Mein Problem bestand darin, Leute zu finden, die bereit waren, statt der gewohnten 12,7 Tonnen nun 47 Tonnen Eisenbarren pro Tag zu verladen. Diese beträchtliche Produktionssteigerung war nur möglich dank einer Einsparung von Bewegungen, dank eines gut ausgeklügelten Wechsel-Rhythmus von Ruhezeiten und Arbeitszeiten sowie dank einer Intensivierung der Arbeit (Abschaffung der "Bummelei").

Unser erster Schritt war also, den rechten Mann zu finden, mit dem man anfangen konnte. Wir beobachteten deshalb die fraglichen 75 Mann sorgfältig etwa drei oder vier Tage lang. Schließlich waren wir auf vier Leute aufmerksam geworden, die körperlich geeignet erschienen, täglich 47 Tonnen Roheisen zu verladen. Jeder einzelne von diesen Leuten wurde dann zum Gegenstand eines sorgfältigen Studiums gemacht. Wir gingen ihrem Vorleben nach, soweit dies praktisch durchführbar war, eingehende Untersuchungen wurden angestellt bezüglich ihres Charakters, ihrer Gewohnheiten und ihres Ehrgeizes. Schließlich suchten wir einen unter den Vieren aus als denjenigen, mit dem man am besten beginnen konnte. Er war ein untersetzter Pennsylvanier deutscher Abstammung, ein sogenannter "Pennsylvania Dutchman". Unserer Beobachtung nach legte er nach Feierabend seinen ungefähr halbstündigen Heimweg ebenso frisch zurück wie morgens seinen Tag zur Arbeit. Bei einem Lohn von 1,15 Dollar pro Tag war es ihm gelungen, ein kleines Stück Grund und Boden zu erwerben. Morgens, bevor er zur Arbeit ging, und abends nach seiner Heimkehr arbeitete er daran, die Mauern für sein Wohnhäuschen darauzf aufzubauen. Er galt als außerordentlich sparsam. Man sagte ihm nach, er messe dem Dollar einen ungewöhnlich hohen Wert bei; wie einer der Leute, mit denen wir über ihn sprachen, sagte, hatte "ein Pfennig für ihn eine Bedeutung bei, als ob er so gross wie ein Wagenrad wäre".

Diesen Mann wollen wir Schmidt nennen.

Unsere Aufgabe bestand nunmehr darin, Schmidt dazu zu bringen, 47t Roheisen pro Tag zu verladen, seine Lebensfreude jedoch nicht zu stören, ihn im Gegenteil froh und glücklich darüber zu machen. Dies geschah in folgender Weise. Schmidt wurde unter den andern Eisenverladern herausgerufen und etwa folgende Unterhaltung mit ihm geführt:

  • Schmidt, sind Sie eine erste Kraft?

  • Well, - ich verstehe Sie nicht.

  • O ja, Sie verstehen mich ganz gut. Ich möchte wissen, ob Sie eine erste Kraft sind oder nicht?

  • Ich kann Sie nicht verstehen.

  • Heraus mit der Sprache! Ich möchte wissen, ob Sie eine erste Kraft sind oder einer, der den übrigen billigen Arbeitern gleicht. Ich möchte wissen, ob Sie Doll. 1.85 pro Tag verdienen wollen, oder ob Sie mit Doll.1.15 zufrieden sind, d.h. mit dem, was diese billigen Leute da bekommen.

  • 1.85 Doll. pro Tag verdienen wollen, heisst man das eine erste Kraft? Well, dann bin ich so einer.‘

  • Sie machen mich ärgerlich. Freilich wollen Sie 1.85 Doll. pro Tag verdienen, das will jeder. Sie wissen recht gut, dass das sehr wenig damit zu tun hat, ob Sie eine erste Kraft sind. Antworten Sie endlich auf meine Fragen und stehlen Sie mir nicht meine Zeit! Kommen Sie hierher, sehen Sie diesen Haufen Roheisen?

  • Ja.

  • Sehen Sie diesen Wagen?

  • Ja.

  • Wenn Sie eine erste Kraft sind, dann laden Sie dieses Roheisen morgen für Doll.1.85 in den Wagen! Nun wachen Sie auf und antworten Sie auf meine Fragen! Sagen Sie mir, sind Sie eine erste Kraft oder nicht?

  • Well, bekomme ich Doll.1.85, wenn ich diesen Haufen Roheisen morgen auf den Wagen lade?

  • Ja, natürlich, und tagtäglich, jahrein, jahraus, bekommen Sie Doll.1.85 für jeden solche Haufen, den Sie verladen; das ist, was eine erste Kraft tut.

  • Well, dot’s all right. Ich kann also dieses Roheisen morgen für Doll.1.85 auf den Wagen laden und bekomme das jeden Tag, ja?

  • Gewiss, gewiss.

  • Well, dann bin ich eine erste Kraft.

  • Nur langsam, guter Freund! Sie wissen so gut wie ich, dass eine erste Kraft vom Morgen bis zum Abend genau das tun muss, was ihr aufgetragen wird. Sie haben diesen Mann schon vorher gesehen, nicht?

  • Nein, nie.

  • Wenn Sie nun eine erste Kraft sind, dann werden Sie morgen genau das tun, was dieser Mann zu Ihnen sagt, und zwar von morgens bis abends. Wenn er sagt, Sie sollen einen Roheisenbarren aufheben und damit weitergehen, dann heben Sie ihn auf und gehen damit weiter! Wenn er sagt, Sie sollen sich niedersetzen und ausruhen, dann setzen Sie sich hin! Das tun Sie ordentlich den ganzen Tag über. Und was noch dazu kommt, keine Widerrede! Eine erste Kraft ist ein Arbeiter, der genau tut, was ihm gesagt wird, und nicht widerspricht. Verstehen Sie mich? Wenn dieser Mann zu Ihnen sagt: Gehen Sie!, dann gehen Sie, und wenn er sagt: Setzen Sie sich nieder, dann setzen Sie sich nieder und widersprechen ihm nicht.

Das scheint wohl eine etwas rauhe Art, mit jemandem zu sprechen, und das würde es auch tatsächlich sein einem gebildeten Mechaniker oder auch nur einem intelligenten Arbeiter gegenüber. Jedoch bei einem Mann von der geistigen Unbeholfenheit unseres Freundes ist es vollständig angebracht und durchaus nicht unfreundlich, besonders, da es seinen Zweck erreichte, sein Augenmerk auf die hohen Löhne zu lenken, die ihm in die Augen stachen, und ihn ablenkten von dem, was er wahrscheinlich als unmöglich harte Arbeit bezeichnet hätte, wenn er darauf aufmerksam gemacht worden wäre.

Schmidt begann zu arbeiten, und in regelmässigen Abständen wurde ihm von dem Mann, der bei ihm als Lehrer stand, gesagt: "Jetzt heben Sie einen Barren auf und gehen Sie damit! Jetzt setzen Sie sich hin und ruhen sich aus! etc." Er arbeitete, wenn ihm befohlen wurde zu arbeiten, und ruhte sich aus, wenn ihm befohlen wurde, sich auszuruhen, und um 17.30 Uhr hatte er 47 1/2t auf den Wagen verladen.

Die drei Jahre hindurch, die ich in Betlehem war, arbeite er stets in diesem Tempo und leistete das verlangte Tempo tadellos. Er verdiente diese ganze Zeit hindurch etwas mehr als 1,85 Doll. durchschnittlich, während er vorher nie mehr als 1,15 Doll. täglich verdient hatte, was damals in Betlehem der normale Taglohn war. Er erhielt also 60 % mehr Lohn als die anderen Arbeiter, die nicht unter dem Pensumsystem arbeiteten. Ein Mann nach dem anderen wurde ausgelesen und angelernt, 47 1/2 t Roheisen pro Tag zu verladen, bis alles Roheisen auf diese Weise verladen war.

Ich habe nun hiermit eine kurze Beschreibung der drei von vier Elementen gegeben, welche das Wesentliche des neuen Systems ausmachten. Erstens die sorgfältige Auslese der Arbeiter, zweitens und drittens die Methode, einmal den Arbeiter zur Arbeit nach der neuen Methode anzuleiten, ihn dann dazu heranzuziehen und ihm dabei behilflich zu sein. Aber noch ist nichts von einer Wissenschaft des Roheisenverladens gesagt worden. Trotzdem hoffe ich, daß, noch bevor wir dieses Beispiel ganz verlassen, die Leser völlig überzeugt sein werden, daß es eine wirkliche Wissenschaft des Roheisenverladens tatsächlich gibt, und daß bei ihrer Kompliziertheit der praktische Roheisenverlader ohne Hilfe seiner Vorgesetzten unmöglich nach ihren Gesetzen arbeiten, geschweige denn diese verstehen kann.

[Frederick Winslow Taylor, Grundsätze der Wissenschaftlichen Betriebsführung]






Ah, ja. Der gute Taylor. Eines meiner Darlings des Kapitalismus. Überflüssig zu erwähnen, dass seine Methoden auch in der Sowjetunion ausserordentlich geschätzt wurden. Denn es war ja alles Wissenschaft. Heute würde man natürlich nicht mehr so tumb argumentieren. Heute sagt man: "Gib' den Betriebsrat und die Gewerkschaft auf und Du kriegst Aktienoptionen"... "Schmeiss' den Sozialstaat weg, und alles wird plötzlich besser!" (siehe die aktuelle Ausgabe des "Economist").

Literatur: Kanigel, Robert: The One Best Way - Frederick Winslow Taylor and the Enigma of Efficiency.

Verglichen damit ist das Mittelalter gar nicht so schlecht. Gut 100 Feiertage pro Jahr, garantiert durch Mutter Kirche... Zehn Prozent Steuern...

Man könnte aber auch sagen, dass es zugekniffene Arschlöcher wie Taylor waren, die der "westlichen Welt" jene Dominanz verschafft haben, die sie heute hat. Die Produktivkräfte besser ausgenutzt.


Sie wissen

das natürlich, aber man kann es nicht oft genug sagen und schreiben: es hat sich nichts geändert. Ein 'schrecklich' guter Beitrag, wenn ich mir die Anmerkung erlauben darf.


Auch aus dem Archiv:

Das fiel mir dazu ein, ein paar Sätze meines Lieblings-Liberalen:

„Ein spezifisch bürgerliches Berufsethos war entstanden. Mit dem Bewußtsein, in Gottes voller Gnade zu stehen und von ihm sichtbar gesegnet zu werden, vermochte der bürgerliche Unternehmer (...) seinen Erwerbsinteressen zu folgen und sollte dies tun. Die Macht der religiösen Askese stellte ihm überdies nüchterne, gewissenhafte, ungemein arbeitsfähige und an der Arbeit als gottgewolltem Lebenszweck klebende Arbeiter zur Verfügung. Sie gab ihm dazu die beruhigende Versicherung, daß die ungleiche Verteilung der Güter dieser Welt ganz spezielles Werk von Gottes Vorsehung sei, der mit diesen Unterschieden ebenso wie mit der nur partikulären Gnade seine geheime, uns unbekannten Ziele verfolge. Schon Calvin hatte den oft zitierten Ausspruch getan, daß nur, wenn das „Volk“, d.h. die Masse der Arbeiter und Handwerker, arm erhalten werde, es Gott gehorsam bleibe. Die Niederländer (..) hatten dies dahin „säkularisiert“: daß die Masse der Menschen nur arbeite, wenn die Not sie dazu treibe, und diese Formulierung eines Leitmotivs kapitalistischer Wirtschaft mündete dann weiterhin in den Strom der Theorie von der „Produktivität“ niederer Löhne.“

Max Weber: Protestantismus und kapitalistischer Geist