Rund um den Platz Vendôme stehen die in Paris häufigen dreiarmigen Laternen. Ein Fußgänger kam auf den Platz. Es dämmerte schon. Er hielt an und wollte auf einmal die Lichter angehen sehen. Ungeduldig umkreiste er den Platz in der einen, dann in der anderen Richtung, und sein Herz fing an an zu klopfen wie bei einem Abenteuer. Er hatte Angst, den Moment zu verpassen, zu blinzeln zum Beispiel, oder unwillkürlich in die Juweliergeschäfte zu schauen, wo auf Samthockern tief im Raum die Verkäufer saßen. Allmählich schlugen die Laternen in Zeichen um, und hinter ihrem blankgeputzten Glas trieben die stürmischen Wolken des Dämmerungshimmels von den eben Gestorbenen zu den nächsten Sterbenden. Die Erdoberfläche sank mit dem Himmel unter den Lebensspiegel. Endlich, während er in Panik weiter um den Platz herumging, flammten ringsum die Lichter auf. Sie wurden sofort ganz hell, in einem Augenblick der starken Freude, wo der grabüberspannende Himmel dem Fußgänger die ewige Untröstlichkeit zugleich als Asyl gab. Zu Boden blickend, fühlte er sich bei dem schmutzigen Gehsteig jetzt heimisch.

Er konnte weitergehen, endlich wieder geradeaus, nicht friedlich, aber in einer Heiterkeit, die auch wehtat. Der Himmel wurde blau, und der Abendstern erschien. Dieser kleine Stadthimmel erinnerte an nichts Bestimmtes mehr, wie es auch auf der windigen Brücke vom Fluß herauf nach nichts Bestimmtem roch. Nur, daß er den Entgegenkommenden oft auf die falsche Seite auswich, war übriggeblieben von der Gewißheit, gerade noch gelebt zu haben: eine erstorbene Empfindung, die kalt durch sein Bewegungszentrum irrte.

Der Fußgänger folgte einer Verabredung und ließ sich betäuben von der auf ihn eindringenden Leibeigenen-Sprache, das Gesicht beim Zuhören noch nicht gelöst vom Krampf des Alleinseins. Aber später in der Nacht fing es plötzlich zu hageln an. Sehr helle Hagelkörner blitzten aus der Dunkelheit über der Straßenbeleuchtung und fielen schräg auf die trockenen, noch tagwarmen Gehsteige; schlitterten ein bißchen weiter und schmolzen, indem sie liegenblieben, sofort weg - ausgelöscht in dem gleichen starken Augenblick der Freude, in dem Stunden vorher die Laternen auf dem Platz Vendôme aufgeflammt waren.






Handke

Hallo Herr Praschl,

hatte noch nie was von Handke gelesen. Woraus stammt der Text?

Mir wird da zu dick aufgetragen: poetisches Pathos vor allem im ersten Absatz, Allwettersymbolik auch nicht sehr originell.

Und es wird alles und alles gesagt. Ich möchte mir als Leser noch meine eigenen Gedanken über die Befindlichkeit einer Figur machen dürfen. Bei diesem Autor und seiner Allwissenheit habe ich das Gefühl, völlig ausgegrenzt zu werden.

Grüße UH


werteR UH. "Die Laternen auf der Place Vendôme" wurde 1976 für die "Manuskripte" geschrieben und in "Das Ende des Flanierens" wieder abgedruckt. Dass Ihnen da zu dick aufgetragen ist, mag schon sein, ich kann Ihnen da auch nicht helfen, Literatur ist bloß nicht dafür da, Ihnen - oder wem auch immer - einen Anlass dafür zu bieten, kundzutun, was Ihnen so behagt oder nicht, dafür sind Talkshows gut oder was weiß ich denn. Und möglicherweise ist es ja nicht wichtig, ob Sie sich - oder wer auch immer - von einem Text völlig ausgegrenzt fühlen, und, ich weiß ja nicht, es muss ja nicht darum gehen, dass Sie sich - oder wer auch immer - eigene Gedanken machen, dazu bräuchten Sie doch keine Literatur, nicht wahr, sondern nur Gedanken. Dann machen Sie sich doch welche. Wollte ich nur zu bedenken geben.


hahaha.

sage ich jetzt mal schön voyeuristisch und amüsiert.


diese kritik an handke

hab ich schon öfter gehört, aber noch nie so eine sinnliche & erschöpfende antwort darauf. trüge ich einen hut, ich würde ihn jetzt ziehen.


@praschl: auch auf die

gefahr hin, dass du jetzt bei mir alle deine abos löschst - ich find den text erbarmungswürdig. würde ich, hätte ichs gekauft, ebenso in die mülltonne werfen wie den band von hubert fichte, den ich damals in der schultombola gewonnen habe. nebenbei: das zweite buch (von insgesamt 2) das ich jemals weggeschmissen habe, war von oswald wiener/evo präkogler: nicht schon wieder... hat schön gescheppert im mistkübel :)


@dm42

schon okay, stört mich nicht, wieso sollte ich deswegen abos löschen wollen? für das wegschmeissen wirst Du ja andere gründe gehabt haben, als Dich ausgegrenzt gefühlt zu haben und dem irrtum erlegen zu sein, ein text wäre dazu da, Dir Deine eigenen gedanken zu machen. verdammnis und mülltonne dagegen: immer gut. obwohl: herr fichte käme bei mir auch nicht rein.


ja, ich ziehe auch meinen nicht vorhandenen hut. weil es mich angeregt hat, nochmal meine haltung zu herrn handkes ergüssen zu überdenken. aber ich bin jung und ich habe zeit zu lesen. und wenn ich jetzt in die kategorie "geraunze" falle, is es auch gut. was sind sie aber geduldig, herr praschl. dem jungen mann das zu erklären.


"ergüsse" ist auch kein wort, gnädigste. nicht dafür, jedenfalls. ohnehin fällt mir bis auf finnegans wake keine literatur ein, auf die DAS zuträfe, dort aber: eine jahrhundertflut....


o.k.: "ergüsse" klingt nach geheimen pubertären jugendträumen. schwierig verwendbares wort? reifeprüfungen und so...aber "finnegans wake" ist superheftig. hätt gern mehr davon.


"ergüsse"

finde ich gar nicht so schlecht; jedenfalls fand ich es immer recht erotisch, handke zu lesen. so lange ich ihn lesen konnte, also: seit seinen serbischen abenteuern kann ich das nicht mehr. aber das ist bestimmt mein problem, und nicht handkes problem.


der kleine hauptbahnhof

oder lob des strichs. hubert fichtes empfindlichkeit ist nie ausgelesen, finde ich.


Wohlan

so darbe sie denn weiterhin ungelesen, die Elite der grande nation.

Der Prolet.