… irgendwo war Musik nur Hintergrund, der lautstarke Vorwand, sich zu versammeln. Denn was da angereist kam, per Auto und Bahn, per Tramp und auf schweren Maschinen, hatte den Woodstockmythos im Gepäck und die "Easy Rider"-Attitude im Gehabe. Ein Fest wolle man feiern, sagte mir einer, da müsse man dabeigewesen sein, nur so lohne es sich zu leben. Aber in Schlafsack und Parka verwirklichte sich dann doch ein Wochenende lang nur Freizeitgestaltung. Es waren eben die Kinder ihrer Eltern, die in der brütenden Sonne herumsaßen, exakt auf Tuchfühlung ihr Sitzterritorium verteidigend, wie unter anderen optischen Bedingungen es auf westeuropäischen Campingplätzen üblich ist, wo meist der gewinnt, der auf dem schönsten Siedlungsgrund besteht. Dazu gut essen und trinken, Sonne und ein bißchen Musikkonsum. Ein wenig Protest, die scheiß Alten sollen uns in Ruhe lassen, aber dann doch wieder, wir gehen auf unser Fest, und die sollen auf ihren Fußballplatz gehen: Was ist das anderes als die Kehrseite der nämlichen Medaille? Kein neues Zusammenleben, keine neuen Horizonte, nur ein neuer Markt mit den alten Kategorien. Man hätte sich in Speyer nur einmal vorstellen müssen, es hätte kein Cola gegeben. Was wäre dann wohl passiert? Aber die Gruppen spielten, vergaßen nicht anzusagen, von welcher LP das stammt, damit man es kaufen kann. Es war erstaunlich unpolitisch, erstaunlich deshalb, weil die Szene sich doch so politisch geriert. Zurück zum einfachen Leben, weg von der Konsumscheiße, wir bauen das Morgen. Nun ja, irgendwo kauen ein paar Makrobiotiker ihre Körner, lallten einige Amerikaner, dem neuen Trend auf der Spur, von Jesus, und im hohen Dom zu Speyer sollen am Sonntagmorgen auch welche gewesen sein. Doch ansonsten konnte die Pfalz ihre Freude haben, von Revolution war nicht die Rede, nicht einmal von Rebellion, und Dietmar Schönherr trägt ja nun auch lange Haare.
Helmut Salzinger, Rock Power, Fischer TB, 1972. File under: Partybeschreibungstexte





ebenda, s. 20 (vielleicht 2,5 meter von hier):

Theodor W. Adorno, der schon mit dem Jazz nicht klargekommen war, hat auch mit der Pop-Musik nichts anfangen können.


Ein stolzer Mensch verlangt von sich das Außerordentliche. Ein hochmütiger Mensch schreibt es sich zu.

Marie von Ebner-Eschenbach


Helmut Salzinger. Nicht um's ihm heimzuzahlen, nicht um mit einem dreißig Jahre alten Text zu diskutieren, aber mit seiner Zeitschrift "Falk - Loose Blätter für alles" ging er dann später teilweise in eine Richtung wie die körnerkauenden Makrobiotiker. Das ist vielleicht unfair, er ging in viele Richtungen mit dem Projekt, aber die Entpolitisierung, die er hier dem Rock vorwirft, wurde bei ihm überall manifest. Natürlich doch editorische Großtaten aus dem Nichts heraus, zum Beispiel sein Heft (scrolling needed) über Rainer Maria Gerhard. Der interessierte mich natürlich wg. seiner Haltung zu Benn usw. Salzingers Benjamin-Buch nie fertig gelesen, zweimal mit ihm telefoniert. Im Kontakt immer das Gefühl, zu spät für ihn gekommen zu sein.


ich weiß, ich habe zwei bücher von ihm aus seiner garten-zeit. die mag ich sehr, prosa, als ob seine tobsucht verschwunden wäre (vermutlich hat er sie sich weggekifft). mich interessieren diese werkbiografien, in deren verlauf ein umschlag geschehen ist, eine grundierung mit einem mal verschwunden ist. dieses seltsame ankommen beim naturschönen, handke ist ja hin und wieder auch so. ich frage mich dann immer, ob ein werk anders geworden ist, weil sein autor anders geworden ist; oder ob das werk verlangt hat, dass der autor anders lebt ("das muss ich mir jetzt ansehen, mein buch, meine texte verlangen von mir, das ich nur noch über gräser schreibe…")


Ich vermute, er musste da irgendwie einen Weg finden, weil er 68 ernster und auf eine andere Art ernst genommen hat als andere. Politiker, linker Verleger oder Hans Magnus Enzensberger werden war keine Option, und es sagt eine ganze Menge über die Lage, dass dann schon nicht mehr viel übrig blieb. Da war wohl ein Niemandsland, da war ein Garten.


von gerhardt hatte ich bis gerade eben nie etwas gehört. vielen dank dafür.


esoteric turn

ja auch bei teilen der pardon-crew damals. mit transzendentaler meditation und dem schwebenden chefredakteur


@praschl: Gerhardt, man wünscht sich sehr, die Umstände und er selbst hätten ihm gestattet, ein wenig länger zu leben, der war auf dem Sprung.