Wie schnell mittlerweile die Distinktionsgewinne von oben nach unten durchgereicht werden. Lebensmittel zum Beispiel: Diese Asia Food-Abteilungen mittlerweile in jedem halbwegs sortierten Supermarkt. Nicht mehr nur dieses Kattus-Sortiment, nicht mehr nur die Kikkoman-Sojasaucen, sondern durchaus das wirkliche Zeug. Pad Thai Nudeln mit Thai-Schriftzeichen, Malyasian Laksas, Singapore Laksas, ja genau, sogar die Feinverästelungen bekommen sie auch schon hin. Kattus macht dafür jetzt Tapas, und zwar gleich zehn verschiedene auf einmal. Neue Tiefkühl-Linien überall. Bei Mercado neulich Mr. Vegetarian, ein Tofu-Erdnuss-Curry. Und die Wraps, die vor drei Jahren noch das Neue Heiße Ding im New York Magazine und in der Australian Vogue Entertaining waren, sind in Deutschland neuerdings TK-Ware - völlig bescheuert zwar, das als Tiefkühlfutter anzubieten, aber ein Zeichen dafür, dass es jetzt bei den Massen angekommen ist. Unfassbar, das Tempo, das target marketing in Deutschland angenommen hat. Und irgendwie sehr erleichternd: Je schneller all das Zeug von den In-Leuten zu allen Leuten runtersinkt, desto hohler wird natürlich die Idee von Coolness, Hipness, Trendyness insgesamt. Hoffe ich jedenfalls.

Andererseits: all diese Bauruinen, die bei diesen trend wars anfallen; letzte Woche saß ich in einem dieser neuen schicken Hamburger waterfront restaurants, die London spielen, noch nicht mal ein dreiviertel Jahr alt, und schon fand einer der Menschen, die da auch saßen und erst die Hälfte begriffen hatten (sein Loblied des grünen Thai Currys jedenfalls bewies profunde Unkenntnis), wieder etwas zu mäkeln; ja also, ich weiß nicht, mir geht dieser sachliche Stil schon wieder auf die Nerven, ist mir viel zu Wallpaper...






Siehst Du auch die Anti-Wallpaper-Welle heranrollen? Zu den Supermärkten: War neulich in einem niederbayerischen Gross-Edeka auf dem Land... Sehr auf dem Land... Und es gab mindestens einen Regalmeter original russischer Nahrungsmittel. Vor 10 Jahren tat man sich in derselben Stadt schon schwer, etwas Banales wie Sojasosse zu erstehen.


gibts bei jedem edeka jetzt,

die erschliessen neue kaeufer schichten. herr koerser kaufte tartarski-ketchup, aber es war etwas lahm. ich will, das waitrose hier filialen hat!!


mein problem ist ja, dass ich das, was in wallpaper ist, meistens sehr mag und auch immer schon mochte, lange ehe es wallpaper gab: rationale architektur, rationale möbel, sachlichkeit, mid century modernism, skandinavisches. oscar niemeyer gebäude, corbu und so zeug. deswegen war ich über wallpaper sehr erleichtert, als es anfing, man tat sich vorher ja recht schwer damit, einigermaßen bequem darüber lesen zu können. als angeber-haltung ist die wallpaper attitude natürlich uninteressant und unangenehm, wie alle angeber-haltungen, aber vermutlich hätte man das anders gar nicht auf den markt bringen können. na ja. das nächste big thing, was interieurs betrifft, scheint boudoir chic zu werden, schwüles 18. jahrhundert, ein wenig so wie auf den covern der hotel costes-compilations. nicht schlecht, aber halt nicht mein ding.

russische nahrungsmittel? sehr interessant. gibt es hier in den supermarchés leider noch nicht. vielleicht wird´s ja noch.


Geht mir ähnlich

Ich mag die klare Linie in Architektur und Design. Gerade deshalb hat mich Wallpaper immer genervt, weil da was verpackt und verhipt wurde, was eigentlich meins ist... Ich kann mit alten Dingen nichts anfangen. Diese Rüschen und dieses neobarocke Zeug sind meine Gegner. Frauen sehen damit aus wie ihre eigenen Grossmütter... Furchtbar. Auf den Pseudomodernismus von Wallpaper kriegen wir jetzt den Romantizismus umso heftiger um die Ohren gehauen.


Macht Vorfreude,

dass sich die Trends selbst zerlegt haben, indem es zu viele gibt, um den eher Opportunen einen Hipness Grundkonsens zu liefern.

Nachdem die Vergangenheit da war, die Welt da ist und nicht mal mehr Tom Ford sagt wie es weitergeht, bin ich positiv gespannt wie eben diese Menschen in Zukunft damit umgehen. Ist jetzt nicht so herablassend gemeint wie es klingt.


meine hoffnung ist ja: dass man die schönheit der dinge selbst sehen (und im fall des essens: schmecken) kann, wenn die propaganda nicht mehr funktioniert... die dinge können ja nichts dafür, dass sie marktschreiern in die hände gefallen sind. von tom ford erwarte ich mir viel.


Konnte man

ja immer. Natuerlich hat jeder das Recht opportun zu sein, aber es waere schoen wenn mehr Menschen die Dinge selbst und weniger den Kontext sehen, da es dann mehr Kreative (und Authentische), somit mehr Ideen und Dinge geben wuerde. Leider dauert es laenger und ist schwieriger, diese Identität nach aussen zu vermitteln, deshalb ist diese Hoffnung bei mir auch mit einer grossen Portion Skepsis vermischt. Ich auch, der Karzai Gedanke war gut.


the face

hatte mal vor ein paar wochen eine kolumne zum thema. boring is the new hip, oder so. die fuehrten allerdings haarschnitte (the fin, schnaeuzer) und klamotten (80ies revival) als bsp. an.


boring is the new hip gefällt mir als kampflosung außerordentlich gut. ich hab schon drüber nachgedacht, ob blockflötenmusik nicht was wäre, als geste. war mir dann aber doch zu spooky. die 80er sind eine andere sache. die habe ich schon im first run inbrünstig verachtet und nur überlebt, indem ich mir lauter pre-80s-musik gekauft habe, die heroischen phasen von george clinton und james brown und so zeug. hat übrigens jemand das DAF-konzert in berlin gesehen (die gehörten zu den wenigen, die ich damals sehr mochte...)?


nur um der geste willen?

nee, einfach nur ganz normal sein, vor allem ja nicht "flippig". aber trotzdem bescheid wissen.


Was ist normal? Ich mag Fashion Victims. Bewegung im optischen Signalsystem. Stil besteht eh aus subtilen Modifikationen des Geschmacks.


normal?

das waere heute wahrscheinlich coupé-leser und loveparade-tänzer. ich meinte eher sowas, was vor 10 jahren langweilig war, z.b. boy next door (sowas wie damon albarn), geografielehrer oder der klischee-computergeek von damals.


Hm

Ich bin extrem langweilig. Aber dass man dem Langweiligen so einen Twist in Richtung Hipness geben könnte, wage ich zu bezweifeln. Damon Albarn war ja auch nicht richtig langweilig. Man kann halt Kleidung und zurückhaltenden persönlichen Stil dazu verwenden, die eigene Persönlichkeit zu grundieren, anstatt sie mit aller Gewalt dadurch ausdrücken zu müssen. Das könnte in diesen Zeiten schon ein Trend sein. Aber das hat "Tempo" auch schon 1990 gepredigt. In einer fragmentierten Gesellschaft gibt es keine stilistischen Megatrends mehr.


schmeckt alles nicht...

Asia-Food aus dem Kattus-Regal kannste wegschmeissen. Das Billigzeug aus dem Asialaden ist hundertmal besser und außerdem noch geldbeutelkompatibler. Und wer Wraps fertig kauft dem ist auch alles andere zuzutrauen... :-)