Malte Lehming, Washington. Malte Lehming, Washington, hat im Tagesspiegel von heute einen kompletten Artikel von Warren St. John aus der New York Times vom 22.Juni abgeschrieben. Ähm. Er würde vermutlich sagen: paraphrasiert.

Warren St. John, New York Times:

By his own admission, 30-year-old Karru Martinson is not what you'd call a manly man. He uses a $40 face cream, wears Bruno Magli shoes and custom-tailored shirts. His hair is always just so, thanks to three brands of shampoo and the precise application of three hair grooming products: Textureline Smoothing Serum, got2b styling glue and Suave Rave hairspray. Mr. Martinson likes wine bars and enjoys shopping with his gal pals, who have come to trust his eye for color, his knack for seeing when a bag clashes with an outfit, and his understanding of why some women have 47 pairs of black shoes. ("Because they can!" he said.) He said his guy friends have long thought his consumer and grooming habits a little . . . different. But Mr. Martinson, who lives in Manhattan and works in finance, said he's not that different. "From a personal perspective there was never any doubt what my sexual orientation was," he said. "I'm straight as an arrow." usw.

Malte Lehming, Tagesspiegel:

Wie ein Macho sieht er nicht aus. Karru Martinson ist dreißig Jahre alt, benutzt teure Gesichtscreme und trägt Schuhe von Bruno Magli. Seine Hemden lässt er sich schneidern. Seine Haare sehen tiptop aus. Kein Wunder: Er wäscht sie mit drei verschiedenen Shampoos und pflegt sie mit Spezial-Kuren. Am Tag arbeitet Martinson als Anlageberater, in seiner Freizeit geht er gerne neue Kleidung kaufen, abends verabredet er sich in Wein-Bars. Wer ihn kennenlernt, denkt oft, Martinson sei schwul. Aber das stimmt nicht. "An meiner sexuellen Orientierung gab es nie einen Zweifel", sagt er, "ich stehe ausschließlich auf Frauen." Das ist frei übersetzt. Auf Amerikanisch heißt der Satz: "I'm straight as an arrow." usw.






syndication never ends.


das is der kummer in schuld. der hat borderline journalismus erfunden


hey, hey, bordereeein! hey, hey, borderline!!!


wie frech. aber ich dachte sowieso, dass die meisten auslandskorrespondenten immer aus den örtlichen zeitungen abschreiben.


weiß ich nicht, glaube ich nicht, ist jedenfalls mir nie untergekommen. manchmal ein paar zitate aus dem archiv, die eine oder andere schöne formulierung, das ist ja auch völlig okay. aber nicht ein ganzer artikel, absatz für absatz.


Wie sind Sie auf diese Doublette gestossen? Es scheint mir dumm, so bekannte Publikationen zu plagiieren. Die werden ja auch im "Heimatland" gelesen.


minuskel aus eigener anschauung, die keinen generalverdacht nahelegen soll: als ich im suedlichen afrika gelebt habe, kam mir beim vergleich der lokalpresse mit der einschlaegigen deutschen etliches 1:1 vor. auch fanden sich in den artikeln eines bestimmten zeit-feuilletonisten eine zeit lang markante nyreview-ismen wieder. aber das waere vielleicht noch unter "inspiration" zu verbuchen.


naja, eben nicht wortwörtlich abschreiben wie in diesem beispiel, aber schon zusammenschreiben, was in der presse vor ort steht und nur punktuell nachrecherchieren. habe ich mir so erzählen lassen aus dem arbeitsalltag. man kann im übrigen ja auch zitieren.


@hack.

ich lese fast jeden tag die back of the book-ressorts der nyt. vorgestern kam mir dieser artikel unter. feiner artikel, dachte ich, und druckte ihn für eine kollegin aus, die das im artikel beschriebene phänomen neulich im gespräch erwähnte. die kollegin liest den tagesspiegel.

@blue: punktuell nachrecherchieren zum beispiel ist schon ganz prima. geschichte vertiefen, weiterdrehen, inspirationen, alles okay. sogar zusammenschreiben geht in ordnung (digests sind ja gelegentlich sehr nützlich). bloß übersetzen und ein autorenstück drauszumachen, statt bei der freundlichen syndication der nyt anzurufen, und dadurch unter anderem den originalautor um seine 30 prozent bringen, ist weniger okay.


Aber warum macht der das? Das Risiko, dass sowas aufliegt, ist doch riesig. Jedenfalls, seit es Internetz gibt. Der Mensch riskiert doch seinen Job. Seeehr merkwürdig, echt.


@bov

Vielleicht schreibt er ja unter amerikanischem Pseudonym für die NYT, der gute Malte.


Haben Sie denn schonmal freundlich beim Autor oder beim Tagesspiegel angefragt, was man dazu zu sagen hat? Das würde ja dann doch interessieren...


heute vormittags email geschickt. mal sehen.


Bov: Da denke ich genauso. Leichtsinnig. Dabei ist es gar nicht so schwer, sich selbst was einfallen zu lassen.

Praschl: Danke für die Ausführungen. Von der NYT abkupfern... Da könnte er genauso versuchen, die Mona Lisa als eigene Kreation auszugeben.


Und warum erfindet man "Kriegsreportagen" in Afrika samt Teilen der eigenen Biographie - ohne "Roman" drüber/drunter zu schreiben? Wieso ist man so sicher, damit durchzukommen? Wirklich unbegreiflich. (Sich selbst was einfallen zu lassen, kann dann irgendwie auch ins Auge gehen ...)


Auch mal Leserbrief geschrieben. Gesetzt den Fall, Malte schreibt nicht unter Pseudonym, ist das wirklich schon eine große Frechheit.


Schön & gut & wahr

Wie wir uns doch alle einig sind, dass das alte Erzählerhandwerk leider flöten geht, und die gute alte Tante Recherche usw. Ganz richtig ist auch, dass ein Redakteur in Festanstellung es nicht nötig haben sollte, abzuschreiben. Oder sich auch nur die Recherche zu ersparen. Dass aber freie Journalisten, die abkupfern und erfinden, nun allesamt Bösewichter seien, die das auch einfach mal lassen könnten, wäre der falsche Schluss. Die passen sich den Bedingungen an, unter denen sie ihre Ware Arbeitskraft verkaufen müssen. Wenn die Kosten für die Recherche auf die selbständigen, künstlersozialversicherten, ihre Telefonrechnung selber bezahlenden Journalisten ausgelagert werden, muss das Honorar für Ausgleich sorgen. Wo das der Fall ist, sind die Google- und Kummer-Journalisten Schufte. Aber wo ist das der Fall? (Dass nun die Auftraggeber Schufte seien, würde ich übrigens auch nicht behaupten. Schufte sind nicht immer lokalisierbar.)


Master of the Puppets

Wie peinlich.

Also, ich würde sagen, dass ein Journalist Informationen von anderen ohne Quellenangabe klaut, ist leider üblich in vielen Medien, bei Journalisten auch bekannt, bei den Lesern vielleicht zu wenig. Aber geht vielleicht manchmal auch nicht anders.

Aber wenn man die Geschichte komplett abschreibt, dann gibt man ja das eigentliche Handwerk seines Berufes auf: Das "Spannendmachen", das Erzählen. Das würde ich nicht mal machen wenn es niemals jemand merken würde. Ich hätte immer den Ehrgeiz, die Geschichte besser oder anders zu formulieren, sie selber zu formen, eigene Schwerpunkte zu setzen, kurzum: Master of the Puppets zu sein.

Das ist also nicht mal nur ein Frage der Ethik, sondern des Selbstbildes. Der Typ fühlt sich nicht als Journalist, sondern als Content Producer.

Kummer war wenigstens noch Master of the Puppets. Und wie!

Achja, als ich in Google nach dem Kerl gesucht hab, präsentierte mir die kluge Maschine doch gleich diesen Textschnipsel, der mich erst richtig zum Schmunzeln brachte:

"Los Angeles Times journalist Robin Wright and Der Tagesspiegel correspondent Malte Lehming will lead a public symposium on "Ethics in the Media:"

Ging dann aber doch "nur" um Kriegberichterstattung...


Sehr schön :D Aber es ist doch wie in der Musik: Ein Sample nimmt dir niemand übel, ein Versatzstück in einem neuen Kontext - Gut. Aber eine 1 zu 1-Umsetzung. Nee. Raus.


Mittlerweile hat sich, ich vermute durchaus genüßlich, die taz der Sache angenommen.


scoop für pp. tät ich sagen.


Wie ihrerseits die taz da wohl draufgekommen sein mag?!?


??


Abschreiben übers Abschreiben sozusagen ;-)


Im FR-Artikel werden erste Verteidigungsstrategien vorgeführt:

Der stellvertretende Chefredakteur des Tagesspiegel, Stephan-Andreas Casdorff, nimmt seinen Washington-Korrespondenten Lehming in Schutz: "Hier ist nichts erfunden worden."

Ja dann. Auch sonst ziemlich lustig. Vielmehr: traurig.


Und die Krönung:

Die Netzeitung berichtet jetzt auch. Und sie zitiert einen noch gar nicht so jungen Artikel von jenem Malte Lehming, in dem er selber schreibt:

"Der Chefredakteur der ?New York Times?, Howell Raines, ist zurückgetreten. Die Zeitung begründete am Donnerstag diesen Schritt mit der Affäre um den jungen Reporter Jayson Blair. Der hatte in mindestens 37 von 73 Artikeln aus anderen Zeitungen abgeschrieben, ohne dies kenntlich gemacht zu haben, (...)


Öh... Na und? Ich finde, es wäre eher ein Kündigungsgrund gewesen, wenn er über die Blair-Affäre nicht berichtet hätte. Im Zusammenhang mit dem eigenen Plagiat ist das hinterher natürlich bittersweet, aber die ganzen herzhaften Maulzerreisser im Profilager geben ja auch nicht an, dass sie die Story von Herrn Praschl abgekupfert haben. Bisher hab ich jedenfalls noch bei keinem die Quelle gelesen und wenn sie selber draufgekommen wären, dann würde sich das alles noch viel triumphaler lesen.


erstfinder?

ich nehme nicht an, dass die fr und die taz erst durch dieses weblog hier auf den lehming-fall gestoßen sind, obwohl ich weiß, dass nicht wenige journalisten hier immer wieder lesen. aber wie schon gesagt: die nyt ist eine häufig gelesene zeitung. als weblogbetreiber hat man eben auch den vorteil, dass man seine funde ohne zeitverzögerung verkünden kann, die kollegen in den zeitungen müssen ja erst noch durch die druckerei. außerdem: es geht ja eh um den fall, nicht darum, wer über ihn gestolpert ist. der fall ist beschämend, auch nach drei tagen. übrigens hat der tagesspiegel auf meine email nicht reagiert. was mich wiederum nicht weiter überrascht hat.


Doch, mich interessiert immer die ganze Geschichte. Und da gehört der Erstfinder eben auch dazu. Früher war das anders, da lief der Ticker nur in den Redaktionen, da musste man den Leuten natürlich nicht auch noch sagen, unter welcher Nummer das bei AP aus der Maschine ratterte. Jetzt hat aber jeder Internet, der ein Onlinemedium liest. Deshalb sollten diese alten Medien langsam anfangen, ihre Quellen mit in den Artikel zu packen. Weil ich Sachen gerne im Original nachlese.

Text wörtlich abschreiben ist eine Katastrophe. Aber Ideenklau finde ich auch nicht so rühmlich, auch wenn ich es weder einem Weblogger noch einer Zeitung ethisch vorwerfen will. Aber es ist einfach eine fehlende Information. Desinformation ist eine denkbar schlechte Strategie für ein Medium.


ich finde, dass die ganze geschichte sowieso kein "fall" für die medienseiten ist. es ist eine unverschämtheit gegenüber dem kollegen und eine grobe handwerkliche schlamperei. aber das schreiben darüber ist klatsch und tratsch. passt in ein weblog, in dem sich viele journalisten tummeln, aber nicht auf eine medienseite. das sommerloch scheint schon um sich zu greifen.


Ihre Findung, Herr Praschl, ist noch am selben Tag bei DCT verwurstet worden, wie man an den Backlinks sieht. Wollen Sie uns wirklich sagen, die Kollegen hätten die Meldung nicht entweder hier oder dort her? Das wäre imho sehr unwahrscheinlich. Und daraus ergibt sich in der Tat zumindest ein Honoraranspruch, den Sie bei TAZ und FR geltend machen sollten ;-)


@kerleone. dann sind Sie penibler als ich. mir ist bloß etwas aufgefallen, was jedem, der zufällig zwei öffentlich vorliegende quellen kannte, aufgefallen wäre. das würde ich mir niemals, nie als idee gutschreiben. für mich gibt es einen prinzipiellen, nicht nur graduellen unterschied zwischen dem, was herr lehming getan hat, und dem nicht-nennen meinerereiner in der der taz und der fr, falls die denn wirklich durch mich daraufgekommen sein sollten. lehming hat ein komplettes autorenstück geklaut. samt der fallgeschichten, samt mancher witze, samt der sprechweise, samt der indizienkette. und obendrüber hat er dann seinen eigenen autorennamen geschrieben. das ist so was von unehrenhaft, peinlich, beschämend, faul, gegen jede berufsethik, dass man sich nur darüber wundern kann, dass der tagesspiegel diesem menschen nicht nur weiter vertraut, sondern ihn offensichtlich sogar öffentlich verteidigt (anstatt sich zum beispiel bei den lesern zu entschuldigen). - mein hinweis auf diesen umstand war nichts besonderes. keine idee, keine eigenleistung, man kann es ja nicht einmal recherche nennen. es ist mir zugefallen, mehr war es nicht.

@blue. dann sind Sie nicht so penibel wie ich. aber selbstverständlich ist das ein fall für die medienseiten (bzw. wäre es einer, wenn medienseiten nicht grundsätzlich darunter litten, dass sie die medien des jeweils eigenen plantagenbesitzers natürlich nie thematisieren, und dass, wie karl kraus gesagt hat, ja sowieso eine spalte die andere spalte wäscht). und das ist auch mehr als handwerkliche schlamperei und unverschämtheit gegenüber dem kollegen von der nyt.

@meise. wenn es mir so zufällig gelungen ist, einen fall von textklau finden, warum sollte das anderen denn nicht auch gelingen?


mich erschüttert mal wieder die dynamik, mit der die sau durchs dorf getrieben wird. es hat was von scheinhinrichtung. dieser eine da in ny, der hat es getan. der wars. das ganze schwimmt noch auf der restwelle der ganzen fälschungsgeschichten, die imho wirklich eine andere nummer sind. und wie gesagt, ich sehe auch das sommerloch winken. ich halte den fall übrigens auch nicht für einzigartig.


"Scheinhinrichtung"?!? Geht's auch ne Nummer kleiner? Der Typ ist beim journalistischen Schokoriegelklauen im Supermarkt erwischt worden und kriegt jetzt eins auf die Fingerchen, weil er seine lumpigen 50 Cent nicht gezahlt hat. Das ist völlig OK. Und "Sommerloch" ist das ganze Jahr über.


@praschl: Ist vielleicht das Alter ;-) Ich wäre jetzt heimlich riesig stolz, dass ich so einen Schlawiner aufgedeckt hätte. Vor zwei Wochen zum Beispiel, fanden ein paar Studenten und ich es schon diebisch lustig, dass ein Spiegelredakteur flink den Schrott, den er geschrieben hatte (höchstwahrscheinlich) nach einer Email von mir korrigiert hat, freilich ohne sich hinabzulassen, ein Dankeschön für den Hinweis zu senden.

Aber egal. In diesem Fall jetzt gehört es doch zur Geschichte dazu, finde ich. Dann kann der Zeitungsleser hier weiterverfolgen, wie die Sache überhaupt aufkam. Ist doch nix dabei.

Aber vielleicht haben sie es natürlich wirklich unabhängig voneinander bemerkt.

Zum prinzipiellen Unterschied: Da stimme ich absolut zu. Die zwei Dinge liegen himmelweit auseinander, sollte man jetzt nicht vermischen.


naja, scheinhinrichtung ist vielleicht ein bisschen stark. selbst wenn er seinen job verlieren sollte, geht es ihm nicht schlechter als sehr vielen anderen. ich schätze mal auch, dass die quelle das sofa ist. das sommerloch bei den tageszeitungen sollten Sie nicht unterschätzen. und dann die nyt. und dann der tagesspiegel. und wirklich absatz für absatz. das ist dann eine geschichte und nicht eine von vielen.


ooo.

ich weiss nicht, ob man hier von Dotcomtod gelinkt werden will ...?


freedom for links


Herrn Praschls Geschichte

wurde heute ja auch in der Bildzeitung erzählt. Auf Seite 1. In der Rubrik Gewinner / Verlierer. Der Tagesspiegel ist der Verlierer des Tages.


das habe ich nicht gewollt.


Vielleicht ist die Geschichte ja deshalb auf den Titel gerutscht, weil Springer den Tagesspiegel am liebsten übernehmen will?