Möglichkeitssinn ausgestattet, sie sucht hier Orangenöl, und jeden Morgen dehnt sie sich beim Sonnengruß, vier Sekunden ein, acht Sekunden aus, der Duft der Orangen erinnert sie an, sie weiß nicht genau, woran". Oder so ähnlich. Man würde den Menschen, deren Gesichten man hörte, bestimmt anders nachsehen.
Re: Kreuzpeilungen.
253 könnte dir gefallen. Es endet allerdings mit dem Tod.
Re: Kreuzpeilungen.
Auch ich war im Urlaub in Orange im antiken Theater, diesen September. Den Audioguides aber haben wir uns verweigert. Wir saßen einfach auf den Stufen, auf Augenhöhe mit der Augustus-Figur, die an der Theaterrückwand steht und waren sehr müde. Und lästerten über die Leute mit den Audioguides. Vielleicht sollte ich ein Loblied auf das Nichtwissen-, ja das Nichtausmalenwollen anstimmen, das fiele aber kürzer aus. Ganz kurz.
augustusstatue.
ich habe mich ja selbst darüber gewundert: aber die texte, die der audioguide in orange vorlas, waren solide sozial- und kulturgeschichte. unter anderem wurde von den fabriken in rom erzählt, die die augustusstatuen in serienproduktion herstellten, und zwar mit abschraubbaren köpfen, damit bei kaiserwechseln der passende nachfolgerkopf geliefert werden konnte.
abschraubbare Köpfe
wertvolle Information, in der Tat. Satire auf politische Verhältnisse (oder gar: Theorie der Politik) schon eingebaut ins Wesen der Massenproduktion und die im Riesenreich notwendige massenhafte Verteilung der Repräsentation von personaler (oder eher personifizierter) Macht. Und der Kopf, denke ich, wird nicht ab- und neu aufgeschraubt aus Gründen irgendeines Abbildungsrealismus, sondern nur um genau der Aktion des Schraubens willen (der Unterschied um den Kopf markiert dann, überspitzt gesagt, nur die - allerdings - verblassende Erinnerung an den Wechsel, nicht die Ähnlichkeit zum jeweiligen Herrscher).
Ich bin übrigens ganz sicher, dass Jean Paul, den ich gerade viel lese, irgendwo diesen Sachverhalt, der schon zu seiner Zeit gewiss ein bekanntes Kuriosum war, zu satirischen Zwecken nutzt.