Der Geruch von Benzin und Lindenblüten. Es dunkelte ein wenig, doch der Sommer war noch geräumig, so schien er endlos und weit wie sein Licht, und wir gingen die Straße zum Park hinauf, entlang der Universität, nach der Lesung. Da standen zwei Polizistinnen. In nicht ganz kleidsamen Uniformen standen sie mitten auf der Straße. Worauf warteten sie? Ich sagte: "They are waiting for the music to start again". Sie wollen tanzen, und sie sagte: "I think they are waiting for men". Dann erzählte sie die Geschichte von dem besoffenen Dichter und den enormen Kellnerinnen einer Kantine, so dick, they were like bubbles. Im Dichter habe sich bei fortdauerndem Konsum von Alkohol erst Abscheu geregt, Abscheu wurde abgelöst von heulendem Mitleid und das Mitleid schließlich weggeschwemmt durch Geilheit, und er habe gesagt, auf rumänisch selbstverständlich: "You are like cosmic cows, please, please, let me fuck you", und die Kellnerinnen hätten sich nur darüber empört, dass er sie Kühe genannt habe: "Hast du gehört, he called us cows, er hat uns Kühe genannt", and then they threw him out. Wir gingen weiter, ich trug wie immer die falschen Schuhe, und sie sagte, well, das sei nun eine brutale und nicht sehr komische Geschichte, aber sie habe die besagte Kantine inzwischen auch besucht, und es stimme, sie seien wirklich like gewaltige Bubbles. Sie rollten, aber sie schwebten auch. Sie lächelte, an ihren Ohren funkelten blaue Steine, an ihrem Haarreif kleine purpurne Kristalle. Dann kamen wir an, im Park, und leider hatte ich sie bald in der Menge verloren.






Lipica, vom Hotel Klub zur Wedding Hall und wieder zurück

"Now imagine, wine is for free, but you have to buy the water!" Auf Servierwägen fuhren melancholische Kellner Flaschen an den Tischenden entlang. Ich war 22 Stunden unterwegs gewesen, der Weißwein war nicht kalt, aber das war egal. Gegen Mitternacht begann in der Hochzeitshalle oberhalb des Gestüts eine Performance. Mit einem litauischen Dichter stieg ich die Treppen zur Halle hinauf - ob er schon irgendwelche Pferde gesehn habe, wollte ich wissen. "I saw two of them this morning." Zwei Pferde, aber sie hätten arbeiten müssen. "Carrying a cart?", fragte ich. Nein, pushing, pulling a cart. "And other horses were waiting for the cart to climb in?" Nein, das seien schon niedrige Pferde gewesen, und: "They'll be horse-burgers soon," sagte der Dichter aus Litauen. Wir kamen an, es begann, und immer ging es weiter. Da wurd ich müd, schlich davon und hab mich gleich verlaufen. Wie schön war sich verlaufen! Es war nicht kalt und die Beine, froh zu gehen und der Kies, der unter den Stiefeln knirschend nachgab war ein halbes Wunder, während es ganz still war um mich her... Ich wusste nicht, wo ich war, und es machte nichts. Und mit einem Mal stand ich auf der Schwelle des Stalls, und schemenhaft sah ich die weißen Pferde, im grobkörnigen Dunkel wie umgekehrte Schatten. Würzig war das Stroh, und plötzlich, ganz metallisch und sehr, sehr groß hörte ich das Schnauben aus der trojanischen Größe des inneren Pferds, und ich stand da und atmete die dunkle, volle Luft des Stalls. So blieb ich stehn und wollte nicht mehr weg. Mir zu versprechen, ich kehrte gleich morgen zurück, half um solange weiter zu irren, bis es das Hotel wieder gab. "May i have a look at the horses?", würde ich fragen. Am nächsten Tag aber stand ich stundenlang vor den Pferden, keines davon bot sich mir an.


Chisinau, der Markt

Ich wusste nicht mehr, ob ich mich konzentrierte, ob ich aufmerksam oder ungelenk war, was ich sah und was nicht. Meine hochgereizte Aufmerksamkeit, die mir den Kiefer verflüssigte, während ich vergeblich Gesprächen in fremden Sprachen lauschte, hatte meine Wahrnehmung so durchlässig gemacht, dass alles mitten durch mich hindurchging. Wie es sich mischte, Russisch, Rumänisch, Ukrainisch mit französischen Partikeln und englischen Brocken: "Est ce-que tu as any moldavian bunny?", fragte Tanja, ich sagte, ich hätte "only rumänisches bunny left, il faut welches tauschen". Wir gingen zum Schalter, sie sagte: "I won't remember anytting". Ich sagte, doch, in deinem Traum, in your dream, quand tu rêves... aber sie beharrte: "No, no, no". Das große Poem vom Geld, let's write it, the big bunny-poem, von der Tobsucht des Geldes, den rotierenden Scheiben. Die Hand nimm hier weg, und wenn ihr zum Markt geht, watch you belongings. Dort türmten sich Bananen neben Mobiltelefonen, sauer eingelegtem Gemüse, Fettausgebackenem, Musikkassetten, alte Frauen verkauften leere Flaschen, volle Flaschen, verkauften Tüten, ja, sie verkauften, was aussah wie Müll. Und da stand eine sehr alte Frau, in der Hand eine Reibe aus Metall, sonst nichts und ich wollte weinen und war betreten über mein falsches Sentiment, die Komplizenschaft von Mitleid und Wut und einer Reibe, an der sich das alles hilflos manifestierte, und ich dazwischen, so reich und dumm, dass ich mit einem Mal die Schlagstöcke der Miliz mit masochistischem Interesse wahrnahm. Da wusste ich, ich musste hier weg.


Bratislava, vom Theater zum Hotel

Er hatte einen Orientierungssinn, der alles axialsymmetrisch spiegelte, dagegen war ich die Nasa. Aber er war fort. Nachdem ich niemanden mehr führte, wusste ich mit einem Mal nicht mehr wohin. Ich wusste nichts. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis alle Befürchtungen eintreffen mussten. It's just hundred yards, du wirst es finden. Was sind yards?, bockte ich, und dachte: what are years? You turn right at the church, links at the huge builing und ich ging rechts at the church und links at the besoffene Horde, schrie: "I don t speak your language!" und fragte mich, is this building the huge building, stand wieder vor der Kirche, auf deren Fassade in großen Lettern stand geschrieben QUO VADIS, ja, das frag ich mich wohl auch, und kehrte um, passierte die Disco und den Taxistand zum ich weiß nicht wievielten Mal, zurück zu dem Gebäude, das ich für huge hielt und zu einer anderen Kirche, die war gelb. Immer wieder hatte ich die Verletzlichkeit der Gastgeber unterschätzt, sie jetzt anzurufen wäre gewiss ein Affront, you don t have the slightest idea, do you? hörte ich jemanden sagen. Das stimmte. Die Entfernungen waren so viel geringer als ich angenommen hatte, es wurde zwei. "What language do you speak?", schrie die Horde und ich schrie "None!" Kurz bevor ich nicht mehr wollte, kam ich an. Dann war es gut.


Europa, dein Schienennetz

Auf einen hämmernden Sommer, durch den die Reisen gingen wie Risse – folgte ein beinah versöhnliches Echo. Es hieß, sich einzufinden in einen pulsierenden Raum, der nicht ruhte, sich zu verändern, und darin trotz aller Haltlosigkeit nicht gegen Wände zu stoßen. Dieser Raum ist die Liebe. Dieser Raum sind die Berge. Das Begehren geht in die Landschaft. Der schattige Weg scheint ins Ungute zu führen, der belichtete aber ins Glück. So denken Tiere. So denkt die Erschöpfung. Ich habe meine Erschöpfung auf das Schienennetz Mitteleuropas verteilt. Das gleiche tat ich mit der Sehnsucht und mit der Musik. Always on a train, heißt ein Gedicht von Ruth Stone, mein Gedächtnis rollte ein paar texanische Heuballen daraus hervor, mehr brachte es nicht zustande, und die Fahrt war noch lang. Jemand hatte mir erzählt, er stiege in Züge, nur um zu lesen. Denn in seiner Wohnung sei er nervös, laufe er ziellos umher, aber im Zug, in an already moving apartment, you know, sitze er still, dann führe er lesend zurück und beginne zuhaus angekommen, zu schreiben. Ne bouge pas, dachte ich, ich will in dir wohnen.


Wege im Traum

Nicht mehr als eine faustvoll Stunden. Das innere Wesen stand da ohne Welt. Aber auch ohne Angst. Es vertraute noch, häutchenweise, aber wem? Träume von Pferden. Es gab Nebenpferde und Ablenkungspferde. Die Ablenkungs- und Nebenpferde hatten Spuren, die sehr schwer zu lesen waren, im Dunkeln zumal. Wenn man ihnen dennoch folgen wollte, lief man Gefahr entdeckt zu werden. Ich pirschte mich an landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen vorbei, wo war die Scheuer? Es gab doch eine. Sicherlich. Jemand sagte in ein Telefon: Doris ist fertig, wenn Sie es sind. Dann, nach einer kurzen Pause: das ist gescheiter, oder vielleicht auch: das ist shattered? Es war nicht zu entscheiden. Ich verstand nichts, aber ich sah von meinem Versteck aus die rundgemachten Bäume von innen her wabern und wusste, dass dies sehr bedrohlich sein konnte. Da wurden sie vom Licht beruhigt, ganz stillgestellt im Licht bewegten sie sich nicht. Das ins Licht hineingefrorene Laub teilte mit: Die Luft ist rein, du kannst passieren. Und genauso wars.