Gestern beim Einkaufen all die "Der Kanzler kommt!"-Plakate gesehen, also gingen wir hin, Hamburg-Altona, Platz der Republik. Wir standen eingekeilt in einem Pulk von Leuten, bei deren Anblick ich unwillkürlich ein wenig pathetisch Salz der Erde dachte, manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt noch nichtliterarische Assoziationen habe. Gewerkschafter mit Stoppt-Stoiber-Abzeichen, rote SPD-Luftballons (auf der Rückseite, obwohl man bei Ballons ja nur schwer von Rückseiten sprechen kann: Inhalt: Das Parteiprogramm von CDU/CSU), Transparente, auf denen gegen den bayerischen Reaktionär Stimmung gemacht wurde, Ver.di-Flaggen, ein Name übrigens, den ich immer noch für konterrevolutionär halte, eine Gewerkschaft, in deren Namen man auch Filterkaffee-Werbespots drehen könnte, hat sich schon aufgegeben. Gute Stimmung, aber viel schlechte Haut. Man sah, & ich betone, dass das nicht abwertend gemeint ist: die Massenbasis der SPD besteht aus Modernisierungsverlierern, die sich immer noch die Illusion machen, die SPD würde, räusper, Arbeiterklasseninteressen vertreten. Viele Kinderwägen mit merkwürdig sediert wirkenden Babies im Pulk, Dauerwellen, Blaumänner, forciert bunte Hemden.

Moderiert wurde die Veranstaltung von Friedhelm Mönter, einem NDR-Veteranen, an diesem Samstag besonders tuckenhaft, huch hier und huch aber da, ein wenig so wie Herr Morgenstern im Kaffeeklatsch, das ergab bei einer SPD-Wahlveranstaltung nicht wenige groteske Effekte. Herr Mönter also, der sich anhörte wie ein Kaffeefahrteneinpeitscher, der ollen Damen Komplimente macht, damit sie noch mehr Rheumadecken kaufen, bat Dariusz Michalszewski (zu faul, um die korrekte Schreibung nachzuschlagen) auf die Bühne, den polnischen Tiger, der gekommen war, obwohl ihm sein Trainer und sein Manager davon abgeraten hatten, so mitten im Aufbautraining für irgendeine Verteidigung eines WM-Titels eines von 500 Boxverbänden. Der Tiger: "Besonders gefällt mir an Gerhard Schröder, dass er sich so sehr für die Völkerverständigung einsetzt“.

Danach wurde Heidi Kabel auf die Bühne geschoben, Herr Mönter wurde noch tuckiger, begrüßen sie mit mir die Grande Dame des Volksschauspiels, die eben erst bezaubernde 88 Jahre jung geworden ist, und hach Heidi hier und hach Heidi da, wie machst du das bloß, und dann redeten sie ein wenig über den Garten Heidi Kabels in Nienstedten, wo Heidis Tochter Kleinheidi leckeren Zwetschenkuchen auftischt und die Krähen eine Zuflucht gefunden haben, und Heidi sagte: "Ich bin so fit, weil ich jeden Tag noch was mache", und dann sang Heidi zum Halbplayback drei Lieder, nämlich "Hamburg ich liebe dich", "Oma mit Schwung" und "Junge mit dem Tüttelband". Der Pulk, in dem wir standen, wurde immer genervter, man konnte die Frau ja nicht gut ausbuhen, immerhin war sie schon 88, aber sie nervte gewaltig. Keine Ahnung, wieso die SPD auf so etwas kommt, Pur und Scorpions könnte man ja noch verstehen, selbe Alterskohorte, aber na ja, sie werden das schon wissen.

Dann endlich war es soweit. Der Kanzler. Nein, noch nicht ganz, zuerst musste er von Olaf Scholz, SPD-Kandidat in Altona, vormals Hamburger Innensenator, angeteasert werden. Olaf Scholz also erinnerte erst mal an Helmut Schmidt, 1962, große Flut, empörte sich dann über dessen und seinen Nachfolger Roland Schill und dessen unmöglichen Bundestagsauftritt, und zwar, Originalton, weil Schill sich "nicht an die Leitungsanweisungen" von Anke Fuchs gehalten hat, und Anke Fuchs wäre ja die Tochter des ehemaligen Hamburger SPD-Bürgermeisters Nevermann, und deswegen sei der Schill-Auftritt noch abscheulicher gewesen, und dann sagte Scholz, dass auch der Inhalt von Herrn Schills Ausführungen skandalös gewesen wäre. Aha, wer hätte das gedacht.

Dann endlich doch noch, meine Damen und Herren, der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland Gerhard Schröder, kam von hinten links auf die Bühne, legte sein Jackett ab, machte die Siegerpose, einmal, zweimal, dreimal, damit alle es auf den Film bekamen, und dann legte er los. 45 Minuten, wie soll man sagen, ein buntes Potpourri von SPD-Positionen, Hochwasser, keine Neuverschuldung, Arbeitslosigkeit (keine Erwähnung der Hartz-Kommission), Treibhausgase, Bildung, auch die Unternehmer in der Pflicht, unangenehme Begleiterscheinungen, die da aus Amerika herüberschwappen, keine Beteiligung an einem Krieg gegen Irak (der größte Applaus an diesem Nachmittag), ein paar Hiebe gegen die Springerpresse, und eine halbe Minute über die Toleranz, die die SPD bewiesen hätte mit der Anerkennung von äh Lebensverhältnissen von Leuten, die sich nicht so lieben, wie das für die meisten von uns üblich ist. 45 Minuten, das war´s dann, ganz passabel vorgetragen, eine Rede war das allerdings nicht, eher eine Aneinanderreihung von Losungen, aber war schon okay.

Heidi Kabel sang noch zum Abschied "In Hamburg sagt man tschüss".