falls Sie in hamburg leben, haben Sie noch bis zum 29.juni die gelegenheit, die vilhelm hammershøi-retrospektive in der kunsthalle zu besichtigen. Sie würden sich glücklich machen, nähmen Sie die gelegenheit wahr.






Langelange hing ein Hammershøi-Plakat, das eine auf einem Stuhl vor einer dieser schönen alten Türen lesende Frau zeigt, neben meiner schönen alten Tür vor meinem Lesestuhl. Das Lesen - neben all den Türen und Fenstern - scheint ohnehin ein wichtiger Aspekt bei H. zu sein.


die diskussion mit m. hierorts ging darüber, ob hammershøi mehr melancholie (m) oder mehr erlösungsbedürftigkeit und epiphanie (moi) wäre. dabei fiel mir auf, dass ich immer schon dazu neige, alles, was tendenziell monochrom und ein gemälde ist, als epiphanie zu empfinden. die jahre, in denen ich nach amsterdam wallfahrtete, um vor dem roten und dem schwarzen quadrat und dem grauen kreuz auf weißem fond zu stehen und wie ein dirigent mit armrudern den farbauftrag malevichs zu simulieren, um ihn zu verstehen; mein unmerkliches artschwagertanzen, newmanwippen in museen; dieses monchromie-körperlich-nehmen bei mir: sehr eigenartig. bei hammershøi noch: der dunst. das nebelige. die frauennacken. die türen, natürlich. in der aula der kunsthalle hing eine rezension, die überschrieben war mit "melancholie des türstocks".


S. hat mir von der Ausstellung nur berichtet: aber liegt nicht im Repetitiven, im, wenn ich recht verstehe, Minimal-Music-Haften der Bildreihen mit Variationen auch etwas wie ein Genügen, ein Sich-Begnügen mit der Immanenz (die man nichtmal als Melancholie verstehen muss)? Keine rhetorische, sondern eine wirkliche Frage.


Ich würde bei der Gelegenheit auch gern den Begriff der Lakonie ins Spiel bringen ("Die Lakonie im Nacken"). Zunächst muss ich mir mit K. aber erstmal die Ausstellung ansehen. Danke für den Hinweis!


joy in repetition

sollte nicht das repetitive - anstatt genuegen zu stiften - im gegenteil gerade eine empfindliche unruhe zeitigen? noetigen nicht diese serialisierten ansichten dazu (durchaus: melancholisch), bestimmte annahmen ueber "transzendenz" obsolet zu nennen, anstatt ein einverstaendnis mit "immanenz" empfinden zu koennen? Monets Vermaechtnis: Serie - Ordnung und Obsession, beispielsweise, schien mir etwas aehnliches nahelegen zu wollen. dass die heuhaufen-reihungen eben vor allem sehr entschieden die prinzipielle offenheit der sequenz - entgrenzt und entgrenzend - akzentuieren. was dann in die "obsession" fuehren mag, die distinktion des dinglichen zugunsten variierender tonalitaeten von licht, intensitaeten von farbe etc. preiszugeben: ein unabschliessbares vorhaben letztlich. was auch ein statement ueber die fluechtigkeit von erleben/erfahren waere. und ueber die moeglichkeit von aesthetisierender "weltaneignung".


Ich würde meinen: aus meinem Berliner Lehnstuhl heraus kann ich das nicht entscheiden. Die Probe aufs Exempel wäre der Gang durch die Ausstellung. Und es liefe dann vielleicht doch auf Bestätigung des eigenen Disponiertseins hinaus. Das wäre ein Verdacht: Dass die Serialisierung zu nichts nötigt, zum einen wie dem anderen nicht. Dass sie beide Lesarten aber ermöglicht, die "quietistische" (~Lakonie) wie die "ruhelose"(~Obsession, Melancholie). Die Offenheit der Sequenz könnte, im Vergleich zu manch anderen Offenheiten, sich auch als Geschlossenheit darstellen. Die Minimaldifferenzen als Produkt einer inneren Ruhe, der das einmal Gefundene genügt, oder als Obsession, das einmal Gefundene immer weiter zu, vielleicht, disseminieren.


@knoerer

lange über Ihre frage über serialität/genügsamkeit nachgedacht. keine antwort gefunden. weil das nachdenken schon bei der frage zu haken begonnen hat, ob es mir zum beispiel bei hammershøi darum gegangen sein könnte. im nachhinein weiß ich nicht mehr, ob es in der hammershøi-retrospektive serien, wiederholung, variationen gewesen sind, auf die ich reagiert habe oder einzelne gemälde, die, jedes für sich, effekte hatten. anders gesagt: ob die empfindung von lakonie, obsession, melancholie, epiphanie usw. sich auch eingestellt hätte, wenn es nur ein einziges hammershøi-gemälde gewesen wäre. oder ob das, was man über eine rainer-übermalung denkt und urteilt, nur deswegen so gedacht und geurteilt wird, weil man weiß, dass es hunderte von rainer-übermalungen gibt. und was es dann genau ist, worüber man denkt und urteilt: das einzelne werk, eine bestimmte praxis (übermalen, monochrome fabraufträge) oder eine bestimmte "idee", "semantik" (die "bedeutung" des übermalens usw.). nachträglich kriegt man ja leider die wahrnehmung nicht einmal hypothetisch mehr blankgeräumt vom dem, was das wahrnehmungsgedächtnis gespeichert hat. ich weiß es also nicht, und ich hätte es aber, aufgrund Ihrer frage gerne gewusst. weil die frage ja eine sehr gute und abgründige gewesen ist. warum (m)ein ästhetisches sensorium so sehr auf das minimale, monochrome, reduzierte, stillgelegte anspringen kann, dass es sofort an erleuchtung, epiphanie, erlösung usw. denken kann. man könnte das ja auch als verarmung, genügsamkeit, gefangensein, auslöschung von differenzen und reichtum empfinden. ist mir auch erst durch Ihre frage klar geworden.


@knoerer

womoeglich liege ich auf meinem quiteñischen canapee dann doch recht verdunkelt im schatten junger maedchenbluete. und das fraglich-fluechtige fraeulein an meiner seite heisst ja nicht ganz zufaellig si-monet mit nachnamen: dysphorische "folie de la vision", ohne ihrer (in immer serialisiertem plural) je habhaft werden zu koennen. so geht sie dann zuschanden, meine stille "adoration perpétuelle"! und laesst mich "melancholie" und "obsession" an orten sehen, die ich selbst noch nicht erblickt habe...