Heute darüber nachgedacht, ob die Geschichte von Weblogs sich so ähnlich erzählen (was durchaus mystifizieren heißt) ließe wie die Geschichte von Punk. Ein paar merkwürdige Typen, die bei sich zu Hause auf billigen Instrumenten schnell ein paar dreckige Seiten zusammenhauen. Kurze Sachen, von denen man nicht so genau weiß, was sie sollen. Keine Regeln. Hört sich oft nicht gut an, hört sich aber rauh an, hört sich cool an, hört sich scheißdrauf an. Nicht wie die großen Bands mit ihren ewigen Konzeptalben, die immer größer werden, immer virtuoser, immer selbstverliebter. Nicht wie dieses Posertum der großen Bands, die begonnen haben, Dreifachalben zu machen mit ekeligen Hipgnosis-Covern, eigene Welt sein wollen, Jünger machen, die nicht zu anderen Bands gehen. Nicht wie die großen Bands, die Leadgitarristen haben, die sich fünfzehn Minuten einen abwedeln auf irgendwelchen Sonderanfertigungen, dauernd neue Instrumente erfinden, die viel zu teuer sind für die Kids da draußen und die man eigentlich nur auf High-End-Stereoanlagen hören dürfte mit Goldkabeln zwischen Verstärker und Vorverstärker, klar, die brauchen auch noch einen Equalizer, aber immer kommt nur öder langweilige Müll dabei heraus. Die Garagenkids sind anders. Zum Beispiel deswegen, weil sie einander mögen, weil sie lieber gemeinsam in irgendeiner versifften Klitsche auftreten als im Hammersmith. Das Repertoire würde ja eh nicht reichen für ein eigenes Konzert, gerade mal vier Dreiminutenhämmer im Repertoire, außerdem haben vier Bands zusammen nur drei Snare Drums, da muss man einander aushelfen, und das Wichtigste ist eh das Nichtalleinesein. Dass man viele ist. Nicht vier Millionäre, die einander nicht leiden können, aber alle achtzehn Monate sich für ein doofes Album ein paar Wochen lang in einem dieser Peter Wolf-Studios oder auf Mustique einkasernieren. Sondern viele. Lauter Leute, die AOL-T-Shirts anhaben, und AOL ist durchgestrichen und drüber steht KILL. Und die Abende sind magisch. Es wird viel gesoffen, viel durcheinandergepudert, viel herumgestritten, viel auf der Stelle gesprungen, und es fühlt sich so intensiv an. Wie die Stimme von Johnny Rotten. Zugeschliffene Eckzähne. Geht gut los, das.

Irgendwann kriegen die anderen das mit. Noch mehr Kids da draußen, die sich jetzt auch alle so ein Weblog zulegen wollen, obwohl sie gar nicht kapieren, was das ist und worum es geht. Sie haben es halt mitbekommen, dass dort ein guter Sound ist und die irrsten Leute miteinander können, und wenn man Glück hat, gibt es Gigs, bei denen jeder jeden linkt. Das wollen sie auch haben. Obwohl sie doch bisher immer nur im Proberaum der evangelischen Jugendgemeinde in so einer Covercombo gespielt haben, das Megabandrepertoire rauf und runter, sogar Kuschelrock. Schmeißen sie alles weg jetzt, schneiden sich die Haare, kaufen sich auch so ein wildes T-Shirt (die gibts nämlich jetzt schon zu kaufen) und probieren es mit Punk. Aber man hört das noch, dass die früher Kuschelcovers gemacht haben. Manchmal spielt sogar einer Klampfenelsen-Folk, nur ein bisserl schneller. Klingt dann fast wie Punk.

Die Typen, die das losgetreten haben, können nicht mehr. Guck dir die an, denken sie, ein bißchen Wetgel von Stustustudioline aufn Kopf und sie glauben, das reicht schon. Arschlöcher. Kriegen gleich was in die Fresse. Musst du dir erst verdienen, ein Punk zu sein.

Ein paar Punks sind übrigens bald gestorben. Eines Morgens: nicht mehr da. Einfach weg. Weiß keiner, wo sie geblieben sind. Im Google-Cache spuken sie noch ein wenig, aber irgendwann sind sie vergessen. Nur ein paar Veteranen kennen ihre Namen noch.

Selber Arschlöcher, sagen die Kids. Obwohl sie ein schlechtes Gewissen haben, manchmal. Wir machen jetzt, sagen sie, New Wave. Das hört man auch. Geht gar nicht anders, sie haben ja jahrelang in der evangelischen Jugendgemeinde gespielt. Sind anders drauf. Zu Beispiel nicht so viel Hass. Machen jetzt Spaßpunk. Machen sowieso lauter neue Abteilungen auf. Neue deutsche Welle. New Romantics mit Liebeskummereinträgen und Gedichten und so Zeug. Ein paar davon sind gut, die meisten nicht einmal One-Hit-Wonder. Na ja.

Dann gibt es da noch die Meta-Punks. Die die Gesten dekonstruieren, irgendwie rumspielen mit den Images, sich permanent tarnen und enttarnen. Typische Kunsthochschüler eben, aber nicht uninteressant. Leute mit französischen Namen oder so Fremdwörtern, Anspielungen. Funktionale Gruppe, Le Sofa, Amor Oscuro Flagship Store, Camp Catatonia. Komisches Zeug, was die machen, Sonderlinge, kann nicht jeder mit, auch die Altpunks nicht, aber man weiß voneinander, irgendwie sind wir doch Geschwister.

Irgendwann kommen auch die Organisierer. Bauen alternative Vertriebswege, Vernetzung, Szene Szene. Lauter neue Indie-Labels. Alles selbstgemacht. Klingt gut. Manchmal. Und manchmal klingt es auch so öde nach Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahme. Und wir wollten doch den ganzen Scheiß nicht haben, Arbeit, Beschaffung, Maßnahme, Lion´s Club, Old Boys Netzwerk, Geschäftsmodelle. Und wer hat hier eigentlich den Glam - die Typen, die auf der Bühne stehen oder die Typen, die das Programmheft für den Club schreiben? Ein paar davon sind übrigens schwer in Ordnung. Man liebt sie. Kaum zu glauben, wie sie den Ratinger Hof immer noch am Leben halten. Haben wir eigentlich gar nicht verdient, so oft, wie wir den Laden zerdeppert haben.

Schließlich: die Corporate Rock Bosse. Guckt euch da mal um, sagen sie zu ihren Scout-Knechten. Da gibt´s ein paar Leute in den Unterstadtclubs, die sollten wir nicht verpassen. Heuert mal ein paar von denen an. Wenns klappt, kommen wir groß raus, wenn nicht, auch kein Verlust. Die Dieter Gornys also. Hey, bei uns könnt ihr machen, was ihr wollt. Euer Video wird übrigens von Dolezal & Rossacher gedreht. Die haben schon die Videos von den Stones gemacht, ganz dufte knorke Kumpel, sieht vielleicht ein wenig komisch aus auf den ersten Blick für euch, aber daran gewöhnt ihr euch schon. Ja, da läuft unser Senderlogo immer mit bei euren Videos, mittelbündiges Banner oben, aber dafür kümmern wir uns um alles. Und jetzt macht mal. Das Copyright liegt übrigens bei uns.

Ganz am Ende: ein paar ältliche Zausel in der Fußgängerzone. Zu fertig, um es noch zu bringen. Alte abgewetzte Lederjacken, irgendeine Misttöle, ein paar Dosen Bier. Aber immer noch ein schöner Iro. Echt Kernseife, kein Gel. Du gehst vorbei und kannst es kaum glauben, dass es die Typen immer noch gibt. Glotz nicht so, zischt dir einer nach, wenn du fotografieren willst, musst du löhnen.






Da haste aber echt ganz schön lange heute darüber nachgedacht. Puh, mir is ganz warm ums Herz.


Bands und Musik funktionieren trotzdem anders als Weblog-Solonummern und Bild/Texte. Kann man das Ding vom Hype um das Ding trennen?


ja sicher kann man. aber warum sollte man?


Weil es Hypes mit und Hypes ohne Substanz gibt.


zumindest mein

ansatz war ein anderer. bevor ich weblogapplikationen entdeckte, hatte ich kleine aktualisierungen auf einer meiner seiten immer per hand vorgenommen. das war wesentlich zeitaufwendiger, doch der unterschied zu punk scheint mir zu sein, dass es hierbei eine absicht gab, ein motiv, welches sich schlicht ein geeignetes instrument herangezogen hat. waere ich einfach so auf movable type und co gestossen, ich haette wahrscheinlich mit den schultern gezuckt und weitergeclickt.

ach, wer weiss... in zwanzig jahren sind wir alle schlauer.


hatte ich kleine aktualisierungen auf einer meiner seiten immer per hand vorgenommen. das war wesentlich zeitaufwendiger: Mir scheint das manchmal der zentrale Punkt. Die einen wollten etwas schreiben, schnell runterhacken, ohne groß nachzudenken und fanden dieses HTML-Dateien Hochladen immer viel zu lahmarschig und haben sich darüber gefreut, als es endlich Weblogs gab oder vielleicht auch erst angefangen, als es die gab, weil es vorher einfach keinen Sinn machte. Und dann gibt es die, denen plötzlich dieses Tool in die Hände fiel, vielleicht schon vorinstalliert war auf ihrem Account und die sich dan abnötigten, jeden Tag etwas zu sagen, obwohl sie vorher nie auf die Idee geekommen wären, so etwas zu machen. Das erste in dann Punk – etwas machen wollen – das zweite Imitation.


gute frage; was ist das nerd-equivalent zum punk-weblogger? country?


reine Koketterie

und Trittbrettfahrerei ist dies, mein Lieber

man sollte sich nicht so wichtig nehmen und Punk ist übrigens immer noch ein bißchen mehr als das, was Sie da im letzten Absatz beschreiben

z.B. der Humor ...


bundespunkbeauftragter?


punkwart


bier, blut und schweiss

sehe ich hier nicht. für meine airport-karte würde ich auch nicht die geballte faust in die luft recken. ich habe jetzt nen bart und moshe auf mp3s. alder! klick nich so blöd!


blogtalk wien = chaostage?


ach nee. eher so ein shell-studie-seminar über die neuesten phänomene in der jugendkultur.



doch doch

waren die choastage nicht auch nur ein medienhype?


leipzig

bei seewolfs, das waren antvilles chaostage!!!


das schöne an diesem text ist,

dass er wieder lust auf versoffene nachmittage im proberaum macht.


okay, okay, nur 2 fragen:

  1. mit weblogs gegen wen?
  2. warum sinds in den weblogs die 30+somethings und nich die (twen)kiddies?

weil die twen-kiddies nicht mehr schrai shrei schreiben können.


  1. corporate pages, jedenfalls solange man nicht von den corporate pages gesigned wird
  2. weil es eben doch nicht musik ist, sondern das sex pistols comeback, ohne dass man je die sex pistols gewesen wäre?

jaja, damals

als es noch gegen corporate pages, frames und flashgewichse ging, war ich noch dogma. inzwischen gehen mir die dave winer school und die weblogbedeutungsmafia wesentlich mehr auf den sack. labern nur die ganze zeit, anstatt mal was auszuprobieren.

ps: falls jemand einen lehrstuhl fuer angewandte memetik gruendet, dann mail an mich.


lehnstuhl für angewandte memetik?

was wollnSe denn damit? uni rockt doch schon lange nich mehr


jetzt unten in den backlinks,

pop hat punk gelinkt.


wer weiss

uni rockt vielleicht wieder, wenn du machen kannst, was du willt. in diesem falle googlebomben, lomographen dissen und bei redneckbloggern trollen.


Kris: Bei dem Lehrstuhl bin ich sofort dabei. Proseminar Trolling 101. Pflichtlektüre: Alles von Hunter S. Thompson und "Pattern Recognition" (Gibson).


und die studenten?

95 % männlich, kassenbrille, anorak


Nein. Ich seh da eher Kinder reicher Eltern.


alles essgestoerte junge maedels.


@kris:

winer - der steve ignorant des webloggens. praschl - ian mckaye ;-)


minor? threat


eben

der.


gross. ganz gross!


frage 3

7" demo? waren das nich immer tapes?


oder

schallfolien.


Es waren

Tapes. 7'' war zu teuer.


tapes

waren mehr als demos. ich erinnere nur an so grossartige labels wie pissende kuh oder wenn wir mal uebern teich: bad compilation tapes. als junger mensch hatte ich eh kein plattenspieler. vor 1994 auch kein computer uebrigens, aber gute fanzines(auch mitte schreibmaschine und fotokopiert, ja, denken sie mal an) sind eh die ahnen von guten weblogs, denkt man. sieht man ja auch an den hier anwesenden ex-fanzine-schreiberlingen, antville provides the athmosphere!


:-)

Ich wäre gerne Popstar geworden so zwischen zwanzig und dreissig aber gut, was soll ich sagen wie Popstars aussehn weiss ich...


danke.

echt jetz!


king of punk

king of weblogs: www.wibsite.com


nice. thx.


hast gewonnen

bist jetzt ganz oben auf meiner täglichen bloglesliste.

bin übrigens einer von den leuten denen die technik so gut gefiel, daß sie unbedingt auchmal wollten. bin aber nicht wirklich schreiberling, und so bliebs bei dem versuch.

so, das wars, bitte weitermachen.

achja, die bloglesliste