Gut, sagt sie, als ich sie anrufe, um zu fragen, wie es ihr geht, wie jeden Tag seit letzten Mittwoch. Heute gut, sagt sie. Obwohl, sagt sie, ich heute vor einer Woche die Nachricht bekommen habe. Die beiden Polizisten, die sich vorsichtig herantasteten an den Job, den sie hinter sich zu bringen hatten. Ob sie sich nicht setzen wolle? Ob sie die Tochter nicht hinausschicken wolle? Nein? Sie hätten etwas Schlimmes mitzuteilen, ob sie nicht die Tür zumachen wolle. Ja, dachte ich, als sie es mir erzählte, so ungefähr würde man das auch angehen, erst einmal verzögern, erst einmal schauen, welche Reaktionen man bekäme, vielleicht darauf hoffen, dass der andere von selbst erriete, weswegen man gekommen ist. Die Nicht-Aussprech-Magie. Nur noch nicken müssen. Oder ja sagen. Sie haben es dann aber doch selbst sagen müssen, man will das von jemandem ausgesprochen hören, sonst ist es nicht wahr, nur eine Vermutung. Theorie der Sprechakte, Abteilung: wie man jemandem mitteilt, dass jemand gestorben ist. Wie sie dann zusammengeklappt ist, schon sitzend. Wie die Tochter dann zusammengeklappt ist, noch stehend. Wie die beiden Polizisten dann wieder gingen. Nicht ohne zu warten, ob sie gehen könnten, nicht ohne zu fragen, ob sie gehen könnten. Nicht, ohne zu sagen, sie würden sich noch einmal melden, in einer halben Stunde, und hier, diese Telefonnummer könnte sie anrufen, dort sei jemand, der ihr helfen könnte. Wie in der Zeit, als die Polizisten ihr sagten, was ein paar Stunden zuvor geschehen war, die beiden anderen Kinder bei mir anriefen, um herauszufinden, ob mit mir etwas geschehen wäre (denn weswegen wären die Polizisten sonst gekommen?). Wie sie gleich wieder auflegten, als sie meine Stimme hörten, ins Rauschen nachfragend, hallo? hallo? ich kann Sie nicht verstehen. Wie sie beruhigt waren, er lebt, es ist ihm nichts passiert, um zehn Minuten danach zu erfahren, wer an meiner Stelle gestorben war. Aber das habe ich erst vier Tage später erfahren. Wie sie mich, nachdem die beiden Polizisten wieder gegangen waren und nachdem sie den Kindern gesagt hatte, was geschehen und wer gestorben war, wie sie mich anrief, um mir zu sagen, was geschehen und wer gestorben war, ein paar Stunden zuvor. Dass die Polizisten gesagt hätten, dass sie gleich tot gewesen wäre, noch am Unfallort, aber auch nichts Genaueres wussten, nur das Allerdürftigste. Ein Lastwagen, im Rückwärtsgang, und sie dass offensichtlich nicht oder zu spät, keine Chance mehr, dem auszuweichen. Dass sie, sagte sie, sie doch erst zu Weihnachten, und du doch auch, sagte sie, und jetzt nicht mehr, mit 58. Dass ich nicht kommen müsse, jedenfalls jetzt nicht, aber ob sie mich anrufen dürfe, falls. Ja sicher, wann immer. In den Tagen danach die Benachrichtigungkette, die immer wieder zu ihr zurückkam. Ob das stimme, ob sie etwas Genaueres wüsste, was die Polizei, was dieser und jener gesagt hätte, ob der Lastwagenfahrer, ob die Leiche schon freigegeben. Die Vermieterin, die am Telefon zu heulen begann, die Vermieterin, die anderntags erzählte, dass die Türken im Haus bei der Nachricht zu schreien begonnen hätten, der Bankbeamte, der am Telefon zu heulen begann, die Freundin, die erzählte, dass sie ihr zwei, drei Tage vor ihrem Tod erzählt hätte, wie sie sich gerade selbst von einer anderen Frau verabschiedet hätte, 40, Krebs, Hospiz, wir werden uns nicht mehr sehen, und wie sehr sie das mitgenommen hätte, und nun ist sie es gewesen, die sich hätte verabschieden müssen. Der Lastwagenfahrer, der sie totgefahren hatte, nicht gesehen, gleich tot, nicht gelitten. Die Polizei, die sagte, dass die Leiche jetzt freigegeben wäre. Die Leiterin des Altenheimes, in dem sie arbeitete, dass die alten Leute wie betäubt wären, und sie wäre doch noch am Vormittag. Der Exmann, der bloß wissen wollte, wo denn dieses und jenes abgeblieben, die Tante, die aus irgendeinem Grund jedes Mal andere Geschichten erzählte, die sich jedes Mal als frei erfunden herausstellten. Dazwischen ich, was ich denn davon hielte, ob das nicht seltsam, ich sie wieder mit meinem Beruhigungs-Modus zu beruhigen versuchend, wie früher, als wir noch zusammen lebten, der einzige, der sie fragte, wie es ihr selbst ginge, ob sie das schaffen würde. Ja, sagte sie, nur vorher, als der Bestattungsunternehmer sagte, er hätte ihr jetzt die Ringe und die Kette abgenommen und würde sie ihr dann aushändigen, wenn sie einträfe, das, sagte sie, hat mir kurz wieder den Boden.